»Ich habe keinerlei Bedürfnis, nur das Geringste mit Eurer stinkenden Burg zu tun zu haben«, fuhr ich ihn an. Ich wischte mir mit dem Taschentuch das Wasser aus den Augen, und als ich das Tuch betrachtete, hatte es schwarze Streifen. »Alles, was ich will, ist hier fortzukommen – und zwar so schnell wie möglich.«
Immer noch grinsend neigte er höflich den Kopf. »Nun, vielleicht bin ich in der Lage, Euch diesen Wunsch zu gewähren, Mistress«, sagte er. »Zumindest vorübergehend.«
Ich ließ das Taschentuch sinken und starrte ihn an. »Wie meint Ihr das?«
Er hustete und wedelte sich den Rauch aus dem Gesicht, der jetzt in seine Richtung strömte. Wortlos zog er mich aus dem Räucherhaus und wandte sich dem Stall zu.
»Ihr habt gestern zu Colum gesagt, dass Ihr Ziest und ein paar andere Kräuter braucht?«
»Ja, für die Leute mit den Magenschmerzen. Warum?«, fragte ich immer noch argwöhnisch.
Er zuckte gelassen mit den Achseln. »Nun, ich bin auf dem Weg zum Schmied ins Dorf und nehme drei Pferde zum Beschlagen mit. Die Frau des Fiskalprokurators ist eine Kräuterfrau, und sie hat immer Vorräte. Sie hat gewiss, was Ihr braucht. Wenn Ihr also möchtet, könnt Ihr gern eins der Pferde reiten und mich ins Dorf begleiten.«
»Die Frau des Fiskalprokurators? Mrs. Duncan?« Meine Laune besserte sich schlagartig. Die Aussicht, der Burg zu entrinnen, wenn auch nur für kurze Zeit, war unwiderstehlich.
Ich wischte mir hastig das Gesicht sauber und steckte das schmutzige Taschentuch ein.
»Gehen wir«, sagte ich.
Ich genoss den kurzen Ritt den Hügel hinunter nach Cranesmuir, obwohl der Tag finster und verhangen war. Dougal selbst war bester Laune und plauderte und scherzte auf dem ganzen Weg.
Wir hielten zuerst bei der Schmiede, wo er die drei Pferde zum Beschlagen zurückließ. Ich nahm hinter ihm im Sattel Platz, um über die High Street zum Haus der Duncans zu reiten. Dieses war ein eindrucksvolles, dreistöckiges Fachwerkhaus mit eleganten, bleiverglasten Fenstern in den unteren beiden Stockwerken, deren rautenförmige Scheiben in blassem Rot und Grün eingefärbt waren.
Geillis begrüßte uns, hocherfreut, an solch einem trostlosen Tag Gesellschaft zu bekommen.
»Wie großartig!«, rief sie aus. »Ich suche schon lange nach einer Ausrede, um die Kräuterkammer aufzuräumen. Anne!«
Eine kurz gewachsene Frau in den mittleren Jahren, deren Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel aussah, kam aus einer Tür, die ich gar nicht bemerkt hatte, da sie in der Rundung des Schornsteins verborgen war.
»Bring Mistress Claire hinauf in die Kräuterkammer«, befahl Geilie, »und dann hol uns einen Eimer Quellwasser. Aber aus der Quelle, nicht aus dem Dorfbrunnen!« Sie wandte sich Dougal zu. »Ich habe das Tonikum, das ich Eurem Bruder versprochen habe. Wenn Ihr kurz mit mir in die Küche kommen würdet?«
Ich folgte dem kürbisförmigen Hinterteil der Dienstmagd eine schmale, steile Holztreppe hinauf, die unerwartet auf einen länglichen, luftigen Dachboden führte. Anders als der Rest des Hauses hatte dieses Zimmer Flügelfenster, die zwar jetzt zum Schutz gegen die Nässe geschlossen waren, aber immer noch viel mehr Licht spendeten, als es unten im Salon mit seinem modischen Zwielicht herrschte.
Man konnte sehen, dass Geillis wusste, wie man mit Kräutern umging. Das Zimmer war mit langen, gazebespannten Trockenrahmen ausgestattet. Über der kleinen Feuerstelle hingen Haken zur Hitzetrocknung, und an den Wänden waren Regale angebracht, in deren Borde Löcher zur Belüftung gebohrt waren. Es roch wunderbar würzig nach trocknendem Basilikum, nach Rosmarin und Lavendel. An einer Seite des Zimmers lief eine überraschend moderne, lange Arbeitsfläche entlang, darauf eine Ansammlung von Mörsern, Stößeln, Schüsseln und Löffeln, die alle makellos sauber waren.
Es dauerte eine Weile, bis Geillis auftauchte, rot vom Treppensteigen, aber mit einem Lächeln der Vorfreude auf einen langen Nachmittag bei Kräutern und Tratsch.
Es begann leicht zu regnen, und Tropfen besprenkelten die hohen Fenster, doch im Kamin brannte ein kleines Feuer, und es war sehr gemütlich. Ich genoss Geilies Gesellschaft sehr; sie hatte eine ironische, zynische Lebenseinstellung, die in erfrischendem Kontrast zu den freundlichen, schüchternen Frauen in der Burg stand, und für eine Frau aus einem kleinen Dorf war sie sehr gebildet.
Außerdem kannte sie jeden Skandal, der sich in den letzten zehn Jahren entweder im Dorf oder in der Burg zugetragen hatte, und sie erzählte mir endlose, amüsante Geschichten. Merkwürdigerweise stellte sie mir kaum Fragen über mich selbst. Das war vermutlich nicht ihre Art; aber sie würde sowieso über andere herausfinden, was sie wissen wollte.
Mir war schon seit einiger Zeit bewusst, dass draußen von der Straße Geräusche kamen, doch ich hatte gedacht, es wären vielleicht Dorfbewohner, die aus der Messe kamen. Die kleine Kirche stand am Ende der Straße neben dem Brunnen, und die High Street lief von der Kirche zum Dorfplatz und breitete sich von dort in einen Fächer aus kleinen Sträßchen und Gassen aus.
Ich hatte mich auf dem Weg zum Schmied damit amüsiert, dass ich mir das Dorf von oben wie eine Skizze des Unterarmskeletts und der Hand vorstellte; die High Street, an der die Geschäfte und die Wohnhäuser der besseren Gesellschaft lagen, war die Speiche. St. Margaret’s Lane war die Elle, eine schmalere Straße, die parallel zur High Street verlief und die Schmiede, die Gerberei und die weniger feinen Handwerke beherbergte. Der Dorfplatz bildete die Handwurzel- und die Mittelhandknochen, und die Gassen mit den kleinen Häusern waren die Fingerglieder.
Das Haus der Duncans stand am Dorfplatz, wie es sich für das Haus des Fiskalprokurators gehörte. Dies war nicht nur angemessen, sondern auch praktisch; der Platz konnte für Rechtsangelegenheiten benutzt werden, die aus öffentlichem Interesse oder aus juristischer Notwendigkeit zu bedeutend für Arthur Duncans kleine Amtsstube waren. Und er beherbergte, wie Dougal mir erklärt hatte, den Pranger, ein simples Holzkonstrukt, das mitten auf dem Platz auf einem kleinen Steinpodest stand, gleich neben dem hölzernen Pfosten, den man – sparsam und zweckdienlich – zum Auspeitschen, als Maibaum, als Fahnenmast und zum Anbinden von Pferden benutzen konnte, je nachdem, was gerade anstand.
Der Lärm draußen war jetzt lauter geworden und um einiges turbulenter, als es für Menschen angemessen schien, die sittsam auf dem Heimweg von der Kirche waren. Geillis schob mit einem ungeduldigen Ausruf ihre Glasgefäße beiseite und riss das Fenster auf, um zu sehen, was die Ursache für den Aufruhr war.
Ich trat zu ihr ans Fenster und sah eine Menschenmenge im Sonntagsstaat, die von der untersetzten Gestalt Vater Bains angeführt wurde, des Priesters, der sowohl für das Dorf als auch für die Burg zuständig war. Dieser hatte einen Jungen von etwa zwölf Jahren im Schlepptau, der anhand seiner zerlumpten Hose und seines fleckigen Hemds als Gerberbursche zu erkennen war. Der Priester hielt den Jungen im Nacken gepackt, was ihm durch die Tatsache erschwert wurde, dass der Junge ein Stück größer war als sein zwergenhafter Häscher. Die Menge folgte den beiden in geringem Abstand, und ihr missbilligendes Grollen dröhnte wie Donner im Gefolge eines Blitzes.
Wir sahen von oben zu, wie Vater Bain und der Junge unter uns im Haus verschwanden. Die Menge blieb draußen und trat murmelnd von einem Bein auf das andere. Einige mutigere Seelen stützten sich mit dem Kinn auf die Fensterbänke und versuchten, ins Haus zu schauen.
Geilie schlug das Fenster zu, und das erwartungsvolle Gemurmel verstummte einen Moment.
»Hat vermutlich gestohlen«, sagte sie lakonisch und kehrte an den Tisch mit den Kräutern zurück. »Das ist es bei den Gerberjungen meistens.«
»Was geschieht denn jetzt mit ihm?«, fragte ich neugierig. Sie zuckte mit den Achseln und streute getrockneten Rosmarin in ihren Mörser.