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Früh, gegen viertel nach sieben, klopfte ich an Litsis Tür im Erdgeschoß, bis eine schläfrige Stimme sagte:»Wer ist da?«

«Kit.«

Eine kurze Pause, dann:»Kommen Sie rein.«

In dem Zimmer war es dunkel, und Litsi stützte sich auf einen Ellenbogen, um die Nachttischlampe anzuknipsen. Das Licht erhellte einen großen, eichengetäfelten Raum mit Himmelbett, Brokatvorhängen und Ahnenporträts: sehr passend für Litsi, wie ich fand.

«Ich dachte, Sie wären nicht hier«, sagte er und rieb sich die Augen mit den Fingern.»Was für einen Tag haben wir?«

«Dienstag. Ich bin heute morgen vor fünf zurückgekommen, und darüber möchte ich Ihnen was erzählen.«

Erst noch halb liegend, richtete er sich beim Zuhören im Bett auf.

«Glauben Sie, es war wirklich Nanterre?«sagte er, als ich geendet hatte.

«Sollte er es gewesen sein, dann wollte er sie vielleicht nur einholen und ihr angst machen. ihr sagen, was ihrem Onkel passieren könnte, wenn er nicht nachgibt. Jedenfalls muß sie den Mann mit ihren schnellen Beinen überrascht haben. Sie trägt Turnschuhe bei der Arbeit…

richtige Laufschuhe… und sie ist immer ganz gut in Form. Vielleicht kam er einfach nicht mit.«

«Wenn er eine Warnung im Sinn hatte, die er nicht anbringen konnte, werden wir noch von ihm hören.«

«Ja. Und wegen der Pferde auch.«

«Er ist geistesgestört«, sagte Litsi,»wenn er das war.«

«Wie auch immer«, sagte ich,»ich hielt es für besser, Sie zu warnen.«

Ich erzählte ihm, daß Danielles Handtasche verschwunden war.»Wenn’s irgendein Dieb war, macht es nichts, denn er findet keine Anschrift, aber wenn Nanterre sie gestohlen hat, besitzt er jetzt einen Schlüssel für dieses Haus. Könnten Sie das wohl der Prinzessin erklären und das Schloß auswechseln lassen? Ich habe ein paar Ritte in Devon und komme heute abend wieder. Ich will Danielle nach Feierabend abholen, aber würden Sie, falls ich den Zug zurück verpasse, dafür sorgen, daß sie gut nach Hause kommt? Wenn Sie einen Wagen brauchen, können Sie meinen nehmen.«

«Verpassen Sie mal den Zug nicht.«

«Nein.«

Seine Augenbrauen wölbten sich.»Dann geben Sie mir die Schlüssel«, sagte er.

Ich gab sie ihm.»Versuchen Sie mal rauszufinden«, sagte ich,»ob Danielle ihrer Tante Beatrice gesagt hat, wo sie arbeitet und wann sie Feierabend macht.«

Er blinzelte verständnislos.

«Henri Nanterre«, erinnerte ich ihn,»hat mitten in diesem Haus einen Spion.«

«Schwirren Sie ab. Hals- und Beinbruch.«

Ich lächelte und ging los und bekam den Zug nach Devon. Vielleicht war es dumm von mir, dachte ich, Litsi

Danielle anzuvertrauen, aber sie benötigte Schutz, und eine kurze Fahrt in meinem Mercedes, mit Litsi am Steuer, würde wahrscheinlich auch nicht alles entscheiden.

Trotz des Tempos und der anderen Berufsrisiken verunglücken Hindernisjockeys selten tödlich; es ist zum Beispiel gefährlicher, seinen Lebensunterhalt mit Fensterputzen zu verdienen. Allerdings kommt es hin und wieder vor, daß man im Krankenhaus landet, und zwar immer zum falschen Zeitpunkt.

Ich würde nicht sagen, daß ich an diesem Tag in Newton Abbot gerade vorsichtig war, aber ich ritt mit Sicherheit ohne den leichtsinnigen Zorn der vergangenen zwei Wochen.

Vielleicht würde sie schließlich zu mir zurückkommen, vielleicht nicht; direkt vor ihren Augen hatte ich eine bessere Chance als dreihundert Kilometer entfernt im Streck-verband.

Das Hauptgesprächsthema den ganzen Nachmittag auf der Rennbahn war, soweit es mich betraf, die Tötung von Cascade und Cotopaxi. Im Zug hatte ich auf den Sportseiten zweier Zeitungen Berichte darüber gelesen, und im Umkleideraum sah ich noch zwei, durchweg eher Mutmaßungen und fette Schlagzeilen als harte Fakten. Wohin ich mich auch wandte, wurde ich mit neugierigen und mitfühlenden Fragen bestürmt, konnte aber wenig hinzufügen, außer jawohl, ich hätte sie tot in ihren Boxen liegen sehen, ja, natürlich sei die Prinzessin außer sich und ja, ich würde mich nach einem anderen Ritt im Grand National umschauen.

Dusty hatte seinem Unwettergesicht nach mit dem gleichen Sperrfeuer zu kämpfen. Er war dann etwas besänftigt, als ein Starter der Prinzessin siegte und mit Applaus und Hochrufen gefeiert wurde, ein Zeichen ihrer Beliebtheit beim Publikum. Der Sekretär und der Vorstandsvorsitzende des gastgebenden Vereins bestellten mich ins Direktorat, nicht um meine Reitweise zu monieren, sondern ihr Mitgefühl auszusprechen, und baten mich, auch der Prinzessin und Wykeham ihr Bedauern auszudrücken. Sie klopften mir derb auf die Schulter und boten mir Sekt an, und das war alles sehr weit weg von Maynard Allardeck.

Ich erwischte pünktlich den Rückreisezug, aß ein Eisenbahnsandwich zu Abend und war vor neun wieder am Eaton Square. Dawson mußte mich einlassen, da das Schloß tatsächlich ausgewechselt worden war, und ich ging hinauf ins Wohnzimmer, wo ich die Prinzessin, Litsi und Beatrice Bunt vorfand, jeder für sich in regloses Schweigen gehüllt, als säßen sie unter Glasglocken und könnten einander nicht hören.

«Guten Abend«, sagte ich vernehmlich.

Beatrice Bunt zuckte zusammen, da ich hinter ihr gesprochen hatte, die ausdruckslose Miene der Prinzessin wurde freundlich, und Litsi erwachte zum Leben wie eine von Zauberhand berührte Wachsfigur.

«Sie sind wieder da!«sagte er.»Wenigstens ein Lichtblick.«

«Was ist passiert?«fragte ich.

Keiner von ihnen wollte so recht heraus damit.

«Geht’s Danielle gut?«sagte ich.

Die Prinzessin sah erstaunt drein.»Aber ja doch. Thomas hat sie zur Arbeit gefahren. «Sie saß auf einem Sofa, den Rücken gestrafft, den Kopf erhoben, jeder Muskel in der Defensive und nirgends Wohlgefühl.»Kommen Sie hierher«, sie klopfte auf die Polster neben sich,»und sagen Sie mir, wie meine Pferde gelaufen sind.«

Das war, wie ich wußte, ihre Zuflucht vor unangenehmer Realität; schon früher hatte sie in den schlimmsten Augenblicken über ihre Renner gesprochen, sich an diesen Fels in einer aus den Fugen geratenen Welt geklammert.

Ich setzte mich neben sie und spielte bereitwillig mit.

«Bernina war in Topform, sie gewann ihren Hürdenlauf. In Devon scheint’s ihr zu gefallen, das ist jetzt das dritte Mal, daß sie dort gewonnen hat.«

«Erzählen Sie mir von ihrem Rennen«, sagte die Prinzessin scheinbar erfreut, aber doch irgendwie nicht ganz bei der Sache, und ich schilderte ihr den Rennverlauf, ohne daß sich an ihrem Gesichtsausdruck etwas änderte. Ich warf einen Blick auf Litsi und sah, daß er genauso unbeteiligt zuhörte, und auf Beatrice, die überhaupt nicht zuzuhören schien.

Ich richtete das Mitgefühl der Veranstalter aus und erzählte, wie das Publikum den Sieg ihres Pferdes gefeiert hatte.

«Sehr freundlich«, murmelte sie.

«Was ist passiert?«sagte ich nochmals.

Es war Litsi, der schließlich antwortete.»Henri Nanterre rief hier vor etwa einer Stunde an. Er wollte Roland sprechen, aber Roland weigerte sich, da verlangte er mich mit Namen.«

Ich hob die Augenbrauen.

«Er sagte, er wisse, daß ich einer von den dreien sei, die geschäftliche Anordnungen zusammen mit Roland unterschreiben müssen. Er sagte, die anderen seien Danielle und die Prinzessin — sein Notar habe sich erinnert.«

Ich runzelte die Stirn.»Er könnte sich wohl erinnert haben, wenn ihm jemand die Namen genannt hat… er könnte sie wiedererkannt haben.«

Litsi nickte.»Henri Nanterre sagte auch, daß sein Notar die Aktenmappe in Rolands Salon vergessen hat. In der

Aktentasche fände sich ein Vertragsformular mit Leerzeilen für Unterschriften und Zeugen. Er sagt, dieses Formular müssen wir alle vier an einem Ort, den er bestimmen wird, in Gegenwart seines Notars unterschreiben. Er würde jeden Morgen anrufen, bis alle dazu bereit seien.«

«Sonst passiert was?«sagte ich.

«Er meinte«, erwiderte Litsi gleichmütig,»es wäre doch ein Jammer, wenn die Prinzessin unnötigerweise noch mehr Pferde verlöre, und junge Frauen, die nachts alleine unterwegs sind, seien immer in Gefahr. «Er unterbrach sich und hob ironisch eine Braue.»Er sagte, auch Prinzen seien nicht gegen Unfälle gefeit, und ein gewisser Jockey solle, wenn ihm seine Gesundheit lieb sei, das Haus verlassen und sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.«