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»Tja«, sagte sie endlich. »Etwas so Seltsames ist mir noch nicht oft untergekommen.«

»Oh?« Ich war zwar immer noch belustigt, wurde aber langsam neugierig. »Werde ich einem mysteriösen Fremden begegnen oder eine Seereise unternehmen?«

»Vielleicht.« Mein ironischer Ton war Mrs. Graham nicht entgangen, und sie benutzte einen ähnlichen Ton und lächelte ein wenig. »Vielleicht auch nicht. Das ist ja das Merkwürdige an Ihrer Tasse, meine Liebe. Alles darin ist widersprüchlich. Das geschwungene Blatt für eine Reise ist da, aber es kreuzt sich mit dem geknickten Blatt, das bedeutet, dass man bleibt, wo man ist. Und Fremde gibt es auch, mehrere sogar. Und einer davon ist Ihr Mann, wenn ich die Blätter richtig lese.«

Meine Belustigung schwand ein wenig. Nach mehr als sechs Jahren der Trennung und insgesamt nur sechs gemeinsamen Monaten war mein Mann immer noch eine Art Fremder. Obwohl mir nicht klar war, woher ein Teeblatt das wissen sollte.

Mrs. Grahams Stirn war nach wie vor gerunzelt. »Lassen Sie mich Ihre Hand sehen, Kindchen«, bat sie.

Die Hand, die die meine hielt, war knochig, aber überraschend warm. Vom ordentlichen Scheitel des grauen Kopfes, der sich über meine Handfläche beugte, stieg Lavendelduft auf. Sie betrachtete meine Hand ziemlich lange. Hin und wieder zeichnete sie eine der Linien mit dem Finger nach, als folgte sie einer Landkarte, deren Straßen sich allesamt in angespültem Sand oder einsamen Wüsten verliefen.

»Nun, was ist mit meinen Handlinien?«, fragte ich und versuchte, unbeschwert zu klingen. »Oder ist mein Schicksal zu grauenvoll, um es zu enthüllen?«

Mrs. Graham hob fragend den Blick und sah mir nachdenklich ins Gesicht, doch sie ließ meine Hand nicht los. Sie schüttelte den Kopf und spitzte die Lippen.

»Oh nein, meine Liebe. Es ist ja nicht Ihr Schicksal, das in Ihrer Hand liegt. Nur seine Keimzelle.« Sie legte den Kopf schief wie ein Vogel und überlegte. »Wissen Sie, die Linien in Ihrer Hand verändern sich. Es ist gut möglich, dass sie zu einem anderen Zeitpunkt in Ihrem Leben völlig anders sind als jetzt.«

»Das wusste ich gar nicht. Ich dachte, man wird damit geboren, und das war’s dann.« Ich unterdrückte den Drang, meine Hand fortzuziehen. »Welchen Sinn hat denn dann das Handlesen?« Ich wollte gar nicht unhöflich klingen, aber die Art, wie sie mich unter die Lupe nahm, machte mich nervös, vor allem so unmittelbar nach der Episode mit dem Teesatz. Mrs. Graham lächelte unerwartet und schloss meine Finger über meiner Handfläche.

»Nun, die Linien auf Ihrer Handfläche zeigen, wer Sie sind, meine Liebe. Deshalb verändern sie sich auch mit der Zeit – oder sie sollten es zumindest. Bei manchen Leuten tun sie es nicht; bei denen, die sich unglücklicherweise nie weiterentwickeln. Aber davon gibt es nicht viele.« Sie drückte mir die zusammengefaltete Hand und tätschelte sie. »Ich bezweifle, dass Sie dazugehören. Ihre Hand zeigt ja jetzt schon außerordentlich viele Veränderungen für einen so jungen Menschen. Das liegt vermutlich am Krieg«, sagte sie wie zu sich selbst.

Jetzt wurde ich wieder neugierig und öffnete freiwillig die Hand.

»Was bin ich oder was ist mit mir nun – meiner Hand nach?«

Mrs. Graham runzelte erneut die Stirn, ergriff aber meine Hand nicht wieder.

»Ich kann es nicht sagen. Es ist merkwürdig, denn die meisten Hände haben etwas Wiedererkennbares an sich. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass man sie alle kennt, wenn man eine kennt, aber oft ist es so – es gibt bestimmte Muster.« Sie lächelte plötzlich, ein seltsam sympathisches Grinsen, bei dem sie ihre sehr weißen und offensichtlich künstlichen Zähne zeigte.

»So arbeiten Wahrsager nämlich. Ich mache das jedes Jahr beim Pfarrfest – zumindest hab ich das bis vor dem Krieg getan; wahrscheinlich werde ich es demnächst wieder machen. Und das geht folgendermaßen vor sich: Es kommt ein Mädchen ins Zelt – und da sitze ich dann, habe einen Turban mit einer Pfauenfeder auf dem Kopf, den ich mir von Mr. Donaldson ausgeborgt habe, und habe eine ›Robe von orientalischer Pracht‹ an, nämlich Mr. Wakefields gelben Morgenmantel, der dazu passend ebenfalls mit Pfauen verziert ist. Also, ich betrachte sie, während ich so tue, als ob ich ihre Hand studiere, und mir fällt auf, dass ihre Bluse bis zum Bauchnabel ausgeschnitten ist, sie billiges Parfum trägt und ihr riesige Ohrringe bis auf die Schultern baumeln. Ich brauche keine Kristallkugel, um ihr zu prophezeien, dass sie noch vor dem nächsten Pfarrfest ein Kind bekommen wird.« Mrs. Graham hielt inne, und der Schabernack funkelte ihr aus den grauen Augen. »Wenn allerdings die Hand, die ich halte, keinen Ring trägt, ist es taktvoll, erst vorherzusagen, dass sie bald heiraten wird.«

Ich lachte, genau wie sie. »Man sieht ihnen also gar nicht auf die Hände?«, fragte ich. »Außer um nach Ringen zu suchen?«

Sie sah mich überrascht an. »Oh doch, natürlich macht man das. Es ist nur so, dass man schon im Voraus weiß, was man sehen wird. Im Allgemeinen.« Sie wies kopfnickend auf meine offene Hand. »Aber dieses Muster habe ich noch nie gesehen. Der große Daumen, nun ja …«, sie beugte sich vor und berührte ihn sacht, »der dürfte sich kaum ändern. Er bedeutet, dass Sie willensstark sind und man Ihnen besser nicht widerspricht.« Sie sah mich augenzwinkernd an. »Das hätte mir vermutlich auch Ihr Mann sagen können. Genauso wie das da.« Sie zeigte auf die Erhebung an meiner Daumenwurzel.

»Was denn?«

»Man nennt es Venushügel.« Sie spitzte spröde die Lippen, obwohl sich ihre Mundwinkel unwillkürlich kringelten. »Bei einem Mann würde man sagen, er liebt die Frauen. Bei einer Frau liegen die Dinge ein bisschen anders. Um es höflich auszudrücken, spreche ich eine kleine Wahrsagung für Sie aus und behaupte, dass Ihr Mann vermutlich kaum auf Abwege geraten wird.« Sie stieß ein überraschend tiefes, anzügliches Glucksen aus, und ich errötete schwach.

Die Haushälterin beugte sich noch einmal über meine Hand und stieß hier und da mit ihrem spitzen Zeigefinger zu, um ihre Worte zu unterstreichen.

»Also, eine ausgeprägte Lebenslinie; Sie sind gesund und bleiben es wahrscheinlich auch. Die Lebenslinie ist unterbrochen, das bedeutet, dass sich Ihr Leben drastisch verändert hat – tja, das trifft wohl auf uns alle zu, nicht wahr? Aber Ihre ist zerstückelter, als ich das normalerweise sehe, lauter Einzelteile. Und Ihre Ehelinie, nun ja …«, sie schnaubte leicht durch die Nase, »sie ist zweigeteilt; das ist nicht ungewöhnlich, es bedeutet zwei Ehen …«

Meine Reaktion war nur schwach, und ich unterdrückte sie sofort, aber selbst das entging ihr nicht, und sie blickte sofort auf. Der grauhaarige Kopf schüttelte sich beruhigend.

»Nein, nein, Kleines. Das heißt nicht, dass Ihrem Mann etwas zustoßen wird. Aber wenn es so wäre …«, sie betonte das »Wenn« mit einem schwachen Händedruck, »dann wären Sie kein Mensch, der in Melancholie versinkt und den Rest seines Lebens vertrauert. Was es bedeutet, ist, dass Sie zu denen gehören, die wieder lieben können, wenn Ihre erste Liebe verlorengeht.«

Sie blinzelte kurzsichtig auf meine Handfläche und fuhr mit ihrem harten, zerfurchten Fingernagel sanft über die tiefe Ehelinie. »Aber die meisten geteilten Ehelinien sind unterbrochen – Ihre gabelt sich.« Sie blickte mit einem schelmischen Lächeln auf. »Sind Sie sicher, dass Sie keine heimliche Bigamistin sind?«

Ich schüttelte den Kopf und lachte. »Nein. Wann soll ich denn dazu Zeit haben?« Dann drehte ich meine Hand um, so dass ihre Außenkante zu sehen war.

»Ich habe gehört, dass kleine Markierungen an der Seite der Hand anzeigen, wie viele Kinder man bekommen wird?« Mein Ton war beiläufig, hoffte ich. Meine Handkante war enttäuschend glatt.

Mrs. Graham tat diesen Gedanken mit einem verächtlichen Prusten ab.

»Pah! Wenn Sie ein oder zwei Kinder haben, bekommen Sie da vielleicht im Nachhinein Falten. Vermutlich bekommen Sie sie aber weitaus eher im Gesicht. Solche Furchen in der Handkante sagen im Voraus gar nichts aus.«