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«Wo ist es geblieben?«hatte sie wissen wollen.

«Meine liebe Beatrice«, hatte Litsi verbindlich geantwortet,»ich habe keine Ahnung. Die Mappe des Notars liegt noch in der Halle, aber sie enthält kein einziges Schriftstück.«

Und nachdem er mir diesen Dialog geschildert hatte, vor dem Zubettgehen am Abend, hatte ich ihm das einzige Schriftstück zur Aufbewahrung hinuntergebracht.

Beatrice fuhr mit der Prinzessin im Rolls nach Ascot; Danielle und Litsi kamen mit mir.

Danielle saß in sich gekehrt auf dem Rücksitz. Als ich sie in der Nacht abgeholt hatte, war sie still gewesen, hatte hin und wieder bei den Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, gezittert, obgleich es warm im Auto war. Ich hatte ihr von Nanterres Anruf erzählt und auch von der Vereinbarung ihres Onkels mit Litsi und mir, und obwohl ihre Augen vor Kummer riesengroß wurden, hatte sie nur gesagt:»Bitte sei vorsichtig. Alle beide… seid vorsichtig.«

In Ascot sah ich mit purer Eifersucht zu, wie Litsi sie zum Lunch der Prinzessin entführte, während ich sozusagen den Weg ins Büro antrat.

Ich hatte vier Rennen zu bestreiten: eines für die Prinzessin, noch zwei andere für Wykeham und eines für einen Trainer aus Lambourn. Dusty war schlechter Laune,

Maynard Allardeck war erneut als Steward aufgetaucht, und der Baum meines Lieblingssattels, teilte mir mein Jockeydiener mit, war entzweigegangen. Außerdem war es bitter kalt, und obendrein hatte ich wieder ein Pfund zugenommen, wahrscheinlich durch das Eisenbahnsandwich.

Wykehams erster Starter war ein vierjähriger, ehemaliger Flachrenner, der seine erste Erfahrung über die Hürden machen sollte. Ich hatte ihn bei Wykeham zwar einige Male an den Trainingssprüngen geschult, aber Mut hatte ich ihm nicht beizubringen vermocht. Er ließ mich den ganzen Kurs über wissen, wie verhaßt es ihm war, und hinterher mußte ich scharf überlegen, was ich seinen Besitzern wohl Ermutigendes sagen könnte. Ein Pferd, das nicht gern Rennen lief, war Zeit-, Geld- und Gefühlsverschwendung; am besten verkaufte man es schnell und versuchte es mit einem andern. Ich drückte mich so taktvoll wie möglich aus, aber die Besitzer schüttelten skeptisch die Köpfe und sagten, sie würden Wykeham fragen.

Der zweite von Wykehams Rennern landete ebenfalls unter» ferner liefen«, nicht aus mangelnder Bereitschaft, denn er war gutmütig und sicher auf den Beinen, aber nicht annähernd schnell genug gegen die Konkurrenz.

Ich ging mit sehr gedämpfter Lebensfreude hinaus zum Rennen der Prinzessin, ein Gefühl, von dem ich auch nicht kuriert wurde, als ich Danielle lachend an Litsis Arm in den Führring kommen sah.

Die Prinzessin, die als erste im Ring eingetroffen war, nachdem sie beim Satteln ihres Pferdes zugesehen hatte, folgte meinem Blick und klopfte mir leicht auf den Arm.

«Sie ist durcheinander«, sagte sie leise.»Geben Sie ihr Zeit.«

Ich schaute in die blauen Augen der Prinzessin, und wie gewöhnlich waren sie halb verborgen hinter unnahbaren Wimpern. Sie mußte sehr stark empfunden haben, daß ich Rat brauchte, sonst hätte sie ihn nicht erteilt.

Mein Kinn entspannte sich. Ich sagte:»In Ordnung«, und sie nickte kurz, bevor sie sich umdrehte, um die anderen zu begrüßen.

«Wo ist Beatrice?«Sie hielt vergeblich Ausschau.»Ist sie nicht mit runtergekommen?«

«Sie sagte, es sei zu kalt. Sie ist in der Loge geblieben«, antwortete Litsi und fügte an mich gewandt hinzu:»Legen wir eine Wette an?«

Col, der Renner der Prinzessin, stolzierte in seiner marineblauen, goldverzierten Decke umher und sah gelangweilt drein. Er war ein Pferd von begrenzter Begeisterungsfähigkeit, nicht einfach zu reiten. Wenn er zu früh das Feld anführte, verlor er das Interesse und blieb stehen; zog man den Spurt jedoch zu spät an und wurde geschlagen, stand man wie ein Narr da.

«Setzen Sie nicht auf ihn«, sagte ich. Es war so ein Tag.

«Ja, setzt auf ihn«, sagte die Prinzessin gleichzeitig.

«Furchtbar hilfreich«, bemerkte Litsi amüsiert.

Col war ein Rotfuchs mit einer langen Blesse auf der Nase und drei weißen Socken. Wie die meisten Pferde, mit denen Wykeham besonders in Cheltenham zu siegen hoffte, würde Col seine absolute Hochform wahrscheinlich erst zum National Hunt Festival in zwei Wochen erreichen, aber für Ascot, eine nicht ganz so heikle Bahn, mußte er eigentlich bereit sein.

In Cheltenham war er für den Gold Cup gemeldet, den Hauptwettbewerb des Tages, und wenn er auch kein heißer Tip war wie zuletzt Cotopaxi für das Grand National, hatte er doch eine reelle Chance, sich zu plazieren.

«Tun Sie Ihr Bestes«, sagte die Prinzessin wie so oft, und ich sagte wie üblich ja, Dusty half mir in den Sattel, und ich ritt Col im Handgalopp an den Start und versuchte etwas Lebenskraft für uns beide zu mobilisieren. Ein trübsinniger Jockey auf einem gelangweilten Pferd kann genausogut gleich wieder in den Stall gehen.

Bis wir starteten, machte ich ihm und auch mir selber klar, daß wir da draußen waren, um etwas zu leisten, und ein wenig Stolz dareinsetzen sollten; und am dritten von den zweiundzwanzig Hindernissen begann sich etwas in uns zu rühren, das aussah, als wäre nach der Ebbe eine Flut möglich.

Die große Kunst des Hindernisreitens besteht darin, ein Pferd so an den Sprung heranzuführen, daß es ohne langsamer zu werden drübergehen kann. Col gehörte zu der relativ seltenen Sorte, die Entfernungen selbständig einschätzen konnte, so daß sein Reiter sich allein um die Taktik zu sorgen brauchte, aber er forcierte nur, wenn man darauf bestand, und hatte keinen persönlichen Ehrgeiz.

Ich hatte ihn oft geritten, oft auf ihm gesiegt, daher kannte ich seine Bedürfnisse und wußte, daß ich zum Schluß mit aller Macht, allem Einsatz würde nach vorn gehen müssen, um vielleicht seine phlegmatische Seele noch aufzuwecken.

Von der Tribüne her wird alles ganz gut ausgesehen haben. Für meine Begriffe war Cols Gang zwar schwerfällig, aber doch beachtlich schnell. Wir lagen während des größten Teils der drei Meilen an vierter oder fünfter Stelle und kamen im Schlußbogen an die dritte, als zwei von den anfangs Führenden ermüdeten.

Drei Hindernisse waren noch zu nehmen, danach die zweihundertvierzig Meter lange Zielgerade. Eins der Pferde vor uns war noch berstend voll von Renngeist — sein

Tempo mußte Col übertreffen. Der Jockey auf dem andern hatte schon die Peitsche oben und spürte zweifellos die ersten bösen Anzeichen, daß seinem Boiler der Dampf ausging. Ich verhielt Col ganz leicht, um ihn vor dem ersten der drei Hindernisse in der Geraden an dritter Position zu halten. Er übersprang es glatt, war auch voll bei der Sache, als wir das nächste nahmen und passierte den peitschenschwingenden Jockey, bevor wir das letzte erreichten.

Zuviel Licht, dachte ich. Er hatte es am liebsten, wenn am letzten Hindernis noch zwei, drei andere dicht vor ihm lagen. Er übersprang das letzte allerdings mit einem Riesensatz, und es war wider Erwarten kein Problem, den Siegeswillen in ihm anzuheizen und ihm zu sagen, daß es jetzt… jetzt darauf ankam.

Col setzte den vorderen Fuß auf, und der Fuß knickte ein und gab unter ihm nach. Seine Nase schlug ins Gras. Die Zügel glitten mir der Länge nach durch die Finger, und ich legte mich zurück und klammerte mich wie wild mit den Beinen fest, um nicht abgeworfen zu werden. Durch ein Wunder an Geschmeidigkeit traf sein zweites Vorderbein fest auf den Boden, und mit dem ganzen Gewicht seiner zehn Zentner auf dieser schlanken Fessel stieß Col sich hoch und rannte weiter.

Ich nahm die Zügel auf. Das Rennen war wohl verloren, aber das Feuer, das so spät gezündet hatte, war nicht ohne weiteres zu löschen. Komm jetzt, du Untier, sagte ich zu ihm; jetzt gilt’s, da ist noch einer vor dir, lauf zu, jetzt zeig mir, zeig allen hier, daß du es schaffst, daß du es trotzdem noch schaffst.