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»Beim ersten Mal war es Flucht, beim zweiten Mal Diebstahl – das stand zumindest in der Anklageschrift.«

»Flucht?«

»Ich bin vor den Engländern geflohen«, sagte er und zog ironisch die Augenbrauen hoch. »Falls du wissen willst, wo, aus Fort William.«

»Dass es die Engländer waren, hatte ich schon verstanden«, sagte ich im gleichen trockenen Ton wie er. »Aber was hat dich überhaupt nach Fort William verschlagen?«

Er rieb sich mit der freien Hand die Stirn. »Oh, das. Ich glaube, das war Widerstand gegen die Militärgewalt.«

»Na, Widerstand gegen die Militärgewalt, Flucht und Diebstahl. Das klingt ja, als wärst du ein ziemlich gefährlicher Charakter«, sagte ich scherzhaft, um ihn von meinem Tun abzulenken.

Es funktionierte zumindest ansatzweise; sein breiter Mund verzog sich an einer Seite nach oben, und seine dunkelblauen Augen sahen sich funkelnd nach mir um.

»Oh, das bin ich ohne Zweifel«, bestätigte er. »Ein Wunder, dass du dich in einem Zimmer mit mir sicher fühlst, und das, obwohl du Engländerin bist.«

»Tja, im Moment siehst du doch ganz harmlos aus.« Was absolut nicht stimmte; ohne Hemd, voller Narben und blutverschmiert, unrasiert und mit geröteten Augenlidern nach der langen Nacht im Sattel sah er durch und durch verrufen aus … so, als könnte er seiner Müdigkeit zum Trotz jederzeit weiteres Unheil anrichten, falls es nötig sein würde.

Er lachte, ein überraschend tiefer, ansteckender Klang.

»Harmlos wie eine Taube im Nest«, pflichtete er mir bei. »Ich habe solchen Hunger, dass ich höchstens für das Frühstück eine Bedrohung darstellen würde. Falls mir allerdings ein verirrtes Fladenbrot in die Hände fallen sollte, übernehme ich keine Verantwortung für die Folgen. Oh!«

»Tut mir leid«, murmelte ich. »Die Stichwunde ist tief, und sie ist verschmutzt.«

»Ist schon gut.« Doch unter seinen kupferroten Bartstoppeln war er blass geworden. Ich versuchte, ihn erneut ins Gespräch zu verwickeln.

»Was genau versteht man denn unter Widerstand gegen die Militärgewalt?«, fragte ich beiläufig. »Nach einem Schwerverbrechen hört sich das eigentlich nicht an.«

Er holte tief Luft und heftete den Blick entschlossen auf den Bettpfosten, während ich tiefer in die Wunde eindrang.

»Ah. Nun ja. Ich vermute, es ist, was immer die Engländer darunter verstehen. In meinem Fall bestand das Vergehen darin, dass ich meine Familie und mein Eigentum verteidigt habe und dabei fast umgekommen wäre.« Er presste die Lippen aufeinander, als wollte er nichts mehr sagen, doch nach einer Weile fuhr er fort, als wollte er sich unbedingt auf etwas anderes als seine Schulter konzentrieren.

»Es ist jetzt fast vier Jahre her. Die Gehöfte rings um Fort William wurden zu Abgaben verpflichtet – Nahrung für die Garnison, Pferde und so weiter. Ich möchte nicht behaupten, dass viele darüber erfreut waren, aber die meisten haben gegeben, was sie konnten. Kleine Gruppen von Soldaten sind mit einem Offizier und ein oder zwei Wagen losgezogen, um die Lebensmittel und anderes an sich zu nehmen. Und eines Tages im Oktober kam dieser Randall nach L…«, er fing sich rasch und warf mir einen Blick zu, »… zu uns.«

Ich nickte ermunternd, die Augen auf meine Arbeit gerichtet.

»Wir hatten gedacht, so weit würden sie nicht kommen; es ist ein ganzes Stück vom Fort entfernt und nicht leicht zu erreichen. Aber sie sind trotzdem bei uns aufgetaucht.«

Er schloss die Augen. »Mein Vater war nicht da – er war bei einem Begräbnis auf dem Nachbarhof. Und ich war mit den meisten anderen Männern oben auf den Feldern, denn es war ja Erntezeit und viel zu tun. Also war meine Schwester allein im Haus, bis auf zwei oder drei Hausmädchen. Die waren jedoch alle nach oben gerannt, um die Köpfe unter die Bettdecke zu stecken, als sie die Rotröcke gesehen haben. Sie dachten, der Teufel hätte die Soldaten geschickt. In dem Fall kann ich ihnen allerdings kaum widersprechen.«

Ich legte mein Tuch hin. Das Schlimmste war vorbei; jetzt brauchten wir nur eine Wundkompresse – ohne Jod oder Penizillin war das das Sinnvollste, was ich tun konnte – und einen schönen festen Verband. Der junge Mann, der die Augen immer noch geschlossen hatte, schien den Fortschritt gar nicht zu bemerken.

»In dem Moment bin ich von der Rückseite her zum Haus gekommen, weil ich ein Stück Pferdegeschirr aus der Scheune holen wollte, und ich hörte den Lärm und die Schreie meiner Schwester im Haus.«

»Oh?« Ich versuchte, so leise und unaufdringlich wie möglich zu sprechen. Ich wollte unbedingt mehr über Hauptmann Randall hören; diese Geschichte hatte bis jetzt ausgesprochen wenig dazu beigetragen, meinen ersten Eindruck von ihm zu zerstreuen.

»Ich bin durch die Küche ins Haus und habe zwei von ihnen in der Vorratskammer dabei erwischt, wie sie sich ihre Säcke mit Mehl und Schinken vollgestopft haben. Dem einen habe ich vor den Kopf gehämmert und den anderen mitsamt seinem Sack aus dem Fenster geworfen. Dann bin ich ins Wohnzimmer, wo ich zwei Rotröcke mit meiner Schwester Jenny angetroffen habe. Ihr Kleid war zerrissen, und einer von ihnen hatte ein zerkratztes Gesicht.«

Er öffnete die Augen und lächelte grimmig. »Ich habe nicht gewartet, um Fragen zu stellen. Wir sind aufeinander los, und dafür, dass sie zu zweit waren, habe ich meine Sache gar nicht so schlecht gemacht, bis Randall hereinkam.«

Randall hatte der Prügelei ganz schlicht ein Ende bereitet, indem er Jenny eine Pistole an den Kopf hielt. Zum Aufgeben gezwungen, war Jamie rasch von den beiden Soldaten ergriffen und gefesselt worden. Randall hatte seinen Gefangenen charmant angelächelt und gesagt: »Soso. Da haben wir ja zwei schöne Wildkatzen, wie? Ein bisschen harte Arbeit wird dir schon das Mütchen kühlen, und wenn nicht, wirst du Bekanntschaft mit einer anderen Katze schließen, nämlich der neunschwänzigen. Und für andere Kätzchen gibt es ja noch andere Heilmittel, nicht wahr, meine Kleine?«

Jamie hielt einen Moment inne und knirschte mit den Zähnen. »Er hatte Jenny den Arm hinter den Rücken gedreht, aber in diesem Moment hat er losgelassen, um ihr mit der Hand über die Brust zu fahren.« Er lächelte unerwartet, als er sich an die Szene erinnerte. »Also«, fuhr er fort, »ist ihm Jenny auf den Fuß getreten und hat ihm den Ellbogen in den Bauch gerammt. Und als er dann hustend vornübergesackt ist, ist sie herumgefahren und hat ihn mit dem Knie in die Eier getreten.« Er prustete kurz vor Belustigung.

»Tja, da hat er die Pistole fallen gelassen, und sie hat sich darauf gestürzt, aber einer der Dragoner, die mich im Griff hatten, war schneller.«

Ich hatte ihn fertig verbunden und stand schweigend hinter ihm, meine Hand auf seiner gesunden Schulter. Es schien mir wichtig, dass er mir alles erzählte, doch ich hatte Angst, dass er aufhören würde, wenn er sich an meine Anwesenheit erinnerte.

»Als Randall wieder genug Luft bekam, um zu reden, hat er seinen Männern befohlen, uns beide nach draußen zu bringen. Sie haben mir das Hemd ausgezogen und mich an die Wagendeichsel gebunden, und Randall hat mit dem flachen Säbel auf meinen Rücken eingeschlagen. Er war außer sich vor Wut, aber gleichzeitig ein bisschen mitgenommen. Es hat zwar weh getan, aber er konnte die Prügelei nicht lange durchhalten.«

Der kurze Anflug von Belustigung war jetzt verschwunden, und die Schulter unter meiner Hand war steinhart vor Anspannung. »Als er aufgehört hat, hat er sich zu Jenny umgedreht – einer der Dragoner hielt sie immer noch fest – und sie gefragt, ob sie mehr sehen wollte oder ob sie lieber mit ihm ins Haus gehen und ihm bessere Unterhaltung bieten wollte.« Die Schulter zuckte unbehaglich.

»Ich konnte mich zwar kaum bewegen, aber ich habe ihr zugerufen, ich wäre nicht verletzt – das war ich ja auch kaum – und dass sie um Himmels willen nicht mit ihm gehen sollte, selbst wenn sie mir vor ihren Augen die Kehle durchschneiden würden. Sie war hinter mir, und ich konnte sie nicht sehen, aber es klang so, als hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt. Das muss auch so gewesen sein, denn im nächsten Moment hatte er mein Haar gepackt, mir den Kopf in den Nacken gerissen und mir das Messer an die Kehle gesetzt.«