»Uh!«
Plötzlich fiel ein Schatten auf uns, und ein kräftiger Stiefel stieß Jamie in die Rippen.
»Du alter Faulpelz«, sagte der Neuankömmling, jedoch ohne jeden Ärger. »Stopfst dich hier voll und lässt die Pferde in der Gegend herumlaufen. Und wann wird die kleine Stute endlich eingeritten, hm, Junge?«
»Es geht sicher nicht schneller, wenn ich verhungere, Alec«, erwiderte Jamie. »Iss doch erst einmal selbst einen Bissen; es ist genug da.« Die Hand, der er jetzt ein Stück Käse hinaufreichte, war von der Gicht verknotet. Die zu einer permanenten halben Faust gekrümmten Finger schlossen sich langsam um den Käse, und ihr Besitzer ließ sich ins Gras sinken.
Mit unerwarteter Höflichkeit stellte Jamie den Besucher vor; Alec MacMahon MacKenzie, Stallmeister von Leoch.
Der Stallmeister, eine kantige Gestalt in einer ledernen Kniehose und einem groben Hemd, strahlte, so empfand ich es, eine Autorität aus, die ausgereicht hätte, um auch den widerspenstigsten Hengst zur Ordnung zu rufen. »Ein Aug’ wie Mars, zum Droh’n und zum Gebieten«, das Zitat fiel mir spontan ein. Es war tatsächlich nur ein Auge, denn das andere war mit einer schwarzen Stoffklappe bedeckt. Wie um den Verlust auszugleichen, sprossen seine Augenbrauen aus der Mitte hervor, und aus den eigentlichen braunen Büscheln ragten lange graue Haare drohend wie Insektenfühler hervor.
Nachdem er meine Anwesenheit mit einem Kopfnicken zur Kenntnis genommen hatte, beachtete mich der alte Alec (so bezeichnete ihn Jamie, wohl um ihn von dem jungen Alec zu unterscheiden, der mich hergebracht hatte) nicht weiter, sondern teilte sein Augenmerk zwischen dem Essen und den drei jungen Pferden auf, die unten auf der Wiese mit den Schweifen wedelten. Mein Interesse schwand im Lauf einer langen Diskussion über die Abstammung mehrerer zweifellos hervorragender Pferde, die sich nicht unter den anwesenden befanden, über mehrere Jahrgänge der Zuchtbücher des gesamten Stalls und eine Reihe unverständlicher Merkmale der Pferdeanatomie, die mit den Sprunggelenken, dem Widerrist, den Schultern und anderen Körperstellen zu tun hatten. Da die einzigen Teile eines Pferdes, die ich identifizieren konnte, seine Nase, sein Schweif und seine Ohren waren, konnte ich dem Gespräch nicht folgen.
Ich lehnte mich auf die Ellbogen zurück und ließ mich von der Frühlingssonne wärmen. Dieser Tag hatte etwas seltsam Friedliches an sich, ein Gefühl, als nähme alles ganz im Stillen seinen Lauf, ohne sich an den Irrungen und Wirrungen des menschlichen Daseins zu stören. Vielleicht war es ja der Friede, den man im Freien immer findet, weit genug von jedem Haus und jedem Lärm entfernt. Vielleicht kam es von der Gartenarbeit, dieses leise Gefühl der Freude daran, etwas Wachsendes zu berühren und ihm gedeihen zu helfen. Vielleicht war es auch nur die Erleichterung, endlich zu tun zu haben, statt mich nur deplaziert in der Burg herumzudrücken und mir so auffällig vorzukommen wie ein Tintenklecks auf Pergament.
Obwohl ich mich nicht am Gespräch der Pferdenarren beteiligte, fühlte ich mich hier nicht im Geringsten fehl am Platze. Alec verhielt sich so, als sei ich nichts weiter als ein Teil der Landschaft, und Jamie warf zwar hin und wieder einen Blick in meine Richtung, doch auch er ignorierte mich zunehmend, und ihr Gespräch glitt in die singenden Rhythmen des Gälischen ab, ein sicheres Zeichen dafür, dass sich ein Schotte mit seinem Thema emotional verbunden fühlt. Da ich kein Wort verstand, war es so beruhigend, wie den Bienen zuzuhören, die im Heidekraut summten. Seltsam zufrieden und schläfrig schob ich jeden Gedanken an Colums Argwohn, meine missliche Lage und andere verstörende Ideen beiseite. »Ein jeder Tag hat seine Plage«, dachte ich verschlafen, denn das Bibelzitat geisterte mir gerade durch den Hinterkopf.
Vielleicht war es die Kühle einer vorüberziehenden Wolke oder der veränderte Gesprächston der Männer, der mich einige Zeit später weckte. Sie sprachen jetzt wieder Englisch, und ihr Ton war ernst, nicht länger das uferlose Geplauder der Pferdenarren.
»Es ist nur noch eine Woche bis zum Gathering, Junge«, sagte Alec. »Hast du dir inzwischen überlegt, was du tun wirst?«
Jamie stieß einen langen Seufzer aus. »Nein, Alec, das habe ich nicht. Manchmal denke ich so, dann wieder anders. Natürlich ist es schön hier, mit den Pferden zu arbeiten und mit dir.« In der Stimme des jungen Mannes lag ein Lächeln, das verschwand, als er fortfuhr. »Und Colum hat mir versprochen, dass er … nun ja, das weißt du ja. Aber die Klinge küssen, meinen Namen zu MacKenzie ändern und alles aufgeben, was mir von Geburt an zusteht? Nein, dazu kann ich mich nicht durchringen.«
»Du bist so stur wie dein Pa«, stellte Alec fest, wobei eine Art widerstrebender Beifall in seinen Worten lag. »Und manchmal siehst du auch genauso aus wie er, selbst wenn du hochgewachsen und hellhaarig bist wie die Familie deiner Mutter.«
»Kanntest du ihn denn?« Jamie klang neugierig.
»Oh, ein bisschen. Und habe noch einiges mehr gehört. Ich war ja schon lange vor der Hochzeit deiner Eltern in Leoch. Und wenn man Dougal und Colum vom Schwarzen Brian sprechen hört, muss man meinen, er wäre der Teufel selbst gewesen, wenn nicht schlimmer. Und deine Ma die Jungfrau Maria, die von ihm in die Hölle entführt wurde.«
Jamie lachte. »Und ich bin ihm also ähnlich, ja?«
»Das kann man wohl sagen, Junge. Aye, ich kann gut verstehen, warum es dir widerstrebt, Colums Mann zu werden. Aber man muss es auch von der anderen Seite betrachten. Sagen wir, es kommt zum Kampf für die Stuarts und es geht nach Dougals Willen … wenn du da am Ende auf der richtigen Seite stehst, Junge, bekommst du dein Land zurück und noch mehr, ganz gleich, was Colum tut.«
Jamies Antwort war das, was für mich nur noch das »schottische Geräusch« war, dieser undefinierbare Kehllaut, in den man beinahe alles hineininterpretieren kann. In diesem Fall schien es Zweifel an der Wahrscheinlichkeit eines solch wünschenswerten Ausgangs auszudrücken.
»Aye«, sagte er, »und wenn es nicht nach Dougals Willen geht, was dann? Oder wenn sich der Kampf gegen das Haus der Stuarts wendet?«
Alec stieß seinerseits einen Kehllaut aus. »Dann bleibst du eben hier, Junge. Wirst an meiner Stelle Stallmeister. Ich werde bestimmt nicht ewig leben, und ich habe noch nie jemanden gesehen, der so gut mit Pferden umgehen kann.«
Jamies bescheidenes Grunzen deutete an, dass er das Kompliment zu schätzen wusste.
Der ältere Mann fuhr fort, ohne die Unterbrechung zu beachten. »Die MacKenzies sind doch genauso mit dir verwandt; es ist ja nicht so, als würdest du dein Blut verleugnen. Und dann gibt es schließlich noch mehr zu bedenken …« Seine Stimme klang jetzt leise hänselnd. »Mistress Laoghaire zum Beispiel?«
Wieder war die Antwort dieses Geräusch, das aber diesmal abwinkende Verlegenheit ausdrückte.
»Aber, Junge, man lässt sich doch nicht für ein Mädchen zusammenschlagen, das einem gleichgültig ist. Und du weißt, dass ihr Vater es nicht zulassen wird, dass sie einen Mann aus einem anderen Clan heiratet.«
»Sie war so jung, Alec, und sie hat mir leidgetan«, rechtfertigte sich Jamie. »Mehr war nicht dabei.« Diesmal war es Alec, der den schottischen Laut ausstieß, ein kehliges Prusten voll ungläubiger Verachtung.
»Das kannst du sonst wem erzählen, Junge. Nun ja, selbst wenn es nicht Laoghaire ist – und du könntest es wirklich schlechter treffen –, wärst du ein besserer Heiratskandidat, wenn du ein bisschen Geld und eine Zukunft hättest, was der Fall wäre, wenn du der nächste Stallmeister würdest. Du hättest die freie Auswahl bei den Mädchen – wenn dich nicht eine zuerst aussucht!« Alec prustete mit dem halb erstickten Humor eines Mannes, der nur selten lacht. »Sie würden dich umschwärmen wie Fliegen einen Honigtopf, Junge! Selbst mittel- und namenlos, wie du es jetzt bist, seufzen dir die Mädchen hinterher – ich habe es selbst schon gesehen.« Erneutes Prusten. »Selbst die kleine Sassenach kann sich nicht von dir fernhalten, dabei ist sie frisch verwitwet!«