»Ich habe auch nicht beachtet, dass ein Reh vier Mägen hat und ich nur einen. Vier Tage lang hatte ich Krämpfe und furchtbare Blähungen. Einer der älteren Männer hat mir später erzählt, dass man Gras erst kocht, wenn man es essen will, aber das wusste ich da noch nicht. Es hätte sowieso keine Rolle gespielt; ich war zu hungrig zum Warten.« Er erhob sich und beugte sich vor, um mir aufzuhelfen.
»Besser, wenn ich wieder an die Arbeit gehe. Danke für das Essen, Kleine.« Er reichte mir den Korb und setzte sich in Bewegung, um zum Stall zu gehen. Die Sonne glänzte in seinem Haar wie auf einem Schatz aus Gold- und Kupfermünzen.
Langsam machte ich mich wieder auf den Weg zur Burg und dachte dabei an Männer, die im kalten Schlamm leben und Gras essen. Erst als ich den Burghof betrat, fiel mir ein, dass ich seine Schulter ganz vergessen hatte.
Kapitel 7
Davie Beatons Kammer
Zu meiner Überraschung erwartete mich einer von Colums Gefolgsleuten an der Pforte, als ich in die Burg zurückkehrte. Der MacKenzie würde mir dankbar sein, so sagte man mir, wenn ich ihm in seinen Gemächern meine Aufwartung machen würde.
Die hohen Fenster der privaten Zuflucht des Burgherrn standen offen, und der Wind fuhr raschelnd und murmelnd durch die Käfigbäume, so dass man fast glauben konnte, im Freien zu sein.
Der Burgherr selbst saß an seinem Schreibtisch und schrieb etwas, als ich eintrat, hielt jedoch sofort inne und erhob sich, um mich zu begrüßen. Nachdem er sich mit ein paar Sätzen nach meiner Gesundheit und meinem Wohlbefinden erkundigt hatte, führte er mich zu der Wand mit dem Käfig, wo wir die kleinen Insassen bestaunten, die angeregt zwitschernd durch das wehende Laub hüpften.
»Dougal und Mrs. Fitz sagen beide, dass Ihr großes Können als Heilerin besitzt«, merkte Colum wie beiläufig an und steckte einen Finger durch das Käfiggitter. Ein kleiner grauer Spatz, der das offenbar schon kannte, kam angeflogen und landete zielsicher auf dem Finger, den er mit seinen kleinen Krallen umschloss, während er leicht die Flügel ausbreitete, um seinen Sitz ausbalancieren zu können. Colum streichelte ihm mit dem schwieligen Zeigefinger der anderen Hand sacht den Kopf. Ich sah, dass die Haut rings um seinen Nagel verdickt war, und wunderte mich darüber; es war ja kaum wahrscheinlich, dass er viel körperliche Arbeit leistete.
Ich zuckte mit den Schultern. »Es gehört nicht viel dazu, eine Hautverletzung zu verbinden.«
Er lächelte. »Möglich, doch es verlangt einiges an Können, es im Stockfinsteren am Straßenrand zu tun, nicht wahr? Und Mrs. FitzGibbons erzählt, dass Ihr heute Morgen einem ihrer Küchenjungen den gebrochenen Finger gerichtet und einer Küchenmagd den verbrühten Arm verbunden habt.«
»Das ist auch nicht besonders schwierig«, erwiderte ich und fragte mich, worauf er hinauswollte. Er winkte einem der Bediensteten, welcher schnell eine kleine Schüssel aus einer Sekretärschublade holte. Colum nahm den Deckel ab, holte eine Handvoll Körner heraus und begann, sie durch das Käfiggitter zu streuen. Die kleinen Vögel ließen sich aus dem Geäst plumpsen und hüpften über den Grasboden wie Kricketbälle, und der Spatz flog zu seinen Kameraden davon.
»Ihr habt keine Verbindungen zum Beaton-Clan, oder?«, fragte er. Ich erinnerte mich, dass Mrs. FitzGibbons bei unserer ersten Begegnung gefragt hatte: Seid Ihr denn eine Heilerin? Eine Beaton?
»Nein. Was hat denn der Beaton-Clan mit Medizin zu tun?«
Colum betrachtete mich überrascht. »Ihr habt noch nie von ihnen gehört? Die Heiler des Beaton-Clans sind in den ganzen Highlands berühmt. Viele von ihnen sind reisende Heiler. Wir hatten sogar selbst einen von ihnen hier.«
»Ihr hattet ihn hier? Was ist aus ihm geworden?«, fragte ich.
»Er ist gestorben«, erwiderte Colum ungerührt. »Hat Fieber bekommen, und es hat ihn innerhalb von einer Woche dahingerafft. Seitdem haben wir keinen Heiler mehr außer Mrs. FitzGibbons.«
»Sie scheint mir doch sehr kompetent zu sein«, sagte ich und dachte daran, wie wirkungsvoll sie die Verletzungen des jungen Mannes namens Jamie behandelt hatte. Dieser Gedanke erinnerte mich wiederum daran, woher er diese Verletzungen hatte, und plötzlich empfand ich heftige Abneigung gegenüber Colum. Abneigung und ebenso Vorsicht. Dieser Mann, so rief ich mir ins Gedächtnis, war Recht und Richter für die Menschen auf seinem Land – und er ließ keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen.
Er nickte, ohne den Blick von den Vögeln abzuwenden. Dann verstreute er die restlichen Saatkörner im Käfig und warf einer verspätet dazugekommenen blaugrauen Grasmücke die letzte Handvoll zu.
»Oh, aye. Sie kann das gut, doch sie hat schon mehr als genug zu tun, denn sie ist für die gesamte Burg und all ihre Bewohner verantwortlich – einschließlich meiner Person«, sagte er mit einem plötzlichen charmanten Grinsen.
Ich musste ebenfalls grinsen, was er sofort ausnutzte. »Ich habe mich gefragt«, fuhr er fort, »ob Ihr wohl, da Ihr ja gegenwärtig kaum beschäftigt seid, einen Blick auf die Dinge werfen würdet, die Davie Beaton hinterlassen hat. Vielleicht wisst Ihr ja, wie man einige seiner Arzneien benutzt.«
»Nun … das könnte ich wohl tun. Warum nicht?« Die Runde zwischen dem Garten, der Kräuterkammer und der Küche begann tatsächlich, mich ein wenig zu langweilen. Ich war neugierig darauf, was der verstorbene Mr. Beaton als nützlich betrachtet haben mochte.
»Angus oder ich könnten die Dame nach unten bringen«, schlug der Bedienstete respektvoll vor.
»Mach dir keine Mühe, John«, sagte Colum und entließ den Mann mit einer höflichen Geste. »Ich zeige es Mistress Beauchamp selbst.«
Sein Weg die Treppe hinunter war langsam und unübersehbar schmerzhaft. Ebenso unübersehbar war es, dass er keine Hilfe wünschte, und ich bot ihm auch keine an.
Das Sprechzimmer des verstorbenen Davie Beaton befand sich in einer abgelegenen Ecke der Burg, jenseits der Küche und außer Sicht- und Hörweite des übrigen Trubels. Es lag nur der Friedhof in der Nähe, auf dem der vorherige Insasse dieses Zimmers wohl jetzt ruhte. Der schmale, dunkle Raum, an dessen Eingang wir nun standen, war in die Außenwand der Burg eingelassen und hatte lediglich einen dieser kleinen Fensterschlitze hoch oben in der Wand, so dass ein Sonnenstrahl wie ein Messer durch die Luft schnitt und die Dunkelheit der Gewölbedecke von der Finsternis des Fußbodens trennte.
Als ich an Colum vorbei einen Blick in die düsteren Winkel des Zimmers warf, entdeckte ich einen großen Schrank mit Dutzenden kleiner Schubfächer, die mit einer verschnörkelten Handschrift gekennzeichnet waren. Gläser, Schachteln und Flaschen in allen Größen und Formen standen in Reih und Glied auf den Wandborden über einer Arbeitsplatte, auf der Beaton offenbar seine Arzneien gemischt hatte – zumindest schloss ich das aus den Flecken und dem verkrusteten Mörser, der noch dort stand.
Colum ging vor mir in den Raum. Schimmernde Partikel, die durch sein Eintreten aufgewirbelt wurden, kreisten aufwärts in den Sonnenstrahl wie Staub aus einem aufgebrochenen Grabmal. Er blieb einen Moment stehen, damit sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnen konnten, dann bewegte er sich langsam voran und ließ den Blick von rechts nach links schweifen. Ich hatte den Eindruck, dass es das erste Mal war, dass er diesen Raum betrat.
Während ich zusah, wie er das schmale Zimmer stockend durchquerte, sagte ich: »Wisst Ihr, Massage kann hilfreich sein. Gegen die Schmerzen, meine ich.« Ich fing einen blitzenden Blick seiner grauen Augen auf und wünschte im ersten Moment, ich hätte nichts gesagt, doch der Funke verschwand beinahe sofort wieder und wich seiner üblichen Miene höflicher Aufmerksamkeit.
»Aber sie muss kräftig sein«, setzte ich deshalb hinzu, »vor allem unten im Kreuz.«