»Und du hast noch nie jemanden geküsst?«
»Nun ja, meine Mutter«, sagte sie immer noch stirnrunzelnd und mit geschlossenen Augen. »Also los.«
Er nahm die Hand von ihrer Wange und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Maria, Josef und Bride, steht uns bei«, murmelte er. Allmählich dämmerte ihm, dass es möglicherweise deutlich komplizierter war als gedacht, Ellen MacKenzie zu stehlen.
»Warum hat dich denn noch nie jemand geküsst?«, wollte er wissen.
»Weil mein Vater oder meine Brüder jeden kastriert hätten, der es versucht hätte«, erwiderte sie. Sie öffnete die Augen und sah ihn direkt an. »Malcolm Grant hat es allerdings versucht, und ich habe ihm gesagt, ich würde ihn kastrieren.«
»Und das hat ihn aufgehalten.« Sie kniff die Augen zusammen, weil sie seine Skepsis hörte.
»Aye, das hat es«, sagte sie, und er hörte einen neuen Unterton in ihrer Stimme. Sie hielt ihn jetzt nicht mehr zum Narren – wenn sie es denn je getan hatte.
»Er hat mich gebeten, mit ihm ein Stück durch den Garten zu gehen, und Colum hat mir diesen bösen Blick zugeworfen, der sagte, ich müsste es tun, also habe ich es getan. Sobald wir außer Sichtweite waren, hat er mich beim Arm genommen und gesagt, es sei abgemachte Sache zwischen ihm und Colum, dass ich ihn heiraten sollte. Dann hat er Anstalten gemacht, mich zu küssen, und ich habe ihn von mir gestoßen. Er dachte, ich spiele die Schüchterne, und hat es noch einmal versucht – da habe ich mir den Sgian dhu aus dem Mieder gezogen und gesagt, wenn er das noch einmal versuchte, würde ich ihn kastrieren. Und wenn er glaubte, er könnte mich gegen meinen Willen heiraten, sollte er noch einmal genau nachdenken.«
Er erinnerte sich an ihr Gesicht, als sie aus dem Garten gestürmt kam, und er schluckte.
»Und dann?«, fragte er.
Sie sah ihn an, dann wandte sie den Blick ab. Sie war errötet, und das Flattern in ihrem Hals war kräftiger geworden.
»Er hat gesagt«, zischte sie, »es wäre Zeit, dass ich Gehorsam lerne. Und ich habe gesagt, es stünde ihm nicht zu, so mit mir zu sprechen. Und er hat gesagt …«, ihre Augen glitzerten jetzt, dunkel vor Wut, »ich würde seine Frau werden, und er würde mich auf der Stelle dazu machen.«
Grant hatte sie an beiden Handgelenken gepackt, hatte aber eine Hand loslassen müssen, um sich durch ihre Röcke zu kämpfen. Woraufhin sie mit der freien Hand seine Augen gekratzt hatte, das andere Handgelenk losgerissen hatte und einen glaubwürdigen Versuch unternommen hatte, ihre Drohung wahr zu machen.
»Aber er ist mir entwischt«, sagte sie mit nach wie vor finsterer Miene. »Und ich bin davongerannt.«
Ein dumpfes Gefühl beschlich ihn, als er all das hörte.
»Hör mir zu, a nighean ruaidh«, sagte er, und sie erstarrte sacht. Er holte tief Luft, doch es musste ausgesprochen werden. »Hast du mich nur gebeten, dich von dort fortzubringen, weil du nicht Malcom Grants Frau werden wolltest und du gedacht hast, ich würde es tun? Oder … wolltest du mich? Denn eins sage ich dir, Kleine, ich werde dir nicht die Jungfernhaut nehmen, nur weil du sie Grant nicht gönnst.«
War er so verrückt, wie Murtagh gesagt hatte? Verrückt, ihr zu trauen, verrückter noch, sie zu nehmen?
Allmählich dämmerte ihm das Ausmaß dessen, was er getan hatte.
Was lange währt …
Natürlich war ich begeistert, als ich im Sommer 2014 gefragt wurde, ob ich die ersten drei Bände von Diana Gabaldons »Outlander«-Reihe neu übersetzen möchte. Davon habe ich geträumt, seit mir 1992 eine amerikanische Freundin ihr eselsohriges Exemplar des ersten Buchs geschickt hat – versehen mit der augenzwinkernden Anmerkung, einige Seiten wären zwar verdächtig gewellt, das käme aber nur daher, dass sie das Buch mit im Whirlpool hatte, und es hätte natürlich nichts mit verheulten Lesestunden zu tun – und ich Dianas einzigartigem Stil von der ersten Seite an verfallen bin.
Eins von Dianas Büchern zu übersetzen ist immer ein gewaltiges Unterfangen, bei dem ich lache und weine wie jeder andere Leser auch, bei dem immer gegen Ende die Zeit knapp wird, das Adrenalin in Strömen fließt und mein Verbrauch an Kerzen, die mir in den durchgearbeiteten Nächten Gesellschaft leisten, in den Himmel steigt.
Was mir nicht klar war, als ich diesmal überglücklich ja gesagt habe, war, dass ich ein Buch neu erschaffen würde, das seit zwanzig Jahren das Lieblingsbuch einer ganzen Legion von Lesern ist. Das ist durchaus eine einschüchternde Vorstellung, und ich kann nur hoffen, dass auch meine Version ihren Weg in die Lieblingsbuch-Regale finden wird.
Meine Vorlage war in jedem Fall nur der englische Originaltext, nicht die existierende Übersetzung, in die ich überhaupt in all der Zeit nur einmal einen Blick geworfen habe – bei der Arbeit an der deutschen Fassung von »Der magische Steinkreis«. Dieses Buch enthält zahlreiche Zitate aus den Romanen – die ich natürlich auch aus den gedruckten Ausgaben der ersten drei Bücher übernehmen wollte. Dabei musste ich feststellen, dass viele dieser Textstellen entweder gar nicht existierten oder so stark gekürzt waren, dass sie für den anstehenden Zweck nicht zu verwenden waren. Diese Kürzungen waren letztlich auch der Grund für den Verlag, eine neue, diesmal vollständige Übersetzung in Auftrag zu geben.
Kaum hatte ich also letzten Sommer die Lutherbibel und den Tieck-und-Schlegelschen Shakespeare von meinem Schreibtisch geräumt, galt es, die bewährten Zitat-Lieferanten wieder hervorzuholen und mich erneut an die Arbeit zu machen. »Ein Schatten von Verrat und Liebe« stand gerade eine Woche in den Buchhandlungen, als für mich das Erlebnis begann, nach dem achten Band der Highland-Saga, in dem Diana virtuos mit acht sehr unterschiedlichen Erzählperspektiven und »Stimmen« jongliert, ihr legendäres »Übungsbuch« zu übersetzen: Technisch ist »Feuer und Stein« eine Fingerübung in der ersten Person, erzählerisch ist es nicht weniger packend, rührend und menschlich wahr als alles, was in den folgenden Jahren und Büchern folgte. Wenn es einen Unterschied bei der Arbeit an den beiden Büchern gab, so war es der zwischen der Freude daran, bei der Entstehung von »Ein Schatten …« während des Wartens auf die nächsten Kapitel immer wieder gemeinsam mit Diana kleine technische Haken auszubügeln, und dem »Luxus«, es hier mit einem fertigen Buch zu tun zu haben – auch wenn selbst das nicht ohne Anschlussfehler war, die hartnäckig zwei Jahrzehnte überdauert haben.
Was diese Jahrzehnte aber vor allem überdauert hat, ist ein zeitlos großes Buch, das wie die besten historischen Romane die Vergangenheit in unsere Nähe rückt und von menschlichen Themen erzählt, die niemals alt werden.
Ich bedanke mich herzlich bei allen, die mir dieses Erlebnis doch noch möglich gemacht haben: bei Diana, ihrem Agenten Danny Baror und dem Droemer Knaur Verlag. Bei den deutschen Fans, deren ermutigende Worte mich beflügelt haben. Bei Cathy-Ann MacPhee und Catherine MacGregor für die Gälisch-Nachhilfe. Bei Martina Wielenberg, Petra Zimmermann und der tapferen Herstellerin Michaela Lichtblau! Und bei meinem Sohn Julian für den Kaffee, die Tomaten und für das A und O.
Barbara Schnell
Januar 2015
Zeitleiste der historischen Ereignisse
Britische Inseln
1688 Der Stuart-König James VII. von Schottland und II. von England wird in der Glorreichen Revolution abgesetzt. James’ protestantische Tochter Mary erhebt zusammen mit ihrem niederländischen Ehemann William von Oranien Anspruch auf die beiden Kronen. Dies ist der Beginn der Jakobiten-Unruhen, in deren Verlauf James’ Anhänger mehrere Rebellionen und Kriege anstiften (»Jakobus« ist die lateinische Form von »James«).
1701 James stirbt. Der Anspruch der Stuarts auf den schottischen und englischen Thron geht auf seinen einzigen noch lebenden legitimen Sohn über, James Francis Edward Stuart. Die Jakobiten und der katholische König Louis XIV. von Frankreich erklären ihn zu James III. von England und Irland und James VIII. von Schottland. Er lebt in Frankreich und setzt sich weiterhin für den Anspruch der Stuarts auf den Thron von Schottland und England ein.