»Ich habe nicht gesagt, dass ich Euch nicht glaube, Mistress«, antwortete er gelassen. »Aber ich bin nicht seit über zwanzig Jahren Anführer eines großen Clans, ohne gelernt zu haben, nicht alles, was man mir auftischt, einfach so zu schlucken.«
»Nun, wenn Ihr mir nicht glaubt, dass ich die bin, die ich sage – was in Teufels Namen glaubt Ihr denn, wer ich wirklich bin?«
Er blinzelte, verblüfft über meine Ausdrucksweise. Dann festigten sich seine scharfen Züge wieder.
»Das«, sagte er kühl, »bleibt abzuwarten. Unterdessen, Mistress, heißen wir Euch als Gast in Leoch willkommen.« Er hob die Hand, um mich mit einer eleganten Geste zu entlassen, und der stets präsente Bedienstete an der Tür trat vor, um mich unmissverständlich wieder in mein Quartier zu eskortieren.
Colum sagte zwar die nächsten Worte nicht laut, doch es war so, als hätte er es getan. Sie hingen beim Gehen derart deutlich hinter mir in der Luft als hätte er sie ausgesprochen.
»Bis ich herausfinde, wer Ihr wirklich seid.«
Zweiter Teil
Burg Leoch
Kapitel 6
In der Halle des Burgherrn
Der Junge, den Mrs. FitzGibbons den »kleinen Alec« genannt hatte, holte mich zum Abendessen ab. Dieses fand in einem großen, langen Saal statt, an dessen Wänden Tische aufgereiht standen. Die dort bereits versammelten Menschen wurden durch einen schier endlosen Strom von Bediensteten versorgt, die aus Eingängen zu beiden Enden des Raums kamen und Tabletts, Tranchierbretter und Krüge herbeibrachten. Die Strahlen der sinkenden Frühsommersonne fielen durch die hohen, schmalen Fenster, und Wandhalter mit Fackeln warteten darauf, dass man sie anzündete, sobald das Tageslicht schwand.
An den Wänden zwischen den Fenstern hingen die verschiedensten Banner und Tartanstoffe, Plaids und Wappen und verliehen den Steinen Farbe. Dagegen waren die meisten der Anwesenden in praktische Grau- und Brauntöne gekleidet oder in das sanfte Grün und Braun der Jagdkilts, gedämpfte Farben, die es dem Träger ermöglichten, sich in der Heidelandschaft zu verstecken.
Ich konnte spüren, wie sich neugierige Blicke in meinen Rücken bohrten, als mich der kleine Alec zum Kopfende des Saals führte, doch die meisten Speisenden hielten die Blicke höflich auf ihre Teller gerichtet. Es schien hier nicht sehr förmlich zuzugehen; die Leute aßen, wie es ihnen gefiel. Sie bedienten sich von den Serviertabletts oder gingen mit ihren Holztellern zum anderen Ende des Saals, wo zwei Jungen in einem enormen Kamin ein Schaf an einem Spieß drehten. Etwa vierzig Personen hatten sich zum Essen niedergelassen und wurden von ungefähr zehn weiteren bedient. Der Saal war von lauten Gesprächen erfüllt, die meisten davon auf Gälisch.
Am Kopf des Saals saß Colum bereits an einem Tisch, unter dessen narbigem Eichenholz seine verkrüppelten Beine nicht zu sehen waren. Bei meinem Eintreten nickte er huldvoll und winkte mich auf einen Stuhl zu seiner Linken. Auf dem Platz direkt neben ihm saß eine rundliche, hübsche rothaarige Frau, die er mir als seine Frau Letitia vorstellte.
»Und das ist mein Sohn Hamish«, fuhr er fort und ließ die Hand auf die Schulter eines rothaarigen Jungen von sieben oder acht sinken, der gerade so lange von seinem üppig gefüllten Teller aufblickte, wie er brauchte, um meine Anwesenheit mit einem knappen Nicken zur Kenntnis zu nehmen.
Ich betrachtete den Jungen neugierig. Er sah aus wie die anderen MacKenzie-Männer, die mir in den letzten Tagen zu Gesicht gekommen waren, mit den gleichen breiten, flachen Wangenknochen und den gleichen tief liegenden Augen. Abgesehen von der unterschiedlichen Farbe ihrer Haare hätte er eigentlich eine kleinere Version seines Onkels Dougal sein können, der sich neben ihm niedergelassen hatte. Die beiden Mädchen neben Dougal, die im Teenageralter waren und sich gegenseitig kichernd anstupsten, als sie mir vorgestellt wurden, waren seine Töchter Margaret und Eleanor.
Dougal lächelte mir kurz, aber freundlich zu, ehe er einer seiner Töchter das gerade angebotene Serviertablett unter dem Löffel wegschnappte und es in meine Richtung hielt.
»Hast du denn keine Manieren, Kind?«, schimpfte er. »Zuerst die Gäste!«
Sehr zögernd ergriff ich den großen Hornlöffel, der mir entgegengestreckt wurde. Ich war mir nicht sicher gewesen, was es wohl zu essen geben würde, und war jetzt einigermaßen erleichtert, ebenso gewöhnliche wie durch und durch vertraute Räucherheringe auf dem Tablett aufgereiht zu sehen.
Noch nie hatte ich bisher versucht, einen Hering mit dem Löffel zu essen, doch ich sah nichts, was einer Gabel geähnelt hätte. Dem Verhalten der anderen Speisenden nach schien man den allgegenwärtigen Dolch zu benutzen, wenn sich der Löffel als unbrauchbar erwies, weil man Fleisch schneiden oder von den Knochen befreien wollte. Da ich keinen Dolch hatte, entschied ich mich, mit Bedacht zu kauen, und beugte mich vor, um mich zu bedienen, als ich sah, dass Hamish die dunkelblauen Augen vorwurfsvoll auf mich gerichtet hatte.
»Ihr habt noch kein Tischgebet gesprochen«, sagte er ernst und runzelte die schmale Stirn. Offenbar betrachtete er mich als gewissenlose Heidin, wenn nicht gar als das Laster in Person.
»Äh, ja, vielleicht wärst du so lieb, das für mich zu tun?«, entgegnete ich, um mich aus der Affäre zu ziehen.
Seine Kornblumenaugen wurden groß vor Überraschung, doch nach kurzer Überlegung nickte er und faltete routiniert die Hände. Er ließ den Blick funkelnd über den Tisch wandern, um sich zu vergewissern, dass alle eine angemessen ehrfurchtsvolle Haltung angenommen hatten. Erst dann neigte auch er den Kopf, und zufriedengestellt intonierte er:
»Some hae meat that canna eat,
And some would eat that want it.
We hae meat, and we can eat,
And so may God be thankit. Amen.«
Als ich von meinen respektvoll gefalteten Händen aufsah, fing ich Colums Blick auf und beglückwünschte ihn mit einem Lächeln zur Kaltblütigkeit seines Sohnes. Er verkniff sich seinerseits ein Lächeln und nickte seinem Sohn mit ernster Miene zu.
»Gut gemacht, Junge. Würdest du das Brot herumreichen?«
Das Tischgespräch beschränkte sich auf gelegentliche Bitten um weiteres Essen, da sich jetzt alle konzentriert über ihre Teller hermachten. Mir selbst mangelte es an Appetit, einesteils, weil ich immer noch schockiert war über die Umstände, in denen ich mich befand, und anderenteils, weil ich wirklich nicht viel für Hering übrighatte. Doch der gebratene Hammel war ziemlich gut, und das Brot war köstlich, frisch und knusprig mit großen Klecksen ungesalzener Butter.
»Ich hoffe, Mr. MacTavish geht es besser«, sagte ich in eine kleine Atempause hinein. »Ich sehe ihn hier nirgendwo.«
»MacTavish?« Letitia zog die zarten Augenbrauen hoch. Ich spürte, wie Dougal neben mir den Kopf hob.
»Jamie«, erklärte er knapp, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Hammelknochen in seinen Händen widmete.
»Jamie? Warum, was ist mit dem Jungen?« Sorgenfalten gruben sich in ihr pausbäckiges Gesicht.
»Nur ein kleiner Kratzer, Liebes«, beruhigte Colum sie. Er blickte zu seinem Bruder hinüber. »Aber wo ist er denn, Dougal?« Vielleicht bildete ich es mir nur ein, dass ein Hauch von Argwohn in seinen dunklen Augen lag.
Sein Bruder zuckte mit den Achseln, den Blick unverwandt auf seinen Teller geheftet. »Ich habe ihn in den Stall geschickt, damit er dem alten Alec bei den Pferden hilft. Dachte, da wäre er am besten aufgehoben.« Dann hob er den Blick, um seinem Bruder in die Augen zu sehen. »Oder hattest du an etwas anderes gedacht?«
Colum schien skeptisch. »In den Stall? Aye, nun ja … traust du ihm so weit über den Weg?«
Dougal wischte sich achtlos mit der Hand über den Mund und griff nach einem Brotlaib. »Es liegt bei dir, Colum, wenn du mit meinen Anordnungen nicht einverstanden bist.«