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Er fungierte zwar bei dieser Veranstaltung nicht offiziell als Steward, stand aber trotzdem vor jedem Rennen im

Führring, beobachtete alles, was ich tat, und jedesmal wenn ich zurückkam, durchbohrte er mich vor der Waage mit feindseligen Blicken.

Er sah vornehm aus wie immer, eine Stütze der Gesellschaft, ein Herr, den nichts hätte veranlassen können, seines Nächsten Hab und Gut zu begehren oder zu verhökern. Als ich zu meinem dritten Rennen — auf Abseil, einem Pferd der Prinzessin — hinausging, machte die Prinzessin gleich eine Bemerkung über Maynard, der kaum ein paar Meter entfernt lauerte.

«Mr. Allardeck starrt Sie an«, sagte sie, sobald ich mich bei ihr, Litsi, Danielle und Beatrice im Führring eingefunden hatte.

«Ja, ich weiß.«

«Wer ist Mr. Allardeck?«wollte Beatrice wissen.

«Der Vater des Mannes von Kits Schwester«, erwiderte Danielle knapp, womit ihre Tante auch nicht viel klüger war.

«Es ist entnervend«, sagte Litsi.

Ich nickte.»Das soll’s wohl auch sein. Er tut es schon den ganzen Nachmittag.«

«Sie sind anscheinend aber nicht entnervt.«

«Noch nicht. «Ich wandte mich an die Prinzessin.»Ich wollte Sie immer schon fragen, was er Ihnen vorige Woche nach Cascades Sieg gesagt hat.«

Die Prinzessin machte eine kleine, kummervolle Geste im Gedanken an das Schicksal ihres Pferdes, sagte aber:»Er behauptete, Sie hätten das Tier unbarmherzig ausgepeitscht. Das waren seine Worte. Wenn er auch nur einen Striemen an Cascade hätte finden können…«Sie zuckte die Achseln.»Ich sollte ihm bestätigen, daß Sie überaus brutal gewesen seien.«»Danke, daß Sie’s nicht getan haben.«

Sie wußte, wie ernst es mir damit war, und nickte.

«Mit Abseil werde ich sanft umgehen«, sagte ich.

«Aber nicht zu sanft. «Sie lächelte.»Ich gewinne schon gern.«

«Er stiert immer noch«, sagte Danielle.»Wenn Blicke töten könnten, lägst du im Grab.«

Die Prinzessin entschloß sich, das Problem frontal anzugehen, und als ob sie Maynard gerade erst entdeckt hätte, hob sie grüßend die behandschuhten Hände und sagte:»Ah, Mr. Allardeck, ein herrlicher Tag heute, nicht wahr?«, wobei sie ihm drei oder vier Schritte entgegenging, um die Unterhaltung zu erleichtern.

Er nahm seinen Hut ab, verneigte sich vor ihr und sagte, ziemlich heiser für seine Verhältnisse, ja, es sei herrlich. Die Prinzessin sagte, wie schön es sei, nach so viel Regenwetter noch mal die Sonne zu sehen, und Maynard stimmte ihr zu. Es sei natürlich kalt, sagte die Prinzessin, aber damit müsse man um diese Jahreszeit nun einmal rechnen. Ja, meinte Maynard.

Die Prinzessin blickte kurz zu uns allen herüber und sagte zu Maynard:»Mir gefällt es in Sandown, Ihnen auch? Und was besonders erfreulich ist, meine Pferde scheinen hier immer gut zu laufen.«

Diese vordergründig harmlose Bemerkung führte dazu, daß Maynard finsterer denn je in meine Richtung starrte — ein Blick wie ein schwarzes, gefährliches Gift.

«Warum«, flüsterte Litsi mir ins Ohr,»hat ihn das so geärgert?«

«Das kann ich Ihnen hier nicht sagen«, gab ich zurück.

«Dann später.«

«Vielleicht.«

Das Zeichen zum Aufsitzen der Jockeys kam, und mit einem reizenden Lächeln wünschte die Prinzessin Maynard alles Gute für den Nachmittag, wandte sich dann noch einmal an mich und sagte, bevor ich zu dem wartenden Abseil ging:»Kommen Sie heil zurück.«

«Ja, Prinzessin«, antwortete ich.

Ihre Augen glitten kurz in Richtung Danielle, und plötzlich verstand ich ihren heimlichen Gedanken: Komm heil zurück, sonst verlierst du deine Herzdame für immer.

«Tun Sie Ihr Bestes«, sagte die Prinzessin leise, wie um ihre erste Anweisung zu widerrufen, und ich nickte und führte Abseil im Handgalopp an den Start. Dabei überlegte ich, daß ich zwar in erster Linie auf Sicherheit reiten könnte und daß ich das bis zu einem gewissen Grad bestimmt die ganze Woche schon getan hatte; aber wenn ich es immer weiter so halten wollte, konnte ich ebensogut gleich meinen Rücktritt erklären. Vorsicht und Sieg waren unvereinbar. Ein allzu vorsichtiger Jockey verlor seinen Ruf, seine Besitzer, seine Zukunft — und wenigstens in meinem Fall auch seine Selbstachtung. Das Entweder-Oder zwischen Danielle und meinem Beruf, die ganze Nacht ungelöst, hatte mich an diesem Nachmittag schon während zwei anspruchslosen Hürdenrennen verfolgt, und im Gegensatz zu früher, als ich das Ausmaß ihrer Ängste nicht gekannt hatte, war mir intensiv bewußt, daß sie von der Tribüne aus zusah.

Abseil, ein graues, achtjähriges Hindernispferd, war ein flinker, behender Springer von annehmbarem Tempo und fragwürdigem Stehvermögen. Gemeinsam hatten wir einige Siege erritten, häufiger aber zweite, dritte oder vierte Plätze, da er in kritischen Momenten nichts zuzulegen hatte. Ein großer Vorteil war sein Mut beim Springen; wenn ich ihn da zurückhielt, konnten wir als letzte einlaufen.

Die Rennbahn von Sandown, ein hügeliger Rechtskurs mit sieben dicht aufeinanderfolgenden Hindernissen auf der Gegengeraden, bot guten Springern die Möglichkeit, sich selbst zu übertreffen. Ich ritt dort besonders gern, und auch für Abseil war es eine gute Bahn, nur die ansteigende Zielgerade konnte ihn überfordern. Um dort zu gewinnen, mußte er sich im letzten langen Bogen an die Spitze setzen und die drei letzten Hindernisse in seinem schnellsten Tempo nehmen. Ließ er dann auf der Steigung nach, konnte man den Vorsprung vielleicht gerade noch bis ins Ziel behaupten.

Abseil war unverkennbar rennlustig, er signalisierte mir Energie und Ungeduld.»Fährt aus der Haut«, hatte Wykeham gesagt, und für ihn war jetzt auch die Zeit, voll aufgedreht zu sein, denn er würde am Cheltenham Festival nicht teilnehmen, da er nicht ganz zur Spitzenklasse zählte.

Der Start für die Hindernisrennen über zwei Meilen, fünf Furlongs war in der Mitte der Gegengeraden, mit dem Wassergraben im Rücken. An diesem Tag nahmen acht Pferde teil, ein Feld von angenehmer Größe, und Abseil war zweiter Favorit. Wir begannen in dichter Formation ohne Eile, da niemand die Pace machen wollte, und so konnte ich ohne weiteres an den ersten drei Hindernissen vorsichtig sein, desgleichen in der langen unteren Kurve, an den drei Hindernissen, die beim nächsten Mal den Abschluß bilden würden, und auch bergauf an der Tribüne vorbei.

Als wir am Ende des Hügels nach rechts bogen, um in die zweite Runde zu gehen, stand ich unmittelbar vor der Entscheidung. Im Renntempo den Sprung bergab über das nächste Hindernis, Grab so mancher Hoffnung, oder aber zügeln, verhalten, vorsichtig springen, womöglich vier Längen einbüßen.

Abseil wollte gehen. Ich kickte ihn. Wir flogen über das Hindernis, passierten zwei Pferde in der Luft, setzten präzis auf dem abschüssigen Hang auf, glitten darüber hin und gingen an zweiter Stelle um die Kurve auf die Gegengerade.

Die sieben Hindernisse waren so angelegt, daß sie, wenn man das erste richtig traf, alle genau paßten, wie Verkehrsampeln. Der Trick bestand darin, die Distanz schon weit vor dem ersten abzuschätzen und je nachdem rechtzeitig zu regulieren, damit das Pferd, wenn es das Hindernis erreichte, den richtigen Absprung fand, ohne seinen Gang zu verkürzen oder zu verlängern. Diese Kunst lernten alle erfolgreichen Jockeys in der Jugend, sie ging ihnen in Fleisch und Blut über. Abseil verstand meinen Wink, kürzte einen Schritt, galoppierte glücklich weiter und stieg perfekt über das erste Hindernis.

Die Entscheidung war nahezu unbewußt gefallen. Ich konnte nicht anders. Was ich war, worauf ich mich verstand, lag hier vor mir, und nicht einmal wegen Danielle konnte ich es verleugnen.

Abseil nahm dem Favoriten am zweiten der sieben Sprünge die Führung ab, und ich schickte ihm Gedankenbotschaften» Lauf zu, halt dich dran, keine Hemmungen, so ist es nun mal, du bekommst deine Chance, ich bin, wie ich bin, und dafür kann ich nichts, so ist das Leben… heb ab und flieg«.