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»Hm.« Anselm grunzte nachdenklich und winkte einem Laienbruder zu, der mit einem frischen Pastetchen und neuem Ale herbeieilte. Er füllte beide Becher nach, ehe er wieder sprach.

»Ihr mögt ja ein Leben genommen haben, doch Ihr habt Leben bewahrt. Wie viele der Kranken, die Ihr behandelt habt, wären ohne Euer Dazutun gestorben? Auch sie werden Einfluss auf die Zukunft nehmen. Was, wenn ein Mensch, den Ihr gerettet habt, etwas Furchtbares tut? Ist das Eure Schuld? Hättet Ihr diese Person daher besser sterben lassen? Natürlich nicht.« Er stieß zur Betonung seinen Zinnbecher auf den Tisch, dessen Inhalt leicht überschwappte.

»Ihr sagt, Ihr habt Angst, hier zu handeln, weil Ihr fürchtet, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen. Das ist unlogisch, Madame. Jeder nimmt mit seinem Tun Einfluss auf die Zukunft. Wärt Ihr an Eurem eigenen Ort geblieben, hätten Eure Handlungen immer noch Einfluss auf das gehabt, was noch kommt, nicht weniger, als sie es jetzt tun werden. Ihr habt nach wie vor dieselbe Verantwortung, die Ihr damals hattet – die jeder Mensch jederzeit hat. Der einzige Unterschied ist der, dass Ihr möglicherweise in der Lage seid, klarer zu sehen, welche Wirkung Eure Handlungen haben könnten – vielleicht aber auch nicht.« Er schüttelte den Kopf und sah mich über den Tisch hinweg an.

»Die Wege des Herrn sind uns verborgen, und dies gewiss mit gutem Grund. Ihr habt recht, ma chère, das Kirchenrecht wurde nicht im Hinblick auf Situationen wie die Eure formuliert, daher habt Ihr wenig anderen Beistand als Euer Gewissen und die Hand Gottes. Ich kann Euch nicht sagen, was Ihr tun solltet oder nicht tun solltet. Ihr habt die freie Wahl, genau wie jeder andere auf dieser Welt. Und ich glaube, dass die Geschichte die Summe all dieser freien Entscheidungen ist. Manche Individuen werden von Gott erwählt, um das Schicksal vieler zu bestimmen. Vielleicht seid Ihr eines davon. Vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht, warum Ihr hier seid. Ihr wisst es ebenso wenig. Wahrscheinlich wird es auch niemand von uns je erfahren.« Er verdrehte ironisch die Augen. »Manchmal weiß ich ja nicht einmal, warum ich hier bin!« Ich lachte, und er antwortete mit einem Lächeln. Dann beugte er sich über die groben Tischplanken zu mir herüber und sah mich gebannt an.

»Eure Kenntnis der Zukunft ist ein Werkzeug, das Euch mitgegeben wurde, so wie sich ein Schiffbrüchiger vielleicht im Besitz eines Messers oder einer Angelschnur befindet. Es ist nicht unmoralisch, es zu benutzen, solange Ihr es im Einvernehmen mit dem Diktat des göttlichen Gesetzes tut, so gut Ihr könnt.«

Er hielt inne, holte tief Luft und atmete mit einem derart heftigen Seufzer aus, dass es ihm den seidigen Schnurrbart zerzauste. Er lächelte.

»Und das, ma chère madame, ist alles, was ich Euch sagen kann. Es ist nicht mehr, als ich jeder geplagten Seele sagen kann, die mich um Rat bittet: Vertraut auf Gott und betet um Beistand.«

Er schob das frische Pastetchen zu mir hinüber.

»Doch was auch immer Ihr tut, Ihr werdet Kraft dazu brauchen. Nehmt also einen letzten Rat an: Im Fall des Zweifels esst etwas.«

Als ich abends in Jamies Zimmer kam, lag er auf dem Bauch, hatte den Kopf friedlich auf die Unterarme gebettet und schlief. Die leere Suppenschale stand gesittet auf dem Tablett, daneben der unberührte Teller mit Brot und Fleisch. Ich ließ den Blick von seinem unschuldigen, träumenden Gesicht zum Teller und zurück schweifen. Dann berührte ich das Brot. Mein Finger hinterließ eine kleine Delle in der feuchten Oberfläche. Frisch.

Ich ließ ihn schlafen und machte mich auf die Suche nach Bruder Roger, den ich in der Molkerei fand.

»Hat er Brot und Fleisch gegessen?«, fragte ich ohne Umschweife.

Bruder Roger lächelte in seinen Wuschelbart hinein. »Ja.«

»Hat er es bei sich behalten?«

»Nein.«

Ich sah ihn scharf an. »Ihr habt hoffentlich nicht hinter ihm sauber gemacht?«

Das belustigte ihn, und die runden Wangen über seinem Bart röteten sich. »Hätte ich das gewagt? Nein, er war so vorsichtig, eine Schüssel in Reichweite zu haben.«

»Verdammter, listiger Schotte«, sagte ich und lachte unwillkürlich. Ich kehrte zu seiner Kammer zurück und küsste ihn sacht auf die Stirn. Er bewegte sich zwar, erwachte aber nicht. Ich beherzigte Vater Anselms Rat und nahm den Teller mit dem frischen Brot und dem Fleisch zum Abendessen in mein Zimmer mit.

Weil ich Jamie Zeit zur Erholung lassen wollte, sowohl von seiner schlechten Laune als auch von seiner Übelkeit, verbrachte ich den Großteil des nächsten Tages in meinem Zimmer und las in einem Kräuterbuch, das ich von Bruder Ambrose bekommen hatte. Nach dem Mittagessen wollte ich einen Blick auf meinen widerspenstigen Patienten werfen. An Jamies Stelle traf ich jedoch Murtagh an, der auf einem Hocker saß, den er rückwärts an die Wand gekippt hatte, und der mich verwundert betrachtete.

»Wo ist er?«, sagte ich und blickte mich verständnislos im Zimmer um.

Murtagh wies mit einem Ruck seines Daumens zum Fenster. Es war ein kalter, finsterer Tag, und die Lampen brannten. Das Fenster war nicht verhangen, und der eisige Luftzug ließ die kleine Flamme in ihrem Behältnis flackern.

»Er ist draußen?«, fragte ich ungläubig. »Wo? Warum? Und was in aller Welt hat er an?«

Jamie hatte die vergangenen Tage weitgehend nackt verbracht, weil es im Zimmer warm war und ihm jeder Druck auf seine heilenden Wunden Schmerzen bereitete. Er hatte das Gewand eines Mönchs getragen, wenn er mit Bruder Rogers Hilfe die nötigen kurzen Ausflüge aus seinem Zimmer unternahm, doch die Kutte lag ordentlich zusammengefaltet am Fuß des Bettes.

Murtagh ließ den Hocker nach vorn kippen und musterte mich wie eine Eule.

»Wie viele Fragen sind das? Vier?« Er hielt die Hand hoch und streckte den Zeigefinger aus.

»Erstens: Aye, er ist draußen.« Der Mittelfinger erhob sich. »Zweitens: Woher soll ich das wissen?« Der Ringfinger kam dazu. »Drittens: Warum? Er hat gesagt, er hätte es satt, hier eingesperrt zu sein.« Der kleine Finger wackelte kurz. »Viertens: Keine Ahnung. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hatte er gar nichts an.«

Murtagh faltete die vier Finger zusammen und streckte den Daumen aus.

»Und danach hast du mich zwar nicht gefragt, aber er ist seit ungefähr einer Stunde fort.«

Ich kochte innerlich und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Da der eigentliche Übeltäter nicht verfügbar war, ging ich stattdessen auf Murtagh los.

»Weißt du denn nicht, dass es da draußen beinahe friert und dass Schnee heraufzieht? Warum hast du ihn denn nicht aufgehalten? Und wie meinst du das, er hat gar nichts an?«

Der knorrige Schotte ließ sich nicht beirren. »Aye, ich weiß. Er vermutlich auch, denn er ist ja nicht blind. Was das Aufhalten angeht, ich habe es versucht.« Er wies kopfnickend auf die Robe auf dem Bett.

»Als er gesagt hat, er würde ins Freie gehen, habe ich gesagt, dafür wäre er noch nicht kräftig genug und du würdest mir den Kopf abreißen, wenn ich ihn gehen ließe. Ich habe mir seine Kutte genommen und mich mit dem Rücken an die Tür gestellt und ihm gesagt, er könnte dieses Zimmer nur verlassen, wenn er bereit wäre, durch mich hindurchzugehen.«

Murtagh hielt inne, dann sagte er völlig belangloserweise: »Ellen MacKenzie hatte das reizendste Lächeln, das ich je gesehen habe; ein Anblick, der einen Mann durch und durch erwärmen konnte.«

»Also hast du ihren sturköpfigen Sohn gehen lassen, auf dass er erfriert«, sagte ich ungeduldig. »Was hat denn das Lächeln seiner Mutter damit zu tun?«

Murtagh rieb sich nachdenklich die Nase. »Nun, als ich gesagt habe, dass ich ihn nicht gehen lasse, hat mich unser lieber Jamie einfach nur angesehen. Dann hat er mich angelächelt, wie es sonst nur seine Ma konnte, und ist wieselflink splitternackt aus dem Fenster gestiegen. Bis ich am Fenster war, war er fort.«

Ich verdrehte die Augen.