Выбрать главу

Und Jamie hatte recht. Wenn ich mir diese sinnlose Zerstörung betrachtete, konnte ich es nicht vermeiden, mir im Geist den Vorgang auszumalen, der sie verursacht hatte. Sosehr ich mich auch bemühte, es mir nicht vorzustellen, die muskulösen Arme erhoben, ausgebreitet und gefesselt, Stricke, die ihn in die Handgelenke schnitten, der kupferrote Kopf, der sich schmerzerfüllt gegen den Pfosten presste … Die Narben beschworen solche Bilder nur zu bereitwillig herauf. Hatte er geschrien, als es geschah? Ich schob den Gedanken hastig beiseite. Natürlich hatte ich die Geschichten gehört, die nach dem Krieg aus Deutschland durchsickerten, und zwar von viel schlimmeren Grausamkeiten, doch er hatte recht; es zu hören ist etwas völlig anderes, als es zu sehen.

Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, als könnte ich ihn mit meiner Berührung heilen und die Narben mit den Fingern ausradieren. Er seufzte tief, doch er bewegte sich nicht, während ich die Narben nachzeichnete, eine nach der anderen, wie um ihm das Ausmaß der Zerstörung zu zeigen, die er nicht sehen konnte. Schließlich legte ich ihm schweigend ganz sacht die Hände auf die Schultern, während ich nach Worten suchte.

Er legte seine Hand auf die meine und drückte sie sacht – er wusste, was ich nicht ausdrücken konnte.

»Anderen ist schon viel Schlimmeres zugestoßen, Kleine«, sagte er leise. Dann ließ er los, und der Bann war gebrochen.

»Es fühlt sich an, als würde es gut verheilen«, sagte er und versuchte, einen Seitenblick auf seine Schulterverletzung zu werfen. »Es tut kaum noch weh.«

»Das ist gut«, sagte ich und räusperte mich, denn ich schien etwas im Hals zu haben. »Es heilt tatsächlich gut; die Wunde ist ordentlich verkrustet, und sie ist nirgendwo feucht. Achte nur darauf, dass sie sauber bleibt, und benutze den Arm noch ein oder zwei Tage lang nicht mehr als nötig.« Ich klopfte ihm auf die unverletzte Schulter, um ihm anzudeuten, dass er entlassen war. Er zog sich ohne Hilfe das Hemd wieder an und steckte sich die langen Schöße in den Kilt.

Es gab einen peinlichen Moment, als er an der Tür stand und nach etwas suchte, das er zum Abschied sagen könnte. Schließlich lud er mich ein, am nächsten Tag in den Stall zu kommen, um mir ein neugeborenes Fohlen anzusehen. Ich versprach es ihm, und wir wünschten uns gleichzeitig eine gute Nacht. Wir lachten und nickten uns absurd zu, bevor ich die Tür hinter ihm schloss. Ich ging sofort zu Bett, schlief vom Wein benommen ein und träumte verstörende Träume, an die ich mich am Morgen nicht mehr erinnern konnte.

Nachdem ich am nächsten Tag einen ausgedehnten Vormittag damit zugebracht hatte, neue Patienten zu behandeln, die Vorratskammer nach nützlichen Kräutern zu durchstöbern, um den Arzneischrank aufzufüllen, und die Einzelheiten feierlich in Davie Beatons schwarzem Buch festzuhalten, verließ ich mein Kämmerchen, um mir frische Luft und Bewegung zu verschaffen.

Im Moment war niemand in der Nähe, und ich nutzte die Gelegenheit, um die oberen Etagen der Burg zu erkunden. Ich steckte die Nase in leere Zimmer, überquerte gewundene Treppen und legte mir im Kopf einen Grundriss der Burg an. Gelinde gesagt war es ein höchst asymmetrischer Grundriss. Im Lauf der Jahre war immer wieder hier und dort etwas angebaut worden, bis kaum noch zu sagen war, ob es ursprünglich einmal einen Plan gegeben hatte. In diesem Saal zum Beispiel war neben der Treppe ein Alkoven in die Wand eingelassen, der anscheinend keinem anderen Zweck diente, als ein Stück Platz zu füllen, das zu klein für ein komplettes Zimmer war.

Der Alkoven war zum Teil durch einen gestreiften Leinenvorhang gegen Blicke abgeschirmt; ich wäre daran vorbeigegangen, ohne anzuhalten, wenn nicht ein plötzliches weißes Aufblitzen im Inneren meine Aufmerksamkeit erregt hätte. Ich blieb dicht vor der Öffnung stehen und lugte hinein, um zu sehen, was es war. Es war Jamies Hemdsärmel, der um den Rücken eines Mädchens gelegt war, um sie zu einem Kuss an sich zu ziehen. Sie saß auf seinem Schoß, und ihr blondes Haar fing das Sonnenlicht, das durch einen Schlitz drang, und spiegelte es wider wie die Oberfläche eines Forellenbachs an einem hellen Morgen.

Ich blieb stehen, unsicher, was ich tun sollte. Ich hatte nicht vor, sie zu belauschen, hatte aber Angst, dass das Geräusch meiner Schritte auf den Steinen des Korridors sie auf mich aufmerksam machen würde. Während ich noch zögerte, löste sich Jamie aus der Umarmung und blickte auf. Sein Blick traf den meinen, und der Alarm in seiner Miene verschwand, als er mich erkannte. Mit hochgezogener Augenbraue und einem etwas ironischen Achselzucken setzte er sich das Mädchen fester auf das Knie und machte sich wieder ans Werk. Ich zuckte ebenfalls mit den Achseln und entfernte mich auf Zehenspitzen. Es ging mich nichts an. Allerdings bezweifelte ich kaum, dass sowohl Colum als auch der Vater des Mädchens dieses Verhalten höchst »ungehörig« finden würden. Gut möglich, dass er sich die nächste Prügelstrafe selbst zuschreiben musste, wenn er sich den Ort für eine solche Zusammenkunft nicht vorsichtiger aussuchte.

Als ich ihn an diesem Abend mit Alec beim Essen sah, setzte ich mich ihnen gegenüber an den langen Tisch. Jamie begrüßte mich zwar freundlich, aber mit einem Hauch von Wachsamkeit in den Augen. Alec wiederum hatte nicht mehr als sein übliches »Mmpfm« für mich übrig. Wie er mir an der Koppel erklärt hatte, besaßen Frauen keinen angeborenen Pferdeverstand, weshalb man nur schwer mit ihnen reden konnte.

»Wie geht denn das Einreiten voran?«, fragte ich, um das geschäftige Kauen auf der anderen Seite des Tischs zu unterbrechen.

»Nicht schlecht«, antwortete Jamie vorsichtig.

Ich sah ihn über meinen Teller hinweg an. »Dein Mund sieht ein bisschen geschwollen aus, Jamie. Hat dich ein Pferd gestoßen?«, fragte ich boshaft.

»Aye«, antwortete er und kniff die Augen zusammen. »Hat den Kopf herumgedreht, als ich nicht aufgepasst habe.« Sein Ton war zwar gelassen, doch ich spürte, wie sich unter dem Tisch ein großer Fuß auf den meinen senkte. Im Moment ruhte er leicht darauf, doch die Drohung war klar.

»Du Armer, diese kleinen Stuten können wirklich gefährlich sein«, sagte ich unschuldig.

Der Fuß senkte sich fest, und Alec sagte: »Stuten? Du arbeitest doch gar nicht mit einer Stute, oder, Junge?« Ich versuchte, meinen anderen Fuß als Hebel zu benutzen; da mir das nicht gelang, trat ich Jamie fest gegen den Knöchel. Er zuckte plötzlich zusammen.

»Was hast du denn?«, wollte Alec wissen.

»Mir auf die Zunge gebissen«, murmelte Jamie und funkelte mich über die Hand hinweg an, die er sich vor den Mund geschlagen hatte.

»Tollpatsch. Aber was soll man auch von einem Idioten erwarten, der es nicht schafft, einem Pferd auszuweichen, wenn …« Alec fuhr mehrere Minuten fort, seinen Gehilfen ausführlich der Unbeholfenheit, der Trödelei, der Dummheit und der allgemeinen Unfähigkeit zu bezichtigen. Jamie, vermutlich der am wenigsten unbeholfene Mensch, der mir je begegnet war, hielt den Kopf gesenkt und ließ sich durch die Tirade nicht beim Essen stören, auch wenn seine Wangen rot wurden. Ich hielt den Blick während der restlichen Mahlzeit sittsam auf meinen Teller gerichtet.

Jamie verzichtete auf einen Nachschlag, stand abrupt vom Tisch auf und verließ den Saal, womit er Alecs Tirade ein Ende setzte. Der alte Stallmeister und ich kauten ein paar Minuten schweigend vor uns hin. Dann wischte Alec mit dem letzten Stück Brot über seinen Teller, steckte es in den Mund und lehnte sich zurück, um mich mit seinem blauen Auge sardonisch zu betrachten.