Die Dämmerung war zur Nacht geworden, und das Treiben der Umgebung ging unter im fernen, endlosen Lärm des Londoner Verkehrs. Ich saß still, nur ein paar unentbehrliche Dinge zur Hand wie Perrier, Räucherlachs und einen Apfel, und ging in Gedanken allerlei Eventualitäten durch, von denen keine eintrat.
Alle halbe Stunde etwa stand ich auf, reckte mein Kreuz, ging um Danielles Wagen herum und setzte mich wieder. In der Gasse tat sich nichts sonderlich Interessantes, und die Zeiger meiner Uhr wanderten wie Schnecken: acht Uhr, neun Uhr, zehn.
Ich dachte an Danielle und was sie gesagt hatte, als ich sie allein ließ.
«Tante Casilia zuliebe muß ich hoffen, daß die Klapperschlange in der Gasse auftaucht, aber wenn du dich umbringen läßt, verzeih ich dir das nie.«
«Ein Gedanke für die Ewigkeit.«
«Sieh nur zu, daß du die Ewigkeit hier auf Erden bei mir verbringst.«
«Ja, gnädige Frau«, und ich hatte sie geküßt.
Die Klapperschlange, dachte ich gähnend, als es elf vorbei war, ließ sich Zeit. Normalerweise ging ich um halb zwei zu den Garagen, um vor zwei in Chiswick zu sein, und ich dachte, wenn Nanterre irgendeinen direkten körperlichen Angriff plante, würde er schon lange vor dieser Zeit erscheinen, um sich ein dunkles Versteck zu suchen. Vor sieben war er nicht hier gewesen, denn ich hatte jeden Winkel abgesucht, bevor ich mich in der Garage häuslich niederließ, und es gab keine anderen Zugänge als die Einfahrt von der Straße. Sollte er sich später irgendwie hereingeschlichen haben, ohne daß ich ihn gesehen hatte, waren wir vielleicht in der Klemme.
Um viertel nach elf vertrat ich mir die Beine hinter Danielles Wagen und setzte mich wieder hin.
Um siebzehn nach kam er ahnungslos zu unserem Köder.
Ich hatte verzweifelt gehofft, daß er käme, hatte es mir gewünscht, darauf gerechnet… und doch befiel mich jetzt eine instinktive Furcht, als ob tatsächlich der Tiger die Ziege an pirschte.
Er kam ganz offen die Mitte der Gasse herunter, als hätte er einen Wagen dort, bewegte sich in seiner eigentümlich aalartigen Schnelligkeit, weich und geschmeidig.
Dabei drehte er den Kopf hin und her, schaute auf die stummen, parkenden Autos, und selbst in dem schwachen Licht, das von den hohen Fenstern der umliegenden Gebäude herunterdrang, war die Form der Nase und des Kinns unverkennbar.
Er kam näher und näher; und ich begriff, daß er nicht nach einem Versteck suchte, sondern nach meinem Wagen.
Eine Schrecksekunde lang blickte er genau auf die angelehnte Tür der Garage, in der ich mich befand, aber ich saß reglos in dunkler Kleidung im Finstern und begann wieder zu atmen, da er offenbar nichts sah, was ihn beunruhigte oder verscheuchte.
Nanterre war dort, dachte ich frohlockend, direkt vor meinen Augen, unsere ganze Planung war Wirklichkeit geworden. Egal, was nun passieren würde, das war schon ein Sieg.
Nanterre blickte den Weg zurück, den er gekommen war, aber nichts regte sich hinter ihm.
Er kam dicht an meinen Wagen. Daneben blieb er stehen, etwa die Länge eines Rolls-Royce von mir entfernt, und machte sich seelenruhig an der Beifahrertür zu schaffen, die er öffnete, als hätte er sein Leben lang Autos geknackt.
Nun denn, dachte ich und hörte, wie er mit dem Hebel im Inneren die Kühlerhaube aufklinkte. Er klappte die Haube hoch, stützte sie mit der Stange ab und beugte sich im Licht einer Taschenlampe über den Motor, wie um eine Panne zu beheben: Wer in dem Moment in die Gasse gekommen wäre, hätte ihm keine Beachtung geschenkt.
Nach einer Weile knipste er die Taschenlampe aus und schloß sanft die Kühlerhaube, indem er sie mit beiden Handflächen herabdrückte, anstatt sie einfach zuzuknallen. Schließlich schloß er leise die noch offene Beifahrertür, und als er sich zum Gehen wandte, sah ich ihn lächeln.
Ich fragte mich, ob das, was er an meinem Motor zurückgelassen hatte, aus Plastik war wie seine Pistolen.
Er war mehrere Schritte die Gasse entlanggegangen, bevor ich aufstand, durch das Tor glitt und ihm nachsetzte, denn ich wollte nicht, daß er mich zu früh hörte.
Ich wartete, bis er an einem bestimmten weißen Kleinwagen, der auf der Seite stand, vorbei war, lief dann rasch auf leisen Gummisohlen zu ihm hin und leuchtete ihm mit meiner Taschenlampe ins Genick.
«Henri Nanterre«, sagte ich.
Er war einen langen Augenblick wie erstarrt, vor Schreck unfähig, sich zu rühren. Dann fingerte, zerrte er vorn an seiner Gabardinejacke, um die darunter steckende Pistole hervorzuholen.
«Sammy«, brüllte ich, und Sammy schoß wie eine kreischende Kanonenkugel aus dem kleinen weißen Wagen, meine Stimme und sein Kampfgeschrei erfüllten den ruhigen Ort mit nervenzerreißendem Lärm.
Nanterre zog starren Gesichts die Pistole. Er richtete sie auf mich, zielte… Und Sammy trat sie ihm glatt aus der Hand.
Nanterre rannte los, als die Pistole klappernd auf den Boden fiel.
Sammy und ich rannten hinter ihm her, und aus einem anderen, größeren geparkten Wagen tauchten mannhaft schreiend und mit hell strahlenden Taschenlampen Thomas und Litsi auf, um ihm den Weg abzuschneiden.
Thomas und Litsi brachten ihn zum Stehen, Sammy und ich packten ihn, und Sammy band das linke Handgelenk von Nanterre mit Nylonschnur und einer bestrickend schönen Knotenreihe an das rechte Handgelenk von Thomas.
Nicht die eleganteste Gefangennahme, dachte ich, aber immerhin zweckmäßig, und trotz dem Spektakel, den wir veranstaltet hatten, kam niemand mit neugierigen Fragen an; so blöd war in London kein Mensch. Dunkle Gassen waren dunkle Gassen, und wenn es da Krach gab, erst recht.
Wir zwangen Nanterre, zu dem Mercedes zurückzugehen. Thomas zerrte ihn halb, Sammy blieb hinter ihm und trieb ihn mit Wadentritten voran.
Als wir die Pistole erreichten, hob Sammy sie auf, wog sie erstaunt in der Hand und stieß einen Pfiff aus.
«Patronen?«fragte ich.
Er nahm das Magazin heraus und nickte.»Sieben«, sagte er.»Hübsche kleine Dinger.«
Er ließ das Magazin einrasten, sah sich um und sprang zu einem in der Nähe stehenden Wagen, um die Pistole darunter zu verstecken, denn er wußte, daß ich keinen Gebrauch von ihr machen wollte.
Nanterre gewann allmählich seine gewohnte einschüchternde Haltung und tönte lauthals, unser Vorgehen verstoße gegen das Gesetz. Er sagte nicht genau, welches Gesetz, und recht hatte er auch nicht. Festnahmen durch Bürger waren völlig legal.
Da wir nicht wußten, was uns erwartete, hatten wir uns so gut wie möglich auf alles einstellen müssen, was geschehen konnte.
Ich hatte den weißen Kleinwagen und den größeren dunklen gemietet, beide mit getönten Fenstern, und Thomas und ich hatten sie an diesem Morgen an Stellen geparkt, wo sie nach unseren Beobachtungen vor Ort niemand behindern würden: den größeren auf dem ersten freien Platz von der Straße aus, den weißen auf halber Strecke zwischen ihm und dem Mercedes.
Litsi, Thomas und Sammy hatten sich in die Autos gesetzt, nachdem ich die ganze Gegend abgesucht und Litsi telefonisch grünes Licht gegeben hatte, und sie waren darauf eingestellt gewesen, bis um halb zwei zu warten und zu hoffen.
Niemand hatte gewußt, was Nanterre tun würde, wenn er zu den Garagen kam. Wir hatten vereinbart, falls er an Lit-si und Thomas vorbeiging und sich versteckte, bevor er zu dem weißen Auto kam, sollten Litsi und Thomas Lärm schlagen und mit den Taschenlampen leuchten, um Sammy und mich zu Hilfe zu rufen; falls er aber an Sammy vorbeiging, würde ich ihn sehen, und alle würden auf mein Zeichen warten. Das hatten sie getan.
Uns war klargewesen, daß Nanterre auch beschließen könnte, draußen auf der Straße in seinem Wagen zu warten, bis ich vom Eaton Square zurückkam, und daß wir dann — oder falls er überhaupt nicht erschien — mit großem Aufwand einen Schlag ins Wasser vorbereitet hätten.