»Ich heiße Euch willkommen«, sagte er mit einer angedeuteten Verneigung. »Mein Name ist Colum mac Campbell MacKenzie; ich bin der Herr dieser Burg. Wenn ich meinen Bruder recht verstehe, ist er Euch, äh, ein Stück von hier entfernt auf dem Weg begegnet?«
»Er hat mich entführt, wenn Ihr es genau wissen wollt«, sagte ich. Ich hätte den Gesprächston gern freundlicher gehalten, aber zu sehr drängte es mich, aus dieser Burg fortzukommen, zurück zu dem Hügel mit dem Steinkreis. Was auch immer mit mir geschehen war, wenn die Antwort irgendwo zu finden war, dann dort.
Die dichten Augenbrauen des Burgherrn hoben sich sacht, und ein Lächeln krümmte seine feinen Lippen.
»Nun, möglicherweise«, pflichtete er mir bei. »Dougal ist manchmal ein wenig … ungestüm.«
»Nun ja.« Ich tat nun die Angelegenheit mit einer großzügigen Handbewegung ab. »Ich räume gern ein, dass es eventuell ein Missverständnis gegeben hat. Doch ich würde es sehr begrüßen, an den Ort zurückgebracht zu werden, an dem er mich … mitgenommen hat.«
»Mm.« Colum, der die Augenbrauen immer noch hochgezogen hatte, wies auf einen Stuhl. Ich setzte mich widerstrebend, und er nickte einem der Bediensteten zu, der eilfertig durch die Tür verschwand.
»Ich lasse uns eine Erfrischung holen, Mistress … Beauchamp, richtig? Wenn ich es richtig verstehe, haben mein Bruder und seine Männer Euch in … äh, offensichtlichen Schwierigkeiten angetroffen?« Er schien sich ein Lächeln zu verkneifen, und ich fragte mich, wie man ihm wohl meinen angeblichen Mangel an Kleidern beschrieben hatte.
Ich holte tief Luft. Jetzt war es Zeit für die Erklärung, die ich mir zurechtgelegt hatte. Während ich darüber nachgedacht hatte, war mir eingefallen, wie mir Frank während seiner Offiziersausbildung erklärt hatte, was man ihnen über das richtige Verhalten im Verhör beigebracht hatte. Soweit ich mich erinnerte, war es das Wichtigste, sich so eng wie nur irgend möglich an die Wahrheit zu halten und nur solche Details zu ändern, die geheim bleiben mussten. Umso geringer die Gefahr, hatte der Ausbilder erklärt, dass man sich in den Details seiner Ausreden verhedderte. Gut, ich würde es ausprobieren müssen, wie verlässlich das funktionierte.
»Nun ja. Ich war angegriffen worden.«
Er nickte, und seine Miene spiegelte volles Interesse. »Aye? Und von wem?«
Sag die Wahrheit. »Von englischen Soldaten. Insbesondere einem Mann namens Randall.«
Beim Klang dieses Namens veränderte sich sein Patriziergesicht. Colums Gesichtsausdruck blieb zwar interessiert, doch sein Mund nahm einen intensiveren Zug an, und die Falten ringsum vertieften sich. Der Name war ihm also eindeutig vertraut. Der Anführer des MacKenzie-Clans lehnte sich ein wenig zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und musterte mich darüber hinweg.
»Ah?«, sagte er. »Erzählt mir mehr.«
Und bei Gott, ich erzählte ihm mehr. Bis ins kleinste Detail schilderte ich ihm die Konfrontation zwischen den Schotten und Randalls Männern, da er imstande sein würde, Dougal nach der Richtigkeit meiner Angaben zu fragen. Ich erzählte ihm haargenau die Grundzüge meiner Auseinandersetzung mit Randall, da ich ja nicht wusste, wie viel dieser Murtagh mitbekommen hatte.
Er nickte gebannt und hörte mir aufmerksam zu.
»Aye«, sagte er schließlich. »Aber was hat Euch denn überhaupt dorthin verschlagen? Die Stelle liegt doch weit ab von der Straße nach Inverness – ich vermute, Ihr wolltet dort ein Schiff nehmen?« Ich nickte und holte tief Luft.
Jetzt betraten wir gezwungenermaßen das Reich der Phantasie. Ich wünschte, ich hätte besser zugehört, als mir Frank Geschichten über Straßenräuber erzählt hatte. Jetzt würde ich mir selbst etwas zusammenreimen müssen. Ich war eine Witwe aus Oxfordshire, erwiderte ich (so weit wahr), und befand mich mit einem Bediensteten auf dem Weg zu entfernten Verwandten in Frankreich (das schien mir genügend weit weg zu sein, dass kein Risiko der Überprüfung bestand). Wir waren von Straßenräubern überfallen worden, und mein Bediensteter war entweder umgekommen oder davongelaufen. Ich selbst war zu Pferd in den Wald geflüchtet, war jedoch ein Stück von der Straße entfernt eingeholt worden. Es war mir zwar gelungen, den Banditen wieder zu entwischen, doch ich hatte mein Pferd und all meinen Besitz zurücklassen müssen. Als ich dann zu Fuß durch den Wald irrte, war ich auf Hauptmann Randall und seine Männer gestoßen.
Zufrieden mit meiner Geschichte lehnte ich mich zurück. Einfach, unkompliziert und wahr, soweit sie sich überprüfen ließ. Colums Gesicht drückte nicht mehr als höfliche Aufmerksamkeit aus. Gerade öffnete er den Mund, um mich etwas zu fragen, als es leise an der Tür raschelte. Einer der Männer, die mir bei unserer Ankunft auf dem Innenhof aufgefallen waren, stand mit einer kleinen Lederschatulle dort.
Der Anführer des MacKenzie-Clans entschuldigte sich elegant und ließ mich bei seinen Vögeln zurück, nachdem er mir versichert hatte, dass er in Kürze zurückkehren würde, um unser äußerst interessantes Gespräch fortzusetzen.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als ich schon vor seinem Bücherbord stand und mit der Hand über die ledernen Buchrücken fuhr. Hier standen ungefähr zwei Dutzend Bücher; an der Wand gegenüber waren noch mehr. Hastig schlug ich die Buchdeckel der einzelnen Bände auf. Einige trugen kein Erscheinungsdatum; dort, wo es genannt war, bewegte es sich zwischen 1720 und 1742. Es war nicht zu übersehen, dass Colum MacKenzie den Luxus schätzte, doch der Rest des Zimmers deutete nicht darauf hin, dass er Antiquitäten sammelte. Die Einbände waren neu, nirgendwo war etwas gerissen oder geknickt.
Da ich inzwischen sämtliche gewöhnlichen Skrupel hinter mir gelassen hatte, durchwühlte ich schamlos den Olivenholzschreibtisch, während ich auf zurückkehrende Schritte lauschte.
Ich fand das Gesuchte in der mittleren Schublade. Ein halb fertiger Brief in einer schnörkeligen Handschrift, die durch die exzentrische Rechtschreibung und das völlige Fehlen jeder Interpunktion nicht gerade lesbarer wurde. Das Papier war frisch und sauber, die Tinte kohlrabenschwarz. Lesbar oder nicht, das Datum am Kopf der Seite sprang mir ins Gesicht wie mit Feuer geschrieben: 20. April 1743.
Als Colum ein paar Minuten später zurückkehrte, traf er seinen Gast am Fenster sitzend an, die Hände sittsam im Schoß gefaltet. Sitzend, weil mich meine Beine nicht mehr trugen. Die Hände gefaltet, um das Zittern zu verbergen, durch das es mir so erschwert worden war, den Brief unauffällig wieder an Ort und Stelle zurückzulegen.
Er hatte das bestellte Tablett mit den Erfrischungen mitgebracht; Becher mit Ale und frische Haferkekse mit Honig. Ich knabberte sparsam daran; mein Magen rumorte zu sehr, um an Appetit auch nur zu denken.
Nachdem er sich kurz für seine Abwesenheit entschuldigt hatte, sprach er mir sein Mitgefühl für mein Unglück aus. Dann lehnte er sich zurück, betrachtete mich nachdenklich und fragte: »Aber wie kommt es, Mistress Beauchamp, dass Euch meine Männer nur im Hemd angetroffen haben? Straßenräuber werden sich kaum an Euch vergriffen haben, da sie wahrscheinlich vorhatten, Euch gegen Lösegeld freizulassen. Und trotz allem, was ich über Hauptmann Randall gehört habe, würde es mich überraschen zu hören, dass ein Offizier der englischen Armee die Angewohnheit hat, verirrte Fremde zu vergewaltigen.«
»Ach ja?«, entfuhr es mir empört. »Nun, egal, was Ihr über ihn gehört habt, ich versichere Euch, dass es ihm absolut ähnlich sieht.« Die Sache mit meiner Kleidung hatte ich nicht bedacht, als ich mir meine Geschichte zurechtlegte, und ich fragte mich erneut, an welchem Punkt unseres Zusammentreffens dieser Murtagh den Hauptmann und mich wohl bemerkt hatte.
»Ah, nun ja«, versuchte Colum, mich zu beruhigen. »Möglich, gewiss. Der Mann hat keinen guten Ruf.«
»Möglich?«, erwiderte ich. »Warum? Glaubt Ihr mir nicht, was ich Euch berichtet habe?« Denn das Gesicht des MacKenzie legte zwar schwache, aber eindeutige Skepsis an den Tag.