Ich öffnete den Mund, um zu antworten, und stellte fest, dass der sanfte Geschmack trog; der Wein war so kräftig, dass er mir fast die Stimmbänder lähmte.
»Wun… wunderbar«, brachte ich mühsam heraus.
Colum nickte. »Aye, so ist es. Rheinwein. Habt Ihr so etwas schon einmal getrunken?« Ich schüttelte den Kopf, während er mir die Karaffe über das Glas hielt und den Kelch diesmal ganz mit der rosafarbenen Flüssigkeit füllte. Dann drehte er sein eigenes Glas am Stiel vor seinem Gesicht, so dass der Feuerschein den Inhalt zinnoberrot aufblitzen ließ.
»Aber Ihr erkennt einen guten Wein«, sagte Colum und neigte sein Glas, um seinerseits den fruchtigen Duft zu genießen. »Nun, das liegt ja vermutlich auf der Hand, wenn Eure Familie aus Frankreich stammt. Zumindest die eine Hälfte, sollte ich wohl sagen«, verbesserte er sich mit einem schnellen Lächeln. »Aus welcher Gegend Frankreichs kommen Eure Verwandten denn?«
Ich zögerte einen Moment, dann dachte ich, bleib bei der Wahrheit, soweit es geht, und antwortete: »Es ist eine alte Verbindung, und sie ist nicht sehr eng, doch die Verwandten, die ich wohl dort habe, sind aus dem Norden, aus der Nähe von Compiègne.« Etwas verblüfft begriff ich, dass meine Verwandten in diesem Moment tatsächlich in der Nähe von Compiègne lebten. So viel dazu, bei der Wahrheit zu bleiben.
»Ah. Ihr selbst seid noch nie dort gewesen?«
Ich neigte das Glas und schüttelte den Kopf. Ich schloss die Augen und holte tief Luft, um das Parfum des Weins genüsslich einzuatmen.
»Nein«, sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. »Und ich bin auch noch keinem meiner dortigen Verwandten begegnet.« Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, dass er mich aufmerksam beobachtete. »Das habe ich Euch doch schon gesagt.«
Er nickte ungerührt. »Das habt Ihr.« Seine Augen waren von einem wunderschönen sanften Grau und hatten dichte schwarze Wimpern. Colum MacKenzie war ein sehr attraktiver Mann, zumindest vom Scheitel bis zur Taille. Mein Blick huschte an ihm vorbei zu der Gruppe, die dem Feuer am nächsten stand. Dort unterhielt sich seine Frau Letitia gemeinsam mit einigen anderen Damen angeregt mit Dougal MacKenzie. Ebenfalls ein äußerst attraktiver Mann, noch dazu von Kopf bis Fuß.
Ich richtete mein Augenmerk wieder auf Colum und sah ihn in die Betrachtung eines Wandteppichs versunken.
»Und wie ich Euch ebenfalls schon gesagt habe«, störte ich ihn abrupt und riss ihn aus seiner vorübergehenden Geistesabwesenheit, »würde ich mich gern so schnell wie möglich auf den Weg nach Frankreich machen.«
»Ja, das habt Ihr«, sagte er erneut in freundlichem Ton und griff mit fragend hochgezogener Augenbraue nach der Karaffe. Ich hielt ihm mein Glas hin und zeigte mit dem Finger auf die Hälfte, um ihm anzuzeigen, dass ich nur ein wenig Wein wollte, doch er füllte den zarten Kelch noch einmal fast bis zum Rand.
»Nun, wie ich Euch bereits gesagt habe, Mistress Beauchamp«, fuhr er fort, den Blick auf den steigenden Weinpegel gerichtet, »müsst Ihr Euch wohl damit abfinden, eine Weile hierzubleiben, bis wir Eure Weiterreise arrangieren können. Es gibt schließlich keinen Grund zur Eile. Es ist Frühling, und es dauert noch Monate, bis die Herbststürme die Kanalüberquerung zu einem Risiko machen.« Er hob den Blick und die Karaffe und sah mich scharf an.
»Aber wenn Ihr mir die Namen Eurer Verwandten in Frankreich nennen würdet, könnte ich vielleicht eine Nachricht vorausschicken – damit sie auf Eure Ankunft vorbereitet sind, versteht Ihr?«
Treffer – versenkt, dachte ich. Mir blieb nicht viel anderes übrig, als etwas wie »Ja, gern, später vielleicht« zu murmeln und mich hastig mit der Begründung zu entschuldigen, dass ich den Abort aufsuchen wollte, ehe der Gesang begann. Schach für Colum, aber noch nicht matt.
Mein Vorwand war nur zum Teil erfunden, und ich wanderte einige Zeit in der finsteren Burg umher, ehe ich das gesuchte Örtchen fand. Nachdem ich mir mit dem Weinglas in der Hand den Rückweg ertastet hatte, stieß ich auf einen beleuchteten Durchgang zum Saal, begriff aber beim Eintreten, dass es der untere Eingang war und ich mich jetzt am anderen Ende des Saals befand. Unter den gegebenen Umständen kam mir das sehr gelegen, und ich schlenderte möglichst unauffällig in den langen, weiten Raum und mischte mich immer wieder unter kleinere Grüppchen, während ich mich an der Wand entlang zu einer der Bänke vorarbeitete.
Am Kopfende des Saals tauchte jetzt ein schlanker Mann auf, der seiner kleinen Harfe nach Gwyllyn, der Barde, sein musste. Er blieb in höflicher Entfernung vor Colum stehen, auf dessen Geste hin ein Bediensteter herbeieilte, um dem Barden einen Hocker zu bringen. Dieser setzte sich und machte sich daran, seine Harfe zu stimmen. Sachte zupfte er an den Saiten, das Ohr dicht an seinem Instrument. Colum schenkte ein weiteres Glas Wein aus seiner persönlichen Karaffe ein und ließ es dem Barden durch den Bediensteten servieren.
»Oh, he called for his pipe, and he called for his bowl, and he called for his fiddlers threeee«, summte ich respektlos, woraufhin mich das Mädchen namens Laoghaire seltsam ansah. Sie saß unter einem Wandteppich, auf dem ein Jäger mit sechs überlangen, schielenden Hunden einem einzelnen Hasen nachsetzte.
»Ein bisschen übertrieben, findet Ihr nicht?«, sagte ich forsch, wies mit der Hand grinsend auf den Teppich und ließ mich neben ihr auf die Bank plumpsen.
»Oh! Äh, aye«, antwortete sie vorsichtig und rutschte ein wenig von mir fort. Ich versuchte, sie in ein freundliches Gespräch zu verwickeln, doch sie antwortete mir weitgehend einsilbig und wurde jedes Mal rot und fuhr zusammen, wenn ich sie ansprach, so dass ich es bald aufgab und mich der Szene am Kopfende des Saals widmete.
Nachdem die Harfe zu seiner Zufriedenheit gestimmt war, zog Gwyllyn drei Holzflöten in unterschiedlichen Größen aus seinem Rock und legte sie griffbereit auf den Tisch neben ihm.
Plötzlich fiel mir auf, dass Laoghaire mein Interesse an dem Barden und seinen Instrumenten nicht teilte. Sie war kaum merklich erstarrt und spähte über meine Schulter hinweg zum unteren Eingang hinüber, während sie sich gleichzeitig in den Schatten unter dem Wandteppich zurücklehnte, um nicht entdeckt zu werden.
Ich folgte ihrer Blickrichtung und erspähte die hochgewachsene, rothaarige Gestalt des jungen Jamie MacTavish, der gerade in den Saal trat.
»Ah! Der strahlende Held! Habt wohl ein Auge auf ihn geworfen, wie?«, fragte ich das Mädchen. Sie schüttelte zwar hektisch den Kopf, doch die leuchtende Röte ihrer Wangen war Antwort genug.
»Nun, dann wollen wir doch einmal sehen, was wir tun können, wie?«, sagte ich in einer Anwandlung von Großmut. Ich stand auf und winkte heftig, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Meine Anstrengung war erfolgreich, und lächelnd bahnte sich der junge Mann den Weg durch die Menge. Ich wusste ja nicht, was auf dem Innenhof zwischen den beiden vorgefallen war, doch ich hatte den Eindruck, dass er das Mädchen zwar freundlich, aber immer noch formell begrüßte. Seine Verbeugung vor mir war ein wenig entspannter; nachdem uns unsere Bekanntschaft bis jetzt zu solcher Intimität gezwungen hatte, konnte er mich ja kaum wie eine Fremde behandeln.
Einige prüfende Töne vom Kopfende des Saals signalisierten, dass der Beginn des Vortrags unmittelbar bevorstand, und wir nahmen rasch unsere Plätze ein. Jamie setzte sich zwischen Laoghaire und mich.
Gwyllyn war ein Mann von unscheinbarem Aussehen, schmächtig und mit schütterem Haar, doch sobald er zu singen anfing, sah man ihn nicht mehr. Er begann mit einem einfachen Lied auf Gälisch, dessen Zeilen sich reimten, und berührte dazu die Saiten seiner Harfe so, dass ihr Vibrieren das Echo der Worte von einer Zeile zur nächsten zu tragen schien. Auch die Schlichtheit seiner Stimme trog. Zunächst hatte man kaum das Gefühl, dass sie etwas Besonderes war, zwar angenehm, aber ohne große Kraft. Und dann stellte man fest, dass ihr Klang den Körper durchdrang und jede einzelne Silbe kristallklar im Kopf widerhallte, ganz gleich, ob man sie verstand oder nicht.