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Auch die Zuhörer hatten Geschichten zu erzählen, und Gwyllyn ruhte sich auf seinem Hocker aus und nippte an seinem Wein, während einer dem anderen Platz am Feuer machte und Geschichten erzählte, die den ganzen Saal gefangen nahmen.

Manche davon hörte ich kaum. Ich war selbst gefangen, jedoch in meinen Gedanken, die ihre eigenen Wege gingen und sich unter dem Einfluss von Wein, Musik und Feenlegenden zu Mustern formten.

»Es war einmal vor zweihundert Jahren …«

Es sind immer zweihundert Jahre in den Highlandgeschichten, sagte Reverend Wakefields Stimme in meinem Kopf. Ein klassischer Märchenanfang.

Und Frauen, die in die Steine von Feenhügeln gerieten, weit reisten und erschöpft ankamen. Ohne zu wissen, wo sie gewesen waren oder wie sie dorthin gekommen waren.

Ich konnte spüren, wie sich mir die Haare auf den Unterarmen sträubten, als fröstelte ich, und ich rieb sie beklommen mit den Händen. Zweihundert Jahre. Von 1946 ins Jahr 1743; ja, das passte. Und Frauen, die durch die Steine reisten. Waren es immer Frauen?, fragte ich mich plötzlich.

Mir kam noch ein Gedanke. Die Frauen kehrten zurück. Weihwasser, Zauberspruch oder Messer, sie kamen zurück. Also war es möglich, zumindest vielleicht. Ich musste zurück zu den Steinen des Craigh na Dun. Ich wurde so aufgeregt, dass mir beinahe schlecht wurde, und ich griff nach dem Weinkelch, um mich zu beruhigen.

»Vorsicht!« Meine tastenden Finger berührten die Kante des fast vollen Kristallkelchs, den ich achtlos neben mir auf die Bank gestellt hatte. Jamies langer Arm fuhr über meinen Schoß hinweg und rettete das Glas um Haaresbreite vor der Katastrophe. Er hob das Glas, dessen Stiel er vorsichtig zwischen zwei Fingern hielt, und schwenkte es vorsichtig unter seiner Nase hin und her. Mit hochgezogenen Augenbrauen reichte er es mir zurück.

»Rheinwein«, erklärte ich hilfsbereit.

»Aye, ich weiß«, sagte er, immer noch mit fragender Miene. »Colums Wein, nicht wahr?«

»Ja, genau. Möchtest du ihn probieren? Er ist sehr gut.« Etwas zitternd hielt ich ihm das Glas hin. Nach kurzem Zögern nahm er es an und trank einen kleinen Schluck.

»Aye, er ist gut«, sagte er und reichte mir den Weinkelch zurück. »Außerdem ist er besonders stark. Colum trinkt ihn abends, weil ihn seine Beine schmerzen. Wie viel hast du davon getrunken?«, fragte er und betrachtete mich genau.

»Zwei, nein, drei Gläser«, sagte ich, so würdevoll ich konnte. »Willst du damit andeuten, dass ich betrunken bin?«

»Nein«, sagte er nach wie vor mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich bin beeindruckt, dass du es nicht bist. Die meisten Leute, die mit Colum trinken, liegen nach dem zweiten Glas unter dem Tisch.« Er streckte die Hand aus und nahm mir das Glas wieder ab.

»Trotzdem«, fügte er entschlossen hinzu, »denke ich, dass du besser nichts mehr davon trinkst, sonst schaffst du es nachher nicht die Treppe hinauf.« Er neigte das Glas und leerte es mit Bedacht, dann reichte er Laoghaire den leeren Weinkelch, ohne sie anzusehen.

»Würdest du das zurückbringen, Kleine?«, sagte er beiläufig. »Es ist schon spät; ich denke, ich begleite Mistress Beauchamp zu ihrer Kammer.« Er legte mir die Hand unter den Ellbogen und schob mich auf den Ausgang zu. Das Mädchen blieb zurück und starrte uns derart finster nach, dass ich Erleichterung empfand, weil Blicke tatsächlich nicht töten können.

Jamie brachte mich zu meinem Zimmer hinauf, und zu meiner Überraschung folgte er mir hinein. Die Überraschung verschwand, als er die Tür schloss und augenblicklich sein Hemd auszog. Natürlich – ich hatte ganz vergessen, dass ich ihm ja schon seit zwei Tagen den Verband abnehmen wollte.

»Ich bin froh, wenn ich ihn los bin«, sagte er und kratzte an dem Konstrukt aus Viskose und Leinen unter seinem Arm. »Er scheuert schon seit Tagen.«

»Es erstaunt mich, dass du ihn dann nicht selbst abgenommen hast«, sagte ich und hob den Arm, um die Knoten zu lösen.

»Davor hatte ich Angst, so, wie du mit mir geschimpft hast, als du den Verband angelegt hast«, sagte er und grinste mich unverschämt an. »Dachte, ich bekomme den Hintern versohlt, wenn ich ihn anrühre.«

»Du bekommst ihn jetzt versohlt, wenn du dich nicht hinsetzt und stillhältst«, antwortete ich mit gespielter Strenge. Ich legte ihm beide Hände auf die gesunde Schulter und drückte ihn ein wenig schwankend auf den Schlafzimmerhocker hinunter.

Sorgfältig entfernte ich die Bandagen und untersuchte behutsam sein Schultergelenk. Es war immer noch leicht geschwollen und schwach verfärbt, doch zum Glück fand ich nichts, was auf Muskelrisse hindeutete.

»Wenn du es so eilig hattest, den Verband loszuwerden, warum durfte ich es dann gestern Nachmittag nicht tun?« Sein Verhalten auf der Koppel hatte mich gestern schon gewundert, und angesichts der geröteten Stellen, an denen ihm die rauhen Kanten der Leinenbandagen beinahe die Haut wund gescheuert hatten, wunderte ich mich jetzt noch mehr. Vorsichtig hob ich die Wundkompresse an, aber darunter war alles gut verheilt.

Er sah mich schräg an und senkte dann verlegen den Blick. »Nun ja, es ist … äh, es war nur, dass ich vor Alec nicht das Hemd ausziehen wollte.«

»Bist du etwa schüchtern?«, zog ich ihn trocken auf, während ich ihn mit einer Geste aufforderte, den Arm zu heben, um zu probieren, wie weit er das Gelenk strecken konnte. Die Bewegung ließ ihn zwar leicht zusammenzucken, doch er lächelte über meine Bemerkung.

»Wenn es so wäre, würde ich wohl kaum halb nackt in deinem Zimmer sitzen, oder? Nein, es sind die Narben auf meinem Rücken.« Ich zog die Augenbrauen hoch, und er erklärte mir, was er meinte. »Alec weiß, wer ich bin – ich meine, er hat davon gehört, dass ich ausgepeitscht worden bin, aber er hat es nicht selbst gesehen. Und von so etwas zu wissen ist nicht dasselbe, wie es mit eigenen Augen zu sehen.« Er betastete vorsichtig die verletzte Schulter, ohne mich anzusehen. Dann blickte er stirnrunzelnd zu Boden. »Es ist … wahrscheinlich weißt du ja nicht, was ich meine. Aber auch wenn man weiß, dass jemandem etwas Schlimmes zugestoßen ist, ist es nur eins der Dinge, die man über ihn weiß, und es ändert nicht viel daran, wie man diesen Menschen betrachtet. Alec weiß, dass ich ausgepeitscht worden bin, genauso wie er weiß, dass ich rotes Haar habe, und es hat keinen Einfluss darauf, wie er mit mir umgeht.« Jetzt blickte er auf und sah mich an, als suchte er nach einem Anzeichen, dass ich ihn verstand.

»Doch wenn man es mit eigenen Augen sieht, ist es …« Er zögerte und suchte nach Worten. »Es ist etwas … Persönliches, könnte man vielleicht sagen. Ich glaube … wenn er die Narben sehen würde, könnte er mich nicht mehr sehen, ohne an meinen Rücken zu denken. Und ich könnte merken, wie er daran denkt, und das würde mich wiederum daran erinnern, und …« Er brach ab und zuckte mit den Schultern.

»Nun ja. Das ist ein erbärmlicher Erklärungsversuch, oder? Ich bin vermutlich ohnehin viel zu empfindlich, was das betrifft. Schließlich kann ich es ja selbst nicht sehen; vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie ich glaube.« Ich hatte schon öfter beobachtet, wie Kriegsverletzte auf Krücken über die Straße humpelten und die Leute die Blicke abwendeten, wenn sie an ihnen vorbeigingen. Ich fand überhaupt nicht, dass es ein erbärmlicher Erklärungsversuch war.

»Aber es stört dich nicht, wenn ich deinen Rücken sehe?«

»Nein.« Er klang ein wenig überrascht und hielt einen Moment inne, um darüber nachzudenken. »Es ist wohl … du scheinst eine Art zu haben, mich spüren zu lassen, dass es dir leidtut, ohne dass ich mich bemitleidet fühle.«

Er blieb geduldig sitzen und bewegte sich nicht, während ich hinter ihn trat und seinen Rücken betrachtete. Ich wusste ja nicht, für wie schlimm er es hielt, doch es war schlimm. Selbst bei Kerzenschein war ich entsetzt, obwohl ich es nicht zum ersten Mal sah. Beim ersten Mal hatte ich ja nur die eine Schulter gesehen. Die Narben bedeckten seinen ganzen Rücken von den Schultern bis zur Taille. Viele von ihnen waren zwar zu dünnen weißen Streifen verblasst, doch die schlimmsten bildeten dicke silberne Wülste, die seine glatten Muskeln zerteilten. Ich dachte mit einigem Bedauern, dass es einmal ein sehr schöner Rücken gewesen sein musste. Seine Haut war hell und straff, und die Konturen seiner Knochen und Muskeln waren immer noch kraftvoll und elegant, die Schultern flach und aufrecht und die Wirbelsäule eine glatte, gerade Mulde, die sich tief zwischen den runden Säulen seiner Muskeln hindurchzog.