»Kein Wunder, dass du so spät kommst, Junge«, sagte er und stieß Jamie in die Rippen. »Kann’s dir nicht verübeln. Willie!«, rief er einem der Männer im Freien zu. »Wir brauchen hier etwas zum Anziehen, was für den Neffen des Burgherrn angemessen ist. Kümmere dich darum, Mann, und zwar schnell!«
Jamie sah sich mit zusammengepressten Lippen um und betrachtete die Männer, die ihn umringten. Sechs Männer des Clans, erfüllt von überschwenglicher Vorfreude auf die Eidzeremonie und vom Stolz der MacKenzies. Der Überschwang war sichtlich auch dem Alefass zu verdanken, das ich auf dem Hof bemerkt hatte. Jamies Blick fiel auf mich, und seine Miene blieb grimmig. Ich hatte das angerichtet, schien sein Gesicht auszudrücken.
Er konnte natürlich verkünden, dass er nicht vorhatte, Colum die Treue zu schwören, und zu seinem warmen Bett im Stall zurückkehren. Aber nur, wenn er es einkalkulierte, dass man ihn zusammenschlug oder ihm die Kehle durchschnitt. Schließlich sah er mich mit hochgezogener Augenbraue an, zuckte mit den Schultern und begab sich in Willies Hände. Dieser eilte jetzt mit einem schneeweißen Leinenberg auf dem Arm und einer Haarbürste in der Hand herbei. Ganz oben auf dem Berg lag eine flache Kappe aus blauem Samt, an der ein Metallemblem mit etwas Stechpalmengrün steckte. Ich ergriff die Kappe, um sie näher zu betrachten, während sich Jamie in das saubere Hemd kämpfte und sich mit unterdrückter Heftigkeit das Haar bürstete.
Die Anstecknadel war rund und erstaunlich fein gearbeitet. Das Emblem bestand aus fünf Vulkanen, die äußerst realistische Flammen spuckten und von einem Motto umringt waren, Luceo non uro.
»Ich brenne nicht, ich leuchte«, übersetzte ich laut.
»Aye, Kleine, das Motto der MacKenzies«, sagte Willie und nickte mir beifällig zu. Er entwand mir die Kappe und drückte sie Jamie in die Hände, ehe er auf der Suche nach weiteren Kleidungsstücken verschwand.
»Äh … es tut mir leid«, sagte ich leise und nutzte Willies Abwesenheit, um dichter an Jamie heranzutreten. »Ich wollte dich nicht in …«
Jamie, der das Emblem an der Mütze missmutig betrachtet hatte, richtete den Blick auf mich, und seine grimmige Miene entspannte sich.
»Ah, mach dir meinetwegen keine Sorgen, Sassenach. Früher oder später wäre es ohnehin so gekommen.« Er löste das Emblem von der Kappe und lächelte es säuerlich an, während er es in der Hand wiegte.
»Kennst du mein eigenes Motto?«, fragte er. »Das meines Clans, meine ich.«
»Nein«, antwortete ich verblüfft. »Wie lautet es denn?«
Er warf den Anstecker in die Luft, so dass er sich überschlug, fing ihn auf und ließ ihn zielsicher in seinen Sporran fallen. Trostlos blickte er zur offenen Tür hinüber, wo sich die MacKenzie-Männer umeinander drängten.
»Je suis prest«, antwortete er in überraschend gutem Französisch. Er wandte den Kopf und sah, wie Rupert mit einem anderen kräftigen MacKenzie geradewegs auf ihn zuhielt. Ihre Gesichter waren rot vor Erregung und vom Alkohol. Rupert hatte ein großes Stück MacKenzie-Tartanstoff auf dem Arm.
Der andere Mann griff zielstrebig nach Jamies Gürtelschnalle.
»Geh lieber, Sassenach«, riet Jamie mir knapp. »Das ist kein Ort für eine Frau.«
»Ich verstehe«, erwiderte ich trocken und erntete ein ironisches Lächeln. Dann hüllte man seine Hüften in den neuen Kilt und zog den alten gekonnt darunter hinweg, ohne dass sein Anstand Schaden nahm. Rupert und sein Freund nahmen ihn fest bei den Armen und schoben ihn auf den Durchgang zu.
Ich wandte mich ohne Zögern ab und suchte mir den Weg zu der Treppe, die auf die Galerie über dem großen Saal führte. Sorgfältig wich ich den Blicken der Männer aus, an denen ich vorüberkam. Sobald ich um die Ecke gebogen war, blieb ich stehen und presste mich gegen die Wand, um unbemerkt zu bleiben. Ich wartete einen Moment, bis der Korridor leer war, dann huschte ich durch die Tür zur Galerie und zog sie hastig hinter mir zu, ehe jemand sehen konnte, wohin ich gegangen war. Die Treppe wurde von oben schwach erhellt, und ich traf die abgenutzten Steinstufen ohne Mühe. Während ich den Geräuschen und dem Licht entgegenstieg, dachte ich an diesen kurzen letzten Wortwechsel zurück.
»Je suis prest.« Ich bin bereit. Hoffentlich war er das.
Die Galerie wurde von Kiefernfackeln beleuchtet, deren gleißende Flammen sich kerzengerade aus den Haltern erhoben, in Schwarz umrissen vom Ruß, den ihre Vorgänger an den Wänden hinterlassen hatten. Mehrere Gesichter wandten sich blinzelnd zu mir um, als ich zwischen den Vorhängen an der Rückseite der Galerie hervorkam; anscheinend waren sämtliche Frauen aus der Burg hier oben. Ich sah Laoghaire, Magdalen und einige andere Frauen, die ich aus der Küche kannte, und natürlich Mrs. FitzGibbons’ kräftige Gestalt auf einem Ehrenplatz dicht an der Balustrade.
Sie winkte mich freundlich zu sich, und die Frauen drängten sich aneinander, um mich vorbeizulassen. Als ich vorn ankam, konnte ich den ganzen Saal unter mir sehen.
Die Wände waren mit Immergrün dekoriert, dessen Duft bis zur Galerie hinaufstieg, vermischt mit dem Rauch der Feuer und dem strengen Geruch der Männer. Sie kamen und gingen zu Dutzenden, standen in kleinen Gruppen im Saal verstreut und unterhielten sich, und alle waren irgendwie mit dem Clantartan bekleidet, und wenn es nur ein Plaid oder eine Tartankappe über einem einfachen Arbeitshemd und einer zerschlissenen Kniehose war. Die Muster unterschieden sich zwar, doch die Farben waren zum Großteil dieselben – dunkle Grüntöne und Blau.
Die meisten trugen – wie jetzt auch Jamie – das komplette Kostüm, Kilt, Plaid, Kappe, an der – in den meisten Fällen – das Clanemblem steckte. Ich entdeckte ihn in der Nähe der Wand, immer noch mit grimmiger Miene. Rupert war im Gedränge verschwunden, doch Jamie wurde jetzt von zwei anderen kräftigen MacKenzies flankiert, die ihn offensichtlich bewachten.
Nach und nach nahm das Durcheinander im Saal organisierte Formen an, und die Burgbewohner führten die Neuankömmlinge an ihre Plätze am unteren Ende des Saals.
Es war nicht zu übersehen, dass dieser Abend etwas Besonderes war; dem Jungen, der in der »Halle« Dudelsack gespielt hatte, standen jetzt zwei weitere Dudelsackspieler zur Seite, einer davon ein Mann, der durch seine Körperhaltung und seine Elfenbeinmundstücke als Meister seines Fachs ausgewiesen wurde. Dieser Mann nickte jetzt den beiden anderen zu, und bald war der Saal vom durchdringenden Klang der Dudelsäcke erfüllt. Die Instrumente waren zwar deutlich kleiner als die, die man in der Schlacht einsetzte, doch auch sie verfehlten ihre lautstarke Wirkung nicht.
Die Melodiepfeifen spielten einen trillernden Kontrast zum Bordun, der dem Zuhörer das Blut in den Adern kribbeln ließ. Die Frauen rings um mich herum konnten nicht stillhalten, und ich musste an eine Zeile aus »Maggie Lauder« denken:
»Oh, they call me Rab the Ranter,
And the lassies all go daft,
When I blow up my chanter.«
Sie waren zwar noch bei Verstand, doch sie waren restlos hingerissen und ließen bewunderungsvolles Gemurmel ertönen, während sie über dem Geländer hingen und auf einzelne Männer zeigten, die in ihrem Sonntagsstaat durch den Saal schritten. Eine junge Frau erblickte Jamie und machte ihre Freundinnen mit einem unterdrückten Ausruf auf ihn aufmerksam. Seine Erscheinung löste beträchtliches Geflüster und Gemurmel aus.
Zum Teil bewunderten sie zwar sein großartiges Aussehen, noch mehr jedoch spekulierten sie über seine Anwesenheit bei der Eidzeremonie. Mir fiel auf, dass vor allem Laoghaire wie eine Kerze leuchtete, während sie ihn beobachtete, und mir fiel wieder ein, was Alec auf der Pferdekoppel gesagt hatte – Du weißt doch, dass ihr Vater es nicht zulassen wird, dass sie einen Mann aus einem anderen Clan heiratet. Und Jamie war also Colums Neffe? Damit war der junge Mann eine überaus gute Partie. Abgesehen natürlich von dem kleinen Problem, dass er ein Gesetzloser war.