Inzwischen war ich wieder bei Atem, und ich benutzte ihn auch. Ich schrie ihm direkt ins Ohr, und er fuhr zusammen, als hätte ich ihm einen heißen Draht hineingebohrt. Ich nutzte seine Bewegung, um mein Knie hochzuziehen, und rammte es ihm in die Seite, so dass er ins Laub rollte.
Ungeschickt rappelte ich mich auf. Er kam mit einer gekonnten Bewegung neben mir zum Stehen. Ich sah mich panisch um und suchte nach einem Ausweg, aber wir befanden uns am Fuß einer dieser Felsklippen, die sich manchmal so abrupt aus dem Boden der schottischen Highlands erheben. Er hatte mich an einer Stelle eingeholt, an der der Fels eine kleine Mulde bildete. Er versperrte mir mit ausgestreckten Armen den Eingang, eine Mischung aus Ärger und Neugier in seinem attraktiven dunklen Gesicht.
»Mit wem seid Ihr zusammen gewesen?«, wollte er wissen. »Frank, wer auch immer das ist? Ich habe keinen Mann dieses Namens in meiner Kompanie. Oder ist es jemand, der hier in der Nähe wohnt?« Er lächelte voll Spott. »Eure Haut riecht nicht nach Dung, also war es kein Bauer. Dazu seht Ihr auch ein bisschen zu teuer aus.«
Ich ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. Es war mir absolut egal, was dieser Witzbold vorhatte – mir war in keinem Fall danach.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich auf der Stelle vorbeilassen würden!«, sagte ich in meinem besten Stationsschwesternton. Dieser verfehlte normalerweise seine Wirkung auf widerspenstiges Hilfspersonal und junge Praktikanten nicht, doch Hauptmann Randall schien er höchstens zu amüsieren. Entschlossen unterdrückte ich die Gefühle der Angst und der Orientierungslosigkeit, die wie aufgescheuchte Hühner unter meinen Rippen umherflatterten.
Er schüttelte langsam den Kopf und betrachtete mich noch einmal ganz genau.
»Später vielleicht, Täubchen. Ich frage mich«, sagte er im Plauderton, »warum eine Hure im Hemd herumläuft, aber dabei Schuhe trägt? Noch dazu so gute«, fügte er mit einem Blick auf meine einfachen braunen Halbschuhe hinzu.
»Eine was!?«, rief ich empört aus.
Er ignorierte mich komplett. Sein Blick war wieder auf mein Gesicht gerichtet, und plötzlich trat er vor und nahm mein Kinn in die Hand. Ich packte sein Handgelenk und riss daran.
»Loslassen!« Er hatte Finger wie Stahl. Ohne meine Befreiungsversuche zu beachten, drehte er mein Gesicht hin und her, so dass es von der verblassenden Nachmittagssonne beleuchtet wurde.
»Die Haut einer Dame, das schwöre ich«, murmelte er vor sich hin. Er beugte sich vor und schnüffelte, »… und französisches Parfum im Haar.« Dann ließ er los, und ich rieb mir ungehalten das Kinn, als könnte ich so die Berührung ausradieren, die ich immer noch auf meiner Haut spürte.
»Der Rest ist vielleicht mit dem Geld eines Gönners hinzubekommen«, sinnierte er, »aber Ihr habt auch die Ausdrucksweise einer Dame.«
»Oh, danke!«, fuhr ich ihn an. »Gehen Sie mir aus dem Weg. Mein Mann erwartet mich; wenn ich nicht in zehn Minuten zurück bin, wird er nach mir suchen.«
»Oh, Euer Mann?« Die Mischung aus Spott und Bewunderung verblasste ein wenig, verschwand aber nicht ganz. »Und wie, bitte, lautet der Name Eures Mannes? Wo ist er? Und warum lässt er es zu, dass seine Frau halb bekleidet und allein durch einen einsamen Wald wandert?«
Schon die ganze Zeit schnürte ich jenem Teil meines Hirns, der verzweifelt versuchte, sich einen Reim auf die Ereignisse des Nachmittags zu machen, entschlossen die Luft ab. Jetzt gelang es meinen grauen Zellen, sich gerade so lange zu befreien, dass sie mir mitteilen konnten, dass ich seine Schlussfolgerungen gern absurd finden konnte, dass es jedoch nur zu weiteren Schwierigkeiten führen würde, wenn ich diesem Mann Franks Namen nannte, der schließlich derselbe war wie der seine. Statt ihn einer Antwort zu würdigen, versuchte ich daher, mich an ihm vorbeizuschieben. Er versperrte mir mit seinem muskulösen Arm den Weg und streckte die andere Hand nach mir aus. Da kam von oben ein überraschendes Wusch, augenblicklich gefolgt von einem verschwommenen Fleck und einem dumpfen Aufprall. Hauptmann Randall lag zu meinen Füßen auf dem Boden unter einer Masse, die aussah wie ein kariertes Lumpenbündel. Eine braune Faust hob sich wie ein Stein aus dieser Masse, senkte sich blitzschnell wieder und entschied die Situation, indem sie krachend auf einem Knochen landete. Die zuckenden Beine des Hauptmanns in ihren glänzenden braunen Stiefeln entspannten sich plötzlich.
Nun sah ich mich einem scharfen schwarzen Augenpaar gegenüber. Die sehnige Hand, die die ungebetene Aufmerksamkeit des Hauptmanns von mir abgelenkt hatte, hatte sich wie eine Klette an meinen Unterarm geklammert.
»Und wer zum Teufel sind Sie?«, fragte ich erstaunt. Mein Retter, wenn ich ihn denn so bezeichnen wollte, war um einiges kleiner als ich und schmal gebaut. Doch die Arme, die aus seinem zerlumpten Hemd ragten, bestanden aus nichts als Muskeln, und sein gesamter übriger Körper schien aus dem elastischen Material einer Bettfeder zu bestehen. Als Schönheit konnte man ihn auch nicht bezeichnen – mit seiner pockennarbigen Haut, der niedrigen Stirn, dem schmalen Kinn.
»Hier entlang.« Er zerrte an meinem Arm, und ich war so verblüfft vom Ansturm der Ereignisse, dass ich ihm gehorsam folgte.
Mein neuer Begleiter schob sich im Eiltempo durch einen Erlenhain, bog abrupt um einen großen Felsen, und unvermittelt befanden wir uns auf einem Weg. Er war mit Ginster und Heidekraut überwuchert und verlief derart im Zickzack, dass nie mehr als zwei Meter am Stück zu sehen waren, doch es war eindeutig ein Weg, der steil auf einen Hügelkamm zuführte.
Erst als wir auf der anderen Seite vorsichtig abstiegen, war ich wieder so weit bei Atem und bei Verstand, dass ich ihn fragte, wohin wir gingen. Da ich keine Antwort von meinem Begleiter bekam, wiederholte ich lauter: »Wohin in aller Welt gehen wir?«
Zu meiner großen Verblüffung wirbelte er mit verzerrtem Gesicht zu mir herum und schubste mich vom Weg hinunter. Als ich den Mund öffnete, um zu protestieren, presste er seine Hand darauf, zog mich zu Boden und wälzte sich auf mich.
Nicht schon wieder!, dachte ich und wand mich verzweifelt hin und her, um mich zu befreien – als ich hörte, was er gehört hatte. Stimmen, die sich etwas zuriefen, begleitet von Trampeln und Platschen. Es waren eindeutig englische Stimmen. Mit aller Kraft versuchte ich, meinen Mund zu befreien. Ich bohrte ihm die Zähne in die Hand und hatte gerade noch Zeit zu registrieren, dass er eingelegte Heringe mit den Fingern gegessen hatte, als etwas von hinten gegen meinen Schädel krachte und es dunkel wurde.
Die steinerne Kate tauchte unvermittelt aus dem Dunst des Abendnebels auf. Die Fensterläden waren fest geschlossen, so dass nicht mehr als ein schmaler Lichtstreifen zu sehen war. Da ich keine Ahnung hatte, wie lange ich bewusstlos gewesen war, konnte ich nicht sagen, wie weit sie von dem Hügel Craigh na Dun oder von Inverness entfernt war. Wir befanden uns auf einem Pferd; ich saß vor meinem Bewacher, die Hände an den Sattelknauf gefesselt, doch es gab keine Straße, daher kamen wir nur sehr langsam voran.
Ich glaubte nicht, dass ich lange weg gewesen war; ich hatte keine Symptome einer Gehirnerschütterung und spürte auch sonst keine Nachwirkungen des Schlages außer einer schmerzenden Stelle am Hinterkopf. Mein Bewacher, ein Mann, der nicht viele Worte machte, hatte auf all meine Fragen, Forderungen und bissigen Bemerkungen mit jenem vielseitig anwendbaren schottischen Laut geantwortet, der sich phonetisch am besten mit »Mmmmpfm« umschreiben lässt. Hätte ich irgendwelchen Zweifel an seiner Nationalität gehabt, hätte dieses Geräusch allein ausgereicht, um ihn auszuräumen.
Meine Augen hatten sich allmählich an das schwindende Licht im Freien gewöhnt, während das Pferd über Stock und Stein stolperte. Daher war es ein Schock, aus der fast vollständigen Dunkelheit in das scheinbar gleißende Licht im Inneren der Hütte zu treten. Als mein Gefühl, geblendet zu sein, endlich nachließ, stellte ich fest, dass das Zimmer tatsächlich nur von einem Feuer, mehreren Kerzen und einer gefährlich altmodisch aussehenden Öllampe beleuchtet wurde.