»Ich dachte, du wüsstest gern, wohin er gegangen ist«, fuhr Murtagh fort, »damit du dir keine Sorgen um ihn machst.«
»Damit ich mir keine Sorgen um ihn mache«, knurrte ich auf dem Weg zum Stall vor mich hin. »Er sollte sich besser Sorgen um sich selbst machen, wenn ich ihn erwische!«
Es gab nur die eine Straße, die ins Landesinnere führte. Ich ritt in energischem Tempo vor mich hin und behielt im Vorbeireiten die Felder im Auge. In diesem Teil Frankreichs wurde viel Ackerbau betrieben, und der Wald war glücklicherweise zum Großteil gerodet; hier bestand weniger Gefahr durch Wölfe und Bären als weiter im Inneren.
Ich fand ihn kaum eine Meile jenseits der Klostertore. Er saß auf einem der alten römischen Meilensteine, die die Straßen säumten.
Er war zwar barfuß, trug aber ansonsten ein kurzes Hemd und eine dünne Kniehose, den Flecken nach Eigentum eines der Stalljungen.
Ich parierte das Pferd zum Stehen durch und sah ihn einen Moment auf den Sattel gestützt an. »Deine Nase ist blau«, stellte ich im Konversationston fest. Ich senkte den Blick. »Deine Füße auch.«
Er grinste und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
»Und meine Eier. Möchtest du sie mir wärmen?« Trotz der Kälte war er offensichtlich bester Laune. Ich stieg vom Pferd und stellte mich kopfschüttelnd vor ihn hin.
»Es nützt alles nichts, oder?«, fragte ich.
»Was denn?« Er rieb sich mit der Hand über die zerschlissene Hose.
»Mit dir zu schimpfen. Du scherst dich keinen Deut darum, ob du dir eine Lungenentzündung holst oder von Bären gefressen wirst oder ich mich halb zu Tode sorge, oder?«
»Also, wegen der Bären mache ich mir keine großen Sorgen. Sie halten nämlich Winterschlaf.«
Ich verlor die Beherrschung und holte aus, um ihn so zu ohrfeigen, dass ihm Hören und Sehen verging. Er fing mein Handgelenk mit Leichtigkeit ab, hielt es fest und lachte. Nach kurzem sinnlosem Ringen gab ich besiegt auf und lachte nun ebenfalls.
»Kommst du jetzt mit zurück?«, fragte ich. »Oder hast du noch etwas zu beweisen?«
Er wies mit dem Kinn ein Stück zurück. »Reite bis zu der großen Eiche und warte dort auf mich. Ich gehe bis dahin zu Fuß. Allein.«
Ich biss mir auf die Zunge, um die diversen Bemerkungen zurückzuhalten, die mit aller Macht an die Oberfläche wollten, und stieg auf. Bei der Eiche stieg ich ab und sah mich nach ihm um. Doch kurz darauf stellte ich fest, dass ich sein mühseliges Vorankommen nicht mehr mit ansehen konnte. Als er das erste Mal hinfiel, klammerte ich meine Handschuhe fest um die Zügel, dann wandte ich mich entschlossen ab und wartete.
Wir schafften es nur mit Mühe und Not bis zum Gästeflügel, doch am Ende bewerkstelligten wir es, indem er sich mit dem Arm auf meine Schulter stützte, während wir durch den Korridor wankten. Ich erspähte Bruder Roger, der sich nervös im Flur herumdrückte, und schickte ihn eine Wärmflasche holen, während ich meine sperrige Bürde in das Zimmer schob und auf das Bett fallen ließ. Der Aufprall ließ ihn zwar aufstöhnen, doch er lag still und hielt die Augen geschlossen, während ich ihm die schmutzigen Lumpen auszog.
»Also schön, ab unter die Decke.«
Er rollte sich gehorsam unter die Bettdecke, die ich für ihn hochhielt. Hastig schob ich ihm die Wärmflasche am Fußende zwischen die Laken und bewegte sie hin und her. Nachdem ich sie wieder herausgezogen hatte, streckte er die langen Beine aus und entspannte sich mit einem seligen Seufzer, als seine Füße das Nest aus Wärme fanden.
Ich bewegte mich leise durch das Zimmer, hob die abgelegten Kleider auf, räumte das Durcheinander auf dem Tisch auf, legte frische Holzkohle in das Kohlebecken und fügte eine Prise Helenenkraut hinzu, um den Rauch zu versüßen. Ich dachte, er schliefe, und schrak zusammen, als seine Stimme hinter mir erklang.
»Claire?«
»Ja.«
»Ich liebe dich.«
»Oh.« Ich war etwas überrascht, aber unleugbar erfreut. »Ich liebe dich auch.«
Er seufzte und öffnete die Augen zur Hälfte.
»Randall«, sagte er. »Als es fast vorbei war. Das war es, was er wollte.« Das erschreckte mich noch mehr, und ich erwiderte vorsichtig: »Oh?«
»Aye.« Sein Blick war auf das offene Fenster gerichtet, das durch die am Himmel hängenden Schneewolken mit tiefem, ebenmäßigem Grau erfüllt war.
»Ich habe auf dem Boden gelegen, und er lag neben mir. Er war jetzt auch nackt, und wir waren beide mit Blut verschmiert … und anderen Dingen. Ich weiß noch, dass ich versucht habe, den Kopf zu heben, und gespürt habe, dass das getrocknete Blut mir die Wange an die Steine klebte.« Er runzelte die Stirn, und seine Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an, als er die Erinnerung noch einmal heraufbeschwor.
»Ich war zu diesem Zeitpunkt so erschöpft, dass ich kaum noch Schmerzen empfand – ich war einfach nur furchtbar müde, und alles kam mir weit entfernt und unwirklich vor.«
»Besser so«, sagte ich mit einem Hauch von Schärfe, und er lächelte kurz.
»Aye, besser so. Ich bin ein wenig abgedriftet, vermutlich halb bewusstlos, deshalb weiß ich nicht, wie lange wir beide dort gelegen haben, aber als ich wach wurde, hatte er mich im Arm und hat mich fest an sich gedrückt.« Er zögerte, als wäre das, was jetzt kam, nur schwer über die Lippen zu bringen.
»Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich nicht gewehrt. Aber ich war so müde, und ich dachte, ich könnte es nicht noch einmal ertragen … Jedenfalls habe ich angefangen, mich von ihm fortzuwinden. Ich habe mich nicht richtig gewehrt, sondern bin nur zurückgewichen. Er hat die Arme um meinen Hals gelegt, mich eng an sich gezogen und den Kopf an meiner Schulter vergraben. Dabei konnte ich spüren, dass er weinte. Erst habe ich nicht verstanden, was er gesagt hat, dann aber doch; er hat ›Ich liebe dich, ich liebe dich‹ gesagt, wieder und wieder, und dabei sind mir seine Tränen und sein Speichel über die Brust gelaufen.« Jamie erschauerte kurz, vielleicht vor Kälte, vielleicht bei der Erinnerung. Er atmete so tief aus, dass er die Wolke aus duftendem Rauch verwirbelte, die unter der Decke schwebte.
»Ich habe keine Ahnung, warum ich es getan habe. Aber ich habe die Arme um ihn gelegt, und eine Weile haben wir nur still dagelegen. Schließlich hat er aufgehört zu weinen und mich geküsst und gestreichelt. Dann hat er mir zugeflüstert: ›Sag mir, dass du mich liebst.‹« Er hielt mit seiner Schilderung inne und lächelte schwach.
»Ich habe es nicht getan. Ich weiß nicht, warum. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich ihm die Stiefel geleckt oder ihn den König von Schottland genannt. Aber ich war nicht bereit, ihm das zu sagen. Ich erinnere mich noch nicht einmal, darüber nachgedacht zu haben; es … ging einfach nicht.« Er seufzte, und seine gesunde Hand zuckte und packte die Bettdecke.
»Er hat mich noch einmal genommen – brutal. Und hat nicht aufgehört, es zu sagen: ›Sag mir, dass du mich liebst, Alex. Sag, dass du mich liebst.‹«
»Er hat dich Alex genannt?«, unterbrach ich ihn, weil ich die Frage nicht für mich behalten konnte.
»Aye. Ich weiß noch, dass ich erstaunt war, woher er meinen Zweitnamen kannte. Bin aber nicht darauf gekommen, mich zu fragen, warum er ihn benutzte, selbst wenn er ihn kannte.« Er zuckte mit den Schultern.
»Jedenfalls habe ich mich nicht bewegt und kein Wort gesagt, und als er fertig war, ist er aufgesprungen, als hätte er den Verstand verloren, und hat angefangen, mit irgendetwas auf mich einzuprügeln – ich konnte nicht sehen, womit – und zu fluchen und mich anzubrüllen: ›Du weißt genau, dass du mich liebst! Sag es mir! Ich weiß, dass es wahr ist!‹ Ich habe mir die Arme vor den Kopf gehalten, um ihn zu schützen, und nach einer Weile muss ich wieder ohnmächtig geworden sein, weil die Schmerzen in meinen Schultern das Letzte waren, woran ich mich erinnere – bis ich eine Art Traum von brüllenden Rindern hatte. Dann bin ich ein paar Sekunden aufgewacht, weil ich bäuchlings auf einem Pferd durchgerüttelt wurde. Und dann nichts mehr, bis ich vor dem Kamin in Eldridge zu mir gekommen bin und du mich angesehen hast.« Er schloss die Augen wieder. Sein Ton war verträumt und beinahe gleichgültig.