«Sind die Pferde in Ordnung? Kinley?«
«Ja, ja. Nichts weiter passiert. Der Mann mit dem Hund sagte, daß sein Hund unruhig war, als hätte sich da einer rumgetrieben. Er sagt, sein Hund war gut eine halbe Stunde in Alarmbereitschaft und hat leise gewinselt, und sie sind zweimal die Höfe abgegangen. Sie haben aber niemand gesehen, und nach einiger Zeit hat sich der Hund wieder abgeregt. Also. was halten Sie davon?«
«Ich halte verdammt viel davon, daß Sie den Hund haben.«
«Ja… sehr beunruhigend, die Sache.«
«Wann war denn das alles?«
«Um Mitternacht. Ich lag natürlich schon im Bett, und der Wächter hat mich nicht geweckt, weil nichts passiert war. Es gibt keine Anzeichen, daß jemand hier war.«
«Behalten Sie bloß die Patrouillen bei«, sagte ich,»und sehen Sie zu, daß Sie nicht den Mann bekommen, der auf dem Heuboden gepennt hat.«
«Ach wo. Das hab ich denen schon gesagt. Seit der ersten Nacht passen sie alle gut auf.«
Wir sprachen über die zwei Pferde, die er nach Bradbury schickte, beide nicht von der Prinzessin. In Bradbury ließ er manchmal seine langsamsten Pferde laufen, weil er davon ausging, daß sie, wenn sie dort nicht siegten, nirgends siegen würden, aber meistens verzichtete er darauf. Es war eine kleine Provinzbahn mit einem flachen Rundkurs von kaum mehr als einer Meile, leicht zu reiten, wenn man sich innen hielt.
«Geben Sie der Melisande einen guten Ritt.«»Ja, Wykeham«, sagte ich. Melisande war vor meiner Zeit gewesen.»Meinen Sie Pinkeye?«
«Hm… natürlich. «Er räusperte sich.»Wie lange bleiben Sie am Eaton Square?«
«Das weiß ich nicht. Ich sage Ihnen aber Bescheid, wenn ich weggehe.«
Wir legten auf, und ich schob eine Scheibe Vollkornbrot in den Toaster und dachte über herumschleichende Gestalten nach.
Litsi kam und goß sich einen Kaffee ein.»Ich habe mir überlegt«, sagte er im Plauderton, während er eine Schale Müsli mit Kondensmilch zusammenstellte,»daß ich heute auch zum Rennen fahren könnte.«
«Nach Bradbury?«Ich war überrascht.»Das ist nicht wie Ascot. Es sind die bloßen Grundlagen des Sports. Nicht viel Komfort.«
«Heißt das, Sie wollen mich nicht mitnehmen?«
«Nein. Ich warne Sie nur.«
Er setzte sich an den Tisch und schaute zu, wie ich Toast ohne Butter und Marmelade aß.
«Ihr Speisezettel ist abscheulich.«
«Ich bin’s gewohnt.«
Er schaute zu, wie ich mit schwarzem Kaffee eine Pille hinunterspülte.»Wozu sind die gut?«fragte er.
«Vitamine.«
Er schüttelte resigniert den Kopf und begann seine hoffnungslos dickmachende Eigenkreation zu löffeln, und frisch und ausgeschlafen, in einem bauschigen weißen Pullover, kam Danielle herein.
«Tag«, sagte sie, personenübergreifend zu uns beiden.»Ich habe mich gefragt, ob ihr wohl hier seid. Was macht ihr heute?«»Ich gehe zum Pferderennen«, sagte Litsi.
«Du?«Sie sah ihn erstaunt an.»Mit Kit?«
«Natürlich mit Kit.«
«Oh. Kann ich ehm… dann auch mitkommen?«
Sie blickte von einem zum andern und sah zweifellos doppelte Freude.
«In einer halben Stunde«, sagte ich lächelnd.
«Kein Problem.«
So fuhren wir denn alle drei nach Bradbury zum Rennen, nachdem wir uns im Flur von der Prinzessin und von Beatrice verabschiedet hatten. Die Prinzessin war nach unten gekommen, um einige Schreibarbeiten mit Mrs. Jenkins durchzugehen, und betrachtete wehmütig unsere Überkleidung. Beatrice, die die Neugier heruntergeführt hatte, fixierte mich mit strengen Kulleraugen.
«Kommen Sie wieder?«wollte sie wissen.
«Ja, er kommt wieder«, antwortete die Prinzessin für mich.»Und morgen können wir alle miteinander meine Pferde in Sandown laufen sehen, ist das nicht schön?«
Beatrice sah drein, als wüßte sie nicht genau, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, und in diesem Augenblick der Ungewißheit brachen Litsi, Danielle und ich auf.
Die Rennbahn von Bradbury machte, wie wir bei unserer Ankunft feststellten, eine ehrgeizige Wandlung zum Besseren durch. Überall waren Schilder, die um Verständnis für noch nicht abgetragene Berge von Baumaterial und Maschinen baten. Umgeben von Gerüsten, wurde an den Billigplätzen eine ganz neue Tribüne heraufgezogen, und der oberste Stock der Vereinstribüne wurde in einen verglasten Aussichtsraum mit Tischen, Sesseln und Erfrischungen umgebaut. Dort oben hatten sie auch Platz geschaffen für eine nach hinten gehende Galerie, von der aus man die Pferde im Führring beobachten konnte.
Ein kleines Modell auf einem Tisch vor dem Waageraum zeigte, wie das Ganze im fertigen Zustand aussehen würde, und der Rennvereinsvorstand wanderte mit zufriedenem Lächeln umher und ließ sich beglückwünschen.
Litsi und Danielle zogen auf ein Glas und ein Sandwich in die alte, noch nicht aufpolierte Bar unter dem entstehenden Traum, und ich versuchte, während ich in Strumpfhose, Reithose und Stiefel schlüpfte, daran nicht allzusehr zu denken. Ich zog ein dünnes Trikothemd an, und mein Rennbegleiter band mir die weiße Manschette ordentlich um den Hals. Danach legte ich den wattierten Rückenschutz an, der Rückgrat und Nieren vor allzuviel Schaden bewahrt, und darüber schließlich die ersten Rennfarben des Tages. Sturzkappe, Brille, Peitsche, Startnummer, Bleidecke, Sattel — ich prüfte das alles, ließ mich wiegen, gab Dusty die zum Satteln nötigen Sachen, zog wegen der Kälte einen Anorak über und ging startbereit nach draußen.
Ich hätte nichts dagegen gehabt, ausnahmsweise einmal einen Tag auf der Tribüne stehen zu können und mir gemeinsam mit Danielle ein Rennen anzuschauen wie jeder andere auch. Ein Sandwich essen, etwas trinken, wetten gehen. Ich sah die beiden lächeln und winken, als ich auf die Bahn ritt, und ich winkte zurück und wünschte mir, unmittelbar bei ihnen zu sein.
Das Pferd, das ich ritt, gewann den Lauf, was Wykeham zwar angenehm überraschen, Cols Niederlage vom Vortag aber nicht wettmachen würde.
Außer für Wykehams beide Renner war ich noch für drei andere gemeldet. Ich ritt einen davon ergebnislos im zweiten Lauf, legte gleich anschließend Pinkeyes rotblaue
Streifen für den dritten an und ging in meinem wärmenden Anorak hinaus zum Führring, um mich mit dem hektischsten und kritischsten aller Besitzer Wykehams zu unterhalten.
Bis zum Führring kam ich nicht. Ein Schrei ertönte von hoch oben, jemand rief:»Hilfe«, und so wie alle anderen drehte ich den Kopf, um zu sehen, was los war.
Ein Mann hing an nur einer Hand von dem neuen Balkon auf der Vereinstribüne. Ein großer Mann in einem dunklen Mantel.
Litsi.
Fassungslos vor Entsetzen beobachtete ich, wie er herumschwenkte, bis er beide Hände auf der Balkonbrüstung hatte, aber er war zu groß und zu schwer, um sich hinaufzuziehen, und unter ihm war ein Abgrund von zwanzig Metern, direkt über hartem Asphalt.
Ich rannte hin, riß mir den Anorak herunter und legte ihn genau unter die Stelle, wo Litsi hing.
«Ziehen Sie Ihren Mantel aus«, sagte ich zu dem nächststehenden Mann.»Legen Sie ihn auf den Boden.«
«Jemand muß rauf und ihm helfen«, sagte er.»Es muß jemand raufgehen.«
«Ziehen Sie Ihren Mantel aus. «Ich wandte mich an eine Frau.»Ziehen Sie Ihren Mantel aus. Legen Sie ihn auf den Boden. Schnell, schnell, Mäntel auf den Boden legen.«
Sie sah mich an wie eine Blinde. Ihr Mantel war ein langer, teurer Pelz. Sie streifte ihn ab, warf ihn auf meinen Anorak und sagte heftig zu dem Mann neben ihr:»Ziehen Sie Ihren Mantel aus, den Mantel ausziehen.«
Ich lief von einem zum anderen:»Ziehen Sie Ihren Mantel aus, schnell, schnell… Ziehen Sie ihren Mantel aus.«
Eine ganze Menschenmenge hatte sich angesammelt: Zuschauer, die auf dem Rückweg zur Tribüne waren, um das nächste Rennen zu sehen, hielten an, starrten gebannt in die Höhe.