Als verstünde er jedes Wort, streckte er den Kopf vor und trat den kurzen, erstaunlichen Endspurt an, mit dem er früher schon in letzter Sekunde scheinbar unmögliche Siege herausgeholt hatte.
Wir schafften es auch diesmal beinah, um ein Haar. Col fraß die Längen, die er zurückgefallen war, und ich ritt ihn fast so hart wie Cascade, aber ohne den Zorn, und wir kamen an die Hinterhand des anderen Pferdes, an den Sattel, an den Hals… und der Zielpfosten blitzte drei Schritte zu früh vorbei.
Die Prinzessin hatte gesagt, sie werde zum Absatteln nur hinunterkommen, wenn wir siegten, da es von ihrer Loge aus sehr weit sei.
Dafür war Maynard zur Stelle. Er starrte mich böse an, als ich absaß, seine Augen waren dunkel und sein Gesicht steif vor Haß. Warum er in meine Nähe kam, begriff ich nicht. Wenn ich jemanden derart gehaßt hätte, wäre ich ihm möglichst aus dem Weg gegangen; und ich verabscheute Maynard dafür, daß er versucht hatte, Bobby, seinen eigenen Sohn, durch Gehirnwäsche in den Mord zu treiben.
Dusty breitete mit einstudiertem Verzicht auf jeden Kommentar zum Rennergebnis die Decke über Cols bebende Flanken, und ich ließ mich zurückwiegen, während die anhaltende Unzufriedenheit des Nachmittags mich umschwebte wie eine Wolke.
Ich bestritt das nächste Rennen für den Trainer aus Lam-bourn und wurde ziemlich abgeschlagen Dritter, und mit dem Gefühl, rein nichts erreicht zu haben, zog ich Straßenkleidung an; für heute war ich fertig.
Auf dem Weg vom Waageraum zur Loge der Prinzessin sagte eine Stimme hinter mir:»He, Kit«, und als ich mich umdrehte, sah ich Basil Clutter im Eilschritt herankommen.
«Suchen Sie immer noch Henri Nanterre?«sagte er, als er mich einholte.
«Ja. «Ich hielt an und er ebenso, obwohl er dabei fast auf der Stelle lief, denn Stillstehen war nichts für ihn.
«Die Roquevilles sind heute hier, sie hatten ein Pferd im ersten Rennen. Und es ist eine Frau bei ihnen, die Henri Nanterre ziemlich gut kennt. Deshalb meinten sie, falls Sie noch interessiert seien, würden Sie sie vielleicht gern kennenlernen.«
«Ja, allerdings.«
Er sah auf seine Uhr.»Ich soll gleich in der Besitzerund-Trainer-Bar ein Glas mit ihnen trinken, also kommen Sie mal mit.«
Ich folgte ihm in die Bar und lernte, bewaffnet mit Per-rierwasser statt dem beliebten Portwein, die Bekannte der Roquevilles kennen: eine kleine, französisch wirkende Person mit einem mädchenhaften Chic, der ihre Jugend überdauert hatte. Das elfenzarte Gesicht hatte Falten, das kurzgeschnittene schwarze Haar war an den Wurzeln angegraut, und sie trug hochhackige schwarze Stiefel, einen Hosenanzug aus glattem, schwarzem Leder und einen nach Cowboyart im Genick verknoteten Seidenschal.
Ihre Sprache war überraschenderweise einfaches, derbes Rennbahnenglisch, und sie wurde mir vorgestellt als Madame Madeleine Darcy, die englische Frau eines französischen Trainers.
«Henri Nanterre?«sagte sie mit Widerwillen.»Klar kenne ich den Mistkerl. Wir haben seine Pferde trainiert, bis er sie über Nacht weggeholt und zu Villon geschickt hat.«
Kapitel 10
Sie redete mit der Ungeschminktheit des Grolls und dem Vergnügen, ein aufmerksames Publikum zu unterhalten.
«Er ist ein Hahn«, sagte sie,»der sehr laut kräht. Er stolziert herum wie ein Gockel. Wir kennen ihn seit seiner Jugend, als die Pferde noch seinem Vater Louis gehörten, der ein sehr netter Mann war, ein Ehrenmann.«
«Dann hat Henri die Pferde geerbt?«sagte ich.
«Aber ja, wie alles andere auch. Louis war beknackt. Er dachte, sein Sohn könne kein Unrecht tun. Irrtum. Henri ist ein habgieriger Tyrann. Villon kann ihn gern behalten.«
«Wieso ist er ein habgieriger Tyrann?«fragte ich.
Sie hob die gezupften Augenbrauen.»Wir hatten eine einjährige Stute mit guten Blutlinien gekauft, die wir selber laufen lassen und später für die Zucht verwenden wollten. Henri sah sie auf dem Hof — er schnüffelte andauernd um die Ställe herum und sagte, er wolle sie kaufen. Als er hörte, daß wir nicht geneigt waren, sie herzugeben, sagte er, dann würde er alle seine Pferde abziehen. Er hatte acht… die wollten wir nicht verlieren. Wir waren wütend. Er zwang uns, ihm die Stute zum Selbstkostenpreis zu überlassen… und dabei hatten wir sie monatelang gehalten. Ein paar Wochen später rief er dann eines Abends an und sagte, am Morgen kämen Transporter, um seine Pferde abzuholen. Und hoppla, weg waren sie.«
«Was ist aus der Stute geworden?«sagte ich.
Ihr Mund bog sich vor Schadenfreude.»Sie kriegte Hufrollenentzündung und mußte getötet werden, das arme Ding. Und wissen Sie, was dieser Saukerl Nanterre getan hat?«
Sie machte eine Kunstpause. Ungefähr vier Stimmen, darunter auch meine, sagten:»Was?«
«Wir hörten es von Villon. Der war empört. Nanterre sagte, den Abdeckern wäre es zuzutrauen, daß sie die Stute zusammenflicken, sie voll Schmerzmittel pumpen und verkaufen würden, um sich auf seine Kosten zu bereichern, deshalb wollte er unbedingt mit dabeisein. Die Stute wurde auf Villons Grundstück unter den Augen von Nanterre getötet.«
Madame Roqueville blickte angewidert und enttäuscht drein.»Er machte einen ganz angenehmen Eindruck, als wir ihn in Longchamp trafen, und auch in Newbury.«
«Selbst der Marquis de Sade wird auf der Rennbahn wunderbar charmant gewesen sein«, sagte Madeleine liebenswürdig.»Da kann jeder als Ehrenmann auftreten.«
Nach einer respektvollen Pause sagte ich:»Wissen Sie irgend etwas von seinen Geschäften?«
«Geschäfte!«Sie rümpfte die Nase.»Er hat das Bauunternehmen de Brescou-Nanterre. Ich weiß nichts über seine Geschäfte, nur über seine Pferde. Geschäftlich würde ich ihm nicht trauen. Wie einer seinen Trainer behandelt, so verfährt er auch im Geschäftsleben. Die Ehrbaren sind ehrlich. Der gierige Tyrann verhält sich entsprechend.«
«Und… wissen Sie, wo ich ihn in England finden könnte?«»An Ihrer Stelle würde ich ihn nicht suchen. «Sie lächelte mich strahlend an.»Er bringt Ihnen nichts als Ärger.«
In der Loge der Prinzessin gab ich die Unterhaltung an Litsi und Danielle weiter.
«Was ist Hufrollenentzündung?«sagte Litsi.
«Eine Erkrankung des Fußwurzelknochens beim Pferd. Wenn es schlimm wird, kann das Pferd nicht mehr gehen.«
«Dieser Nanterre«, sagte Danielle empört,»ist ungeheuerlich.«
Die Prinzessin und Beatrice unterhielten sich ein paar Meter entfernt auf der Balkonseite der Loge mit einem großen, massigen Mann, dessen Augen in dem breiten, freundlichen Gesicht durch ihr helles Grau auffielen.
Litsi sagte, meinem Blick folgend:»Lord Vaughnley… er ist gekommen, um Tante Casilia sein Bedauern darüber auszusprechen, daß Col nicht gewonnen hat. Kennen Sie ihn? Er ist in der Verlagsbranche, glaube ich.«
«Mm«, sagte ich neutral.»Ihm gehört die Towncrier-Zeitung.«
«So?«Litsis wendiger Verstand vollzog den Sprung.»Nicht etwa das Blatt, das… Bobby angegriffen hat?«
«Nein, das war die Flag.«
«Aha. «Litsi schien enttäuscht.»Dann ist er also keiner von den zwei besiegten Zeitungsbaronen?«
«Doch. «Lord Vaughnleys Aufmerksamkeit schwenkte gerade in meine Richtung.»Ich erzähle es Ihnen irgendwann einmal«, sagte ich zu Litsi und sah Lord Vaughnley zögern, wie er es immer tat, bevor er mir die Hand bot. Aber er mußte geahnt haben, daß er mich an diesem Ort treffen würde, da mein Erscheinen dort zum Abschluß jedes Rennens ein Ritual war, das er kannte.
«Kit«, überwand er sich und biß in den sauren Apfel,»ein fulminantes Rennen. und welch ein Pech.«
«So geht es eben«, sagte ich.
«Mehr Glück beim Gold Cup, was?«
«Schön wär’s.«
«Kann ich irgend etwas für Sie tun, mein Lieber?«
Die Frage stellte er immer. Für Litsi war das neu, und ich sah ihn aus dem Augenwinkel staunen. Gewöhnlich antwortete ich mit nein, aber an diesem Tag dachte ich, ich könnte mal mein Glück versuchen. Wer nicht fragt, wird niemals klüger.