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»Das hängt wohl davon ab, ob Arthur heute Verdauungsbeschwerden hat. Wenn er gut gegessen hat, kann es sein, dass der Junge mit ein paar Schlägen davonkommt. Aber wenn er Verstopfung oder Blähungen hat …«, ihr Gesicht verzog sich angewidert, »dann verliert der Junge wahrscheinlich ein Ohr oder eine Hand.«

Ich war entsetzt, hatte aber Hemmungen, mich einzumischen. Schließlich war ich eine Fremde, noch dazu Engländerin. Zwar vermutete ich, dass man mich als Bewohnerin der Burg mit einigem Respekt behandeln würde, doch ich hatte auch schon Dorfbewohner beobachtet, die unauffällig das Zeichen gegen das Böse machten, wenn ich vorbeikam. Es war also gut möglich, dass meine Einmischung alles nur schlimmer für den Jungen machen würde.

»Könnt Ihr denn nichts tun?«, fragte ich Geilie. »Mit Eurem Mann sprechen, meine ich; ihn um, äh, Milde bitten?«

Geilie blickte überrascht von ihrer Arbeit auf. Der Gedanke, sich in die Angelegenheiten ihres Mannes einzumischen, war ihr eindeutig noch nie in den Sinn gekommen.

»Warum solltet Ihr Euch Gedanken darüber machen, was aus ihm wird?«, fragte sie, jedoch einfach nur neugierig und ohne feindseligen Unterton.

»Natürlich mache ich mir Gedanken!«, sagte ich. »Er ist doch noch ein Kind; egal, was er getan hat, er hat es wirklich nicht verdient, dass man ihn für den Rest seines Lebens verstümmelt!«

Sie zog ihre hellen Augenbrauen hoch; dieses Argument überzeugte sie offenbar nicht. Dennoch zuckte sie mit den Achseln und reichte mir Mörser und Stößel.

»Was tut man nicht alles einer Freundin zu Gefallen«, sagte sie und verdrehte die Augen. Sie überflog ihre Regale und wählte eine Flasche mit grünlichem Inhalt, auf deren Etikett in feinen kursiven Buchstaben Extrakt der Pfefferminze stand.

»Ich gehe Arthur verarzten, und dabei werde ich ihn fragen, ob ich etwas für den Jungen tun kann. Kann sein, dass es zu spät ist«, fügte sie sicherheitshalber hinzu. »Und wenn dieser widerliche Priester die Hand im Spiel hat, wird er die härteste Strafe verlangen, die er bekommen kann. Aber ich versuch’s. Ihr macht unterdessen hier weiter; Rosmarin dauert ewig.«

Sie ging, und ich ergriff den Stößel und stampfte und mahlte mechanisch vor mich hin, ohne sonderlich auf das Ergebnis zu achten. Das geschlossene Fenster dämpfte die Geräusche des Regens und der Menge; beides verschwamm zu einem leisen, rhythmischen Raunen der Bedrohung. Wie alle Schulkinder hatte ich Dickens gelesen. Und ebenso noch ältere Autoren mit ihren Beschreibungen der mitleidlosen Justiz dieser Zeiten, die alle Missetäter gleich behandelte, ungeachtet ihres Alters oder ihrer Lebensumstände. Doch aus hundert oder zweihundert Jahren Zeitabstand zu lesen, wie Kinder am Galgen endeten oder im Namen des Gesetzes verstümmelt wurden, war etwas völlig anderes, als eine Etage über einem solchen Ereignis zu sitzen und in aller Seelenruhe Kräuter zu zerstoßen.

Konnte ich mich dazu durchringen, direkt einzugreifen, wenn das Urteil gegen den Jungen fiel? Ich ging zum Fenster, nahm pflichtbewusst den Mörser mit und schaute hinaus. Die Menge hatte sich noch vergrößert, denn immer mehr Kaufleute und Hausfrauen kamen neugierig über die High Street gewandert, angelockt von der Menschenansammlung. Die Neuankömmlinge reckten die Hälse, während ihnen die, die schon länger vor dem Haus standen, aufgeregt die Einzelheiten schilderten; dann verschmolzen sie mit der Menge, und mehr und mehr Gesichter wandten sich erwartungsvoll der Haustür zu.

Während ich auf die Versammlung hinunterblickte, die geduldig im Nieselregen stand und auf das Urteil wartete, wurde mir plötzlich etwas klar. Entsetzt hatte ich von den Ereignissen gehört, die sich während des Krieges in Deutschland zugetragen hatten, von Deportationen und Massenmorden, von Konzentrationslagern und Gaskammern. Und wie so viele andere es getan hatten und weiter tun würden, hatte ich mich gefragt: »Wie konnten die Menschen das zulassen? Sie mussten es doch gewusst haben, mussten die Lastwagen gesehen haben, das Kommen und Gehen, die Zäune und den Rauch. Wie konnten sie dastehen und nichts tun?« Nun, jetzt wusste ich es.

Dabei ging es hier ja nicht einmal um Leben und Tod. Und die Tatsache, dass ich unter Colums Schutz stand, würde vermutlich verhindern, dass man mich tätlich angriff. Doch meine Hände, die die Porzellanschale hielten, wurden feucht bei der Vorstellung, allein und machtlos aus dem Haus zu gehen und dieser Zusammenrottung aufrechter, tugendsamer Bürger gegenüberzutreten, die es kaum erwarten konnten, dass die blutige Bestrafung Leben in die Langeweile ihrer Existenz brachte.

Aus purer Notwendigkeit sucht der Mensch die Gesellschaft. Seit den Tagen der ersten Höhlenbewohner überleben die Menschen – die ja kein Fell besitzen und bis auf ihren Verstand schwach und hilflos sind –, indem sie sich in Gruppen zusammenschließen, denn wie so viele andere Geschöpfe auch wissen sie, dass die Masse Schutz bietet. Und genau dieses tief eingegrabene Wissen ist es, das hinter der Macht des Pöbels steckt. Denn außerhalb der Gruppe zu stehen oder sich gar gegen sie zu stellen war für ungezählte Tausende von Jahren der sichere Tod des Geschöpfes, das dieses wagte. Sich einer Menschenmenge entgegenzustellen würde mehr als nur normalen Mut erfordern – sondern etwas, das über den menschlichen Instinkt hinauswuchs. Und ich fürchtete, es nicht zu haben, und ich schämte mich dieser Furcht.

Es schien ewig zu dauern, bis sich die Tür öffnete und Geilie eintrat. Sie sah so kühl und ungerührt aus wie eh und je und hatte ein kleines Stück Holzkohle in der Hand.

»Wir müssen den Sud filtern, wenn er fertig gekocht ist«, stellte sie fest, als knüpfte sie nahtlos an unser Gespräch an. »Ich denke, wir lassen es durch Holzkohle in Musselin laufen, das ist am besten.«

»Geilie«, sagte ich ungeduldig. »Spannt mich doch nicht auf die Folter. Was ist mit dem Gerberjungen?«

»Ach, das.« Sie zuckte mit der Schulter, doch in ihrem Mundwinkel nistete ein schelmisches Lächeln. Dann gab sie die Fassade auf und lachte.

»Ihr hättet mich sehen sollen«, sagte sie kichernd. »Ich war schrecklich gut, wenn ich das sagen darf. Voll ehelicher Sorge und weiblicher Güte, dazu ein Hauch von mütterlichem Mitleid. ›Oh, Arthur‹«, sagte sie theatralisch, »›wäre unser Ehebund so gesegnet gewesen‹ – nicht sehr wahrscheinlich, solange ich dabei mitzureden habe«, sagte sie und ließ die seelenvolle Maske fallen, um kopfnickend auf die Kräuterregale zu zeigen, »›nun, wie würdest du dich fühlen, Liebster, würde man unseren Sohn so ergreifen? Gewiss war es doch nur Hunger, der den Jungen zum Diebstahl getrieben hat. Oh, Arthur, bringst du es denn nicht über dich, Gnade walten zu lassen – du, die Gerechtigkeit in Person?‹« Sie ließ sich lachend auf einen Hocker plumpsen und klopfte sich auf die Schenkel. »Wie schade, dass es hier keine Theaterbühne gibt!«

Der Ton der Menge im Freien hatte sich verändert, und ich ignorierte Geilies Eigenlob, um zum Fenster zu gehen und nachzusehen, was geschah.

Die Menschen traten beiseite, und der Gerberbursche kam langsam zwischen Priester und Richter heraus. Arthur Duncan verneigte sich mit wohlwollend geschwellter Brust vor den prominenteren Mitgliedern der Versammlung. Vater Bain dagegen erinnerte mit seinem verbitterten braunen Gesicht an eine mürrische Kartoffel.

Die kleine Prozession begab sich zur Mitte des Dorfplatzes, wo ihnen der Dorfschulze, ein gewisser John MacRae, aus der Menge entgegentrat. Dieser war seinem Amt entsprechend mit nüchterner Eleganz gekleidet und trug eine dunkle Hose, einen dunklen Rock und einen grauen Samthut (momentan abgesetzt und liebevoll unter seinem Rockschoß vor dem Regen geschützt). Er war nicht, wie ich zunächst angenommen hatte, der Gefängniswärter des Dorfes, obwohl er im Notfall auch dieses Amt bekleidete. Er versah vor allem die Dienstpflichten des Constablers, des Zöllners und nötigenfalls des Henkers; sein Lohn für diese Dienste bestand in einem Anteil an jedem Sack Getreide, der auf dem Donnerstagsmarkt verkauft wurde.

All dies hatte ich von ihm selbst erfahren. Er war vor ein paar Tagen in der Burg gewesen, um zu fragen, ob ich einen hartnäckigen Abszess an seinem Daumen behandeln könnte. Ich hatte diesen mit einer sterilen Nadel geöffnet und eine Kompresse mit Pappelknospensalbe aufgelegt. Dabei hatte ich MacRae als schüchternen, zurückhaltenden Mann mit einem freundlichen Lächeln kennengelernt.