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Ich rieb mir die Hände an meiner Schürze und überlegte. Fast alles hatte ich jetzt durchgesehen – bis auf die Holztruhe an der Wand. Ich öffnete ihren Deckel und fuhr augenblicklich vor dem Gestank zurück, der daraus hochwaberte.

Die Truhe war der Aufbewahrungsort der chirurgischen Abteilung von Beatons Praxis. Sie enthielt eine Reihe unheilvoll aussehender Sägen, Messer, Meißel und anderer Werkzeuge, die eher für Bauarbeiten geeignet schienen als zur Verwendung an empfindlichem menschlichem Gewebe. Angewidert betrachtete ich die dunklen Flecken an einigen der Klingen und knallte den Deckel zu.

Ich zog die Truhe zur Tür und hatte vor, Mrs. FitzGibbons zu empfehlen, dass man die Instrumente, nachdem man sie sicherheitshalber ausgekocht hatte, an den Zimmermann der Burg übergeben sollte, falls ein solcher existierte.

Ein Geräusch hinter mir verhinderte rechtzeitig, dass ich mit der Person kollidierte, die gerade hereingekommen war. Ich drehte mich um und sah mich zwei jungen Männern gegenüber. Der eine stützte den anderen, der auf einem Bein hüpfte. Der lahme Fuß war in ein Lumpenbündel gewickelt, das frische Blutflecken hatte.

Ich überlegte kurz und zeigte dann auf die Truhe, weil es nichts anderes gab. »Setzt Euch«, sagte ich. Offenbar hatte Leochs neue Heilerin ihren Dienst aufgenommen.

Kapitel 8

Ein unterhaltsamer Abend

Ich lag im Bett und fühlte mich völlig erschöpft. Das Stöbern in den Hinterlassenschaften des verstorbenen Beaton hatte mir erstaunliche Freude gemacht, und die Behandlung nur weniger Patienten hatte mir trotz der spärlichen Ressourcen endlich wieder das Gefühl gegeben, ganz ich selbst zu sein und mich nützlich machen zu können. Haut und Knochen unter meinen Fingern zu spüren, Pulsschläge zu zählen, Zungen und Augen zu untersuchen, die ganze vertraute Routine hatte viel dazu beigetragen, dem unterschwelligen Gefühl der Panik abzuhelfen, das seit meinem Fall durch den Stein mein ständiger Begleiter gewesen war. Wie seltsam die Umstände auch sein mochten, unter denen ich lebte, und wie fremd ich mich hier fühlen mochte – es war sehr beruhigend zu begreifen, dass dies tatsächlich andere Menschen waren. Warmblütig und haarig, mit Herzen, deren Schlag ich spüren konnte, und Lungen, die hörbar atmeten. Übelriechend, verlaust und schmutzig, zumindest manche von ihnen, aber das war ja nichts Neues für mich und gewiss nicht schlimmer als die Zustände in einem Feldlazarett. Bis jetzt waren auch die Verletzungen zu meiner Beruhigung nur leicht gewesen. Indem ich Verantwortung für das Wohlergehen anderer übernahm, fühlte ich mich selbst weniger als Opfer der Laune des Schicksals, das mich aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz hierhergeführt hatte. Ich war Colum dankbar, dass er mir diese Tätigkeit vorgeschlagen hatte.

Colum MacKenzie. Was für ein seltsamer Mensch. Ein gebildeter Mann von unerschütterlicher Höflichkeit und großem Weitblick, unter dessen Reserve sich ein stählerner Kern verbarg. Dieser Stahl war in seinem Bruder Dougal deutlicher zu erkennen; er war der geborene Krieger. Und doch – wenn man sie zusammen sah, gab es keinen Zweifel, wer der Stärkere war. Colum war Häuptling, ganz gleich, ob er ein Krüppel war.

Toulouse-Lautrec-Syndrom. Ich hatte es noch nie gesehen, doch ich kannte die Beschreibung. Benannt nach seinem berühmtesten Opfer (welches, wie ich mir ins Gedächtnis rief, noch gar nicht existierte), bezeichnete es eine degenerative Erkrankung der Knochen und des Bindegewebes. Die Opfer machten zunächst einen normalen, wenn auch kränklichen Eindruck, bis sie zwölf oder dreizehn waren und die langen Beinknochen unter dem Druck, einen Körper aufrecht zu tragen, zerbrachen und zerbröselten.

Die teigige, vorzeitig gealterte Haut war eine weitere sichtbare Folge der schlechten Durchblutung, die charakteristisch für diese Erkrankung war. Ebenso die Trockenheit und die Schwielen an den Fingern und Zehen, die mir aufgefallen waren. Durch die verbogenen Beine wurde auch die Wirbelsäule überlastet, die sich oftmals ebenfalls krümmte, was dem Opfer erhebliche Beschwerden bereitete. Ich las mir im Kopf die Beschreibung aus dem Lehrbuch durch, während ich mir geistesabwesend mit den Fingern die Haare entknotete. Wenig weiße Blutkörperchen, vermehrte Anfälligkeit für Infektionen und für Gelenkentzündungen. Aufgrund der schlechten Durchblutung und der Bindegewebsschwäche waren die Opfer ausnahmslos steril und dazu oft impotent.

Ich stutzte plötzlich und dachte an Hamish. Mein Sohn hatte Colum gesagt, als er mich dem Jungen stolz vorstellte. Mmm, dachte ich. Vielleicht doch nicht impotent. Oder? Ein Glück für Letitia, dass sich viele der MacKenzie-Männer so extrem ähnlich sahen.

In diesen interessanten Gedankengängen wurde ich plötzlich gestört, weil es an meiner Tür klopfte. Draußen stand einer der allgegenwärtigen kleinen Jungen, der mir eine Einladung von Colum persönlich überbrachte. Im Saal würde ein Sänger erwartet, sagte er, und der MacKenzie würde sich durch meine Anwesenheit geehrt fühlen, falls ich gern kommen würde.

Ich war neugierig darauf, Colum im Licht meiner jüngsten Spekulationen wiederzusehen. Also schloss ich nach einem raschen Blick in den Spiegel und dem vergeblichen Versuch, mein Haar zu glätten, hinter mir die Tür und folgte meinem Begleiter durch die kalten, gewundenen Korridore.

Am Abend sah der Speisesaal verändert aus, festlich. An den Wänden knisterten Kiefernfackeln, deren Terpentin manchmal mit einem leisen Knall blau aufflammte. Der riesige Kamin mit seinen Spießen und Kesseln war nach der Hektik des Abendessens zur Ruhe gekommen; jetzt brannten nur zwei große Baumstücke darin, und die Spieße waren in den gewaltigen Kamin geklappt.

Die Tische und Bänke waren zwar noch da, doch man hatte sie etwas zurückgeschoben, um einen Freiraum am Kamin zu schaffen, der anscheinend die Bühne der abendlichen Unterhaltung sein würde, denn man hatte Colums großen Schnitzsessel auf die eine Seite gestellt. Colum hatte darauf Platz genommen. Auf seinen Beinen lag eine warme Decke, und er hatte ein Tischchen mit Karaffe und Gläsern in Reichweite stehen.

Als er mich im Eingang zögern sah, winkte er mich mit einer wohlwollenden Geste an seine Seite und deutete auf eine Bank in seiner Nähe.

»Es freut mich, dass Ihr gekommen seid, Mistress Claire«, sagte er freundlich. »Gwyllyn freut sich über jedes neue Ohr für seine Lieder, obwohl wir ihm sowieso alle immer gern zuhören.« Das Oberhaupt des MacKenzie-Clans sah ziemlich müde aus, dachte ich; seine breiten Schultern waren ein wenig vornübergesunken, und die Falten in seinem vorzeitig gealterten Gesicht waren deutlich sichtbar.

Ich murmelte eine höfliche Belanglosigkeit und sah mich im Saal um. Es trafen jetzt immer mehr Leute ein, die sich hier und dort in kleinen Grüppchen zum Plaudern zusammenstellten, ehe sie allmählich ihre Plätze auf den Bänken einnahmen.

»Verzeihung?« Als ich mich umdrehte, weil ich Colum im zunehmenden Lärm nicht verstanden hatte, hielt er mir die Karaffe entgegen, ein hübsches, glockenförmiges Gefäß aus blassgrünem Kristallglas. Die darin enthaltene Flüssigkeit sah durch das Glas betrachtet grün aus wie die See, entpuppte sich jedoch, in ein Weinglas ausgeschenkt, als herrlicher Rosé mit einem köstlichen Bouquet. Der Geschmack erfüllte, was der Duft versprach, und ich schloss selig die Augen und ließ mir den Gaumen vom Aroma des Weins kitzeln, ehe ich mir den Nektar Schluck für Schluck durch die Kehle laufen ließ.

»Gut, nicht wahr?« Die tiefe Stimme hatte einen belustigten Unterton, und als ich die Augen öffnete, lächelte mich Colum beifällig an.