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»Ihr solltet den Jungen nicht so aufziehen«, sagte er ganz beiläufig und so, dass nur ich ihn hören konnte. »Wenn der Vater des Mädchens oder Colum davon erfahren, könnte sich unser Jamie mehr einhandeln als nur ein blaues Auge.«

»Zum Beispiel eine Ehefrau?« Ich sah ihn unverblümt an. Er nickte langsam.

»Möglich. Und das ist nicht die Ehefrau, die er haben sollte.«

»Nicht?« Nach den Bemerkungen, die er auf der Koppel gemacht hatte, überraschte mich das ein wenig.

»Nein, er braucht eine Frau, kein Mädchen. Und Laoghaire wird auch mit fünfzig noch ein Mädchen sein.« Der grimmige alte Mund verzog sich zu einer Art Lächeln. »Ihr denkt vielleicht, dass ich mein ganzes Leben in einem Stall verbracht habe, aber ich hatte einmal eine Ehefrau, die eine richtige Frau war, und ich kenne den Unterschied sehr gut.« Sein blaues Auge blitzte auf, und er machte Anstalten aufzustehen. »Genau wie Ihr.«

Ich streckte impulsiv die Hand auf, um ihn aufzuhalten. »Woher wusstet Ihr, wen ich …«, begann ich. Der alte Alec schnaubte verächtlich.

»Ich mag ja nur ein Auge haben, Kleine, aber das heißt nicht, dass ich blind bin.« Er ächzte prustend und ging davon. Während ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg, überlegte ich, was der alte Stallmeister wohl mit seiner letzten Bemerkung gemeint haben mochte.

Kapitel 9

Gathering

Mein Leben schien allmählich Form anzunehmen, wenn auch noch keine echte Routine. Ich stand in aller Herrgottsfrühe mit den anderen Bewohnern der Burg auf, frühstückte im großen Saal, und wenn Mrs. Fitz dann keine Patienten für mich hatte, ging ich in den großen Garten der Burg. Dort waren regelmäßig noch einige andere Frauen beschäftigt, dazu eine ganze Phalanx von Jungen in jeder erdenklichen Größe, die kamen und gingen und Abfälle, Werkzeuge und karrenweise Dung hin und her transportierten. Meistens arbeitete ich den ganzen Tag dort; manchmal half ich auch in der Küche, die Tagesernte zum Essen oder Konservieren vorzubereiten, es sei denn, ein medizinischer Notfall rief mich zurück in meine Höhle, wie ich die Schreckenskammer des verstorbenen Davie Beaton bezeichnete.

Hin und wieder folgte ich Alecs Einladung und besuchte die Stallungen oder die Koppel und erfreute mich am Anblick der Pferde, die jetzt die letzten Reste ihres struppigen Winterfells abwarfen und vom Genuss des Frühlingsgrases glänzten.

Manchmal ging ich abends gleich nach dem Essen zu Bett, erschöpft von meinem Tagewerk. Wenn ich die Augen offen halten konnte, schloss ich mich den anderen im Saal an, um der abendlichen Unterhaltung durch Geschichten, Lieder oder Harfen- und Flötenmusik zu lauschen. Ich konnte Gwyllyn, dem Barden aus Wales, stundenlang zuhören, gebannt, obwohl ich meistens kein Wort von dem verstand, was er sagte.

Die Burgbewohner gewöhnten sich allmählich an meine Anwesenheit und ich mich an sie, und so boten mir einige Frauen schüchtern ihre Freundschaft an und begannen, mich in ihre Gespräche mit einzubeziehen. Ihre Neugier war nicht zu übersehen, doch ich antwortete auf all ihre Fragen mit Variationen der Geschichte, die ich Colum erzählt hatte, und nach einer Weile akzeptierten sie, dass sie mehr wohl nicht erfahren würden. Doch die Tatsache, dass ich Erfahrung als Heilerin besaß, verstärkte ihr Interesse, und sie begannen, mir Fragen über die Krankheiten ihrer Kinder, ihrer Männer und ihrer Tiere zu stellen, wobei sie meistens keinen großen Unterschied zwischen der Bedeutung der letzten beiden machten.

Neben den üblichen Fragen und Plaudereien war häufig von der Clanzusammenkunft die Rede, von der ich Alec hatte sprechen hören. Ich kam zu dem Schluss, dass dieses Gathering ein Anlass von einiger Bedeutung war, und das Ausmaß der Vorbereitungen bestärkte mich in dieser Überzeugung. Unablässig wurden Nahrungsmittel in die großen Küchen geschafft, und in der Schlachterei hingen mehr als zwanzig gehäutete Tierkadaver hinter einem Vorhang aus duftendem Rauch, der die Fliegen fernhielt. Bier wurde fassweise auf Wagen geliefert und in die Keller der Burg gekarrt, aus der Mühle im Dorf wurde säckeweise feines Mehl zum Backen gebracht, und man durchforstete die Gegend nach allem, was sich so früh im Jahr schon ernten ließ.

Man lud mich ein, einige der jungen Frauen aus der Burg auf einer dieser Ernteexpeditionen zu begleiten, und ich stimmte begeistert zu, froh, den abweisenden Schatten der Steinmauern zu entkommen.

Es war herrlich draußen, und ich genoss es sehr, durch den kühlen Nebel des schottischen Morgens zu wandern und mit den Fingern durch die feuchten Pflanzen zu fahren.

»Wie viele Menschen kommen denn normalerweise zu einem Gathering?«, fragte ich Magdalen, eine der jungen Frauen, mit denen ich mich angefreundet hatte.

Sie zog nachdenklich ihre sommersprossige Stupsnase kraus. »Ich weiß es nicht genau. Das letzte große Gathering in Leoch war vor über zwanzig Jahren, und damals waren, oh, vielleicht zweihundert Männer hier – das war, als der alte Jacob gestorben ist und Colum zum Burgherrn wurde. Vielleicht werden es dieses Jahr mehr; letztes Jahr war die Ernte gut, und viele haben gewiss etwas Geld beiseitegelegt und bringen ihre Frauen und Kinder mit.«

Die ersten Besucher trafen bereits jetzt in der Burg ein, obwohl ich gehört hatte, dass der offizielle Teil der Zusammenkunft, die Eidzeremonie, die Jagd und die Wettbewerbe erst in einigen Tagen stattfinden würden. Colums prominentere Gefolgsleute wurden in der Burg selbst untergebracht, während die ärmeren Bauern ihr Lager auf einem Brachfeld an dem Bach aufschlugen, der in den See unterhalb der Burg floss. Umherziehende Kesselflicker, Zigeuner und fahrende Händler hatten an der Brücke eine Art improvisierten Markt eröffnet. Die Bewohner der Burg und des benachbarten Dorfes kamen nun an den Abenden hierher, wenn ihr Tagewerk getan war, um Werkzeuge und Kleidungsstücke zu kaufen, den Jongleuren zuzusehen und zu hören, was es zu erzählen gab.

Ich behielt das Kommen und Gehen genau im Auge und besuchte den Stall und die Koppel besonders häufig. Dort standen jetzt massenweise Pferde, denn die Pferde der Besucher waren den Stallungen der Burg unterstellt. Inmitten des Wirrwarrs und der Unruhe der Zusammenkunft würde ich, so glaubte ich, keine Schwierigkeiten haben, meine Chance zur Flucht zu finden.

Auf einer dieser Ernteexpeditionen vor der Burg kam es auch zu meiner ersten Begegnung mit Geillis Duncan. Ich hatte zwischen den Wurzeln einer Erle einige Fliegenpilze erspäht und mich auf die Jagd nach mehr gemacht. Die roten Pilze wuchsen nur in kleinen Grüppchen zu viert oder fünft, doch hier waren überall solche Grüppchen im hohen Gras verteilt. Die Stimmen der anderen Frauen wurden leiser, während ich mich zum Rand des Obsthains vorarbeitete und die zerbrechlichen Gewächse gebückt oder auf allen vieren einsammelte.

»Das sind Giftpilze«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich richtete mich von den Pilzen auf, über die ich gerade gebeugt war, und stieß mir heftig den Kopf an einem Ast der Kiefer, unter der sie wuchsen.

Als ich wieder klar sehen konnte, stellte ich fest, dass das Gelächter von einer hochgewachsenen jungen Frau kam, die vielleicht ein paar Jahre älter war als ich, blond und hellhäutig, mit den schönsten grünen Augen, denen ich je begegnet war.

»Entschuldigt, dass ich über Euch lache«, sagte sie, und auf ihren Wangen erschienen Grübchen, während sie zu mir in die Mulde hinunterstieg. »Ich konnte einfach nicht anders.«

»Ich habe wahrscheinlich auch komisch ausgesehen«, ächzte ich und rieb mir die schmerzende Stelle am Kopf. »Und danke für die Warnung, aber ich weiß, dass die Pilze giftig sind.«

»Ach ja? Und wen wollt Ihr damit aus dem Weg räumen? Euren Mann vielleicht? Sagt mir, ob es funktioniert, dann probiere ich es bei meinem auch.« Ihr Lachen war ansteckend, und ich lächelte unwillkürlich zurück.

Dann erklärte ich ihr, dass die frischen Pilzköpfe zwar giftig waren, dass man die Pilze aber trocknen und zu einem Pulver verarbeiten konnte, das bei äußerlicher Anwendung Blutungen zum Stillstand brachte. Sagte zumindest Mrs. Fitz, und ihr glaubte ich eher als Davie Beatons Leitfaden.