Die Dudelsackmusik erreichte einen tosenden Höhepunkt und verstummte dann abrupt. In der Totenstille des Saals kam Colum MacKenzie aus dem Eingang am Kopfende hervor und begab sich zielstrebig zu der kleinen Plattform, die man dort errichtet hatte. Auch diesmal machte er zwar keinen Hehl aus seiner Behinderung, doch er stellte sie ebenso wenig zur Schau. Er erstrahlte in einem azurblauen Rock, der reichlich mit Gold verziert war, silberne Knöpfe hatte und dessen rosenfarbige Seidenmanschetten umgeschlagen fast bis zum Ellbogen reichten. Seine Kappe war blau, aber in seinem Silberemblem steckten Federn, kein Grün. Der ganze Saal hielt den Atem an, als er die Bühne betrat. Was auch immer er sonst war – Colum MacKenzie war ein großartiger Schauspieler.
Er wandte sich den versammelten Männern zu, hob die Arme und begrüßte sie mit einem lauten Ruf.
»Tulach Ard!«
»Tulach Ard!«, erwiderten sie mit Gebrüll. Meine Nachbarin erschauerte.
Es folgte eine kurze Ansprache auf Gälisch. Diese wurde hin und wieder mit Beifallsgejohle begrüßt, und dann begann die eigentliche Eidzeremonie.
Dougal MacKenzie war der Erste, der auf Colums Plattform zutrat. Das kleine Podest verlieh Colum so viel Größe, dass sich die beiden Brüder auf Augenhöhe gegenüberstanden. Auch Dougal war prachtvoll gekleidet, doch in schlichten kastanienbraunen Samt ohne goldene Tressen, um nicht von Colums Glanz und Glorie abzulenken.
Mit einer ausladenden Handbewegung zog Dougal seinen Dolch, sank auf ein Knie und hielt den Dolch mit der Spitze nach unten senkrecht hoch. Seine Stimme war zwar weniger kraftvoll als Colums, doch immer noch so laut, dass jedes Wort im Saal widerhallte.
»Ich schwöre beim Kreuz unseres Herrn Jesus Christus und bei dem heiligen Eisen in meiner Hand, dir meine Gefolgschaft zu gewähren und dem Namen der MacKenzies meine Treue zu geloben. Sollte sich meine Hand je gegen dich erheben, so möge mir dies heilige Eisen das Herz durchbohren.«
Er ließ den Dolch sinken, küsste ihn dort, wo die Klinge auf das Heft traf, und steckte ihn wieder in die Scheide. Immer noch kniend, hielt er Colum die verschränkten Hände entgegen. Dieser nahm sie in die seinen und hob sie an seine Lippen als Zeichen, dass er den dargebotenen Eid annahm. Dann zog er Dougal hoch.
Colum drehte sich um und hob eine silberne Trinkschale von dem mit Tartan gedeckten Tisch hinter ihm. Er hob die schwere Schale mit beiden Händen an den Griffen hoch, trank daraus und hielt sie Dougal hin. Dougal trank einen ordentlichen Schluck und reichte die Schale zurück. Dann trat er mit einer letzten Verbeugung vor dem Clansherrn der MacKenzies beiseite, um seinem Hintermann Platz zu machen.
Dieser Vorgang wiederholte sich unzählige Male, vom Eid bis hin zum zeremoniellen Schluck Whisky. Angesichts der Anzahl der Männer, die vor ihm anstanden, beeindruckte mich Colums Trinkfestigkeit aufs Neue. Ich versuchte gerade, mir auszurechnen, wie viel Alkohol er wohl am Ende des Abends konsumiert haben würde, wenn er pro Eid einen Schluck trank, als ich sah, wie Jamie den Anfang der Reihe erreichte.
Nachdem Dougal seinen Eid abgelegt hatte, hatte er hinter Colum Stellung bezogen. Er bemerkte Jamie eher als Colum, der noch mit einem anderen Mann beschäftigt war, und ich sah, wie er plötzlich überrascht stutzte. Er trat dicht an seinen Bruder heran und murmelte ihm etwas zu. Colum wandte zwar den Blick nicht von dem Mann vor ihm ab, doch ich sah, wie er kaum merklich erstarrte. Auch er war überrascht und, so dachte ich, nicht unbedingt begeistert.
Die Emotionen im Saal, die ja von Anfang an deutlich spürbar gewesen waren, hatten sich im Lauf der Zeremonie noch gesteigert. Verweigerte Jamie an diesem Punkt den Eid, so hielt ich es durchaus für möglich, dass ihn die überspannten Clangenossen, die ihn umringten, in Stücke reißen würden. Ich wischte mir unauffällig die Handflächen an meinem Rock ab. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn in eine solch prekäre Lage gebracht hatte.
Er machte einen gefassten Eindruck. Obwohl es heiß war, schwitzte er nicht. Geduldig wartete er in der Reihe und ließ sich in keiner Weise anmerken, dass ihm klar war, dass er von hundert bis an die Zähne bewaffneten Männern umringt war, die jede Beleidigung gegenüber dem MacKenzie und dem Clan auf der Stelle persönlich nehmen würden. Je suis prest, in der Tat. Oder vielleicht hatte er doch beschlossen, Alecs Rat zu befolgen?
Als er schließlich an der Reihe war, bohrten sich meine Fingernägel in meine Handflächen.
Er ließ sich mit einer eleganten Bewegung auf das Knie sinken und verneigte sich tief vor Colum. Doch statt sein Messer zum Eid zu ziehen, erhob er sich und sah Colum ins Gesicht. Zu voller Größe aufgerichtet, überragte er die meisten Männer im Saal, und er war einige Zentimeter größer als Colum auf seinem Podest. Ich warf einen Blick auf Laoghaire. Sie war blass geworden, als er sich erhob, und ich sah, dass auch sie die Hände zu Fäusten geballt hatte.
Alle Augen im Saal ruhten auf ihm, doch er sprach, als seien seine Worte an Colum allein gerichtet. Seine Stimme war genauso tief wie Colums, und jedes Wort war klar zu hören.
»Colum MacKenzie, ich trete als Verwandter und Verbündeter vor dich. Ich schwöre dir keinen Eid, denn dieser ist dem Namen verpflichtet, den ich trage.« Ein leises, unheilvolles Grollen stieg aus der Menge auf, doch er beachtete es nicht und fuhr fort. »Doch ich gebe dir aus freien Stücken, was ich habe; meine Unterstützung und mein Wohlwollen, wann immer du sie brauchst. Ich entbiete dir Gehorsam als meinem Verwandten und meinem Herrn, und ich betrachte mich als deinem Wort verpflichtet, solange meine Füße auf dem Land der MacKenzies weilen.«
Er verstummte und stand aufrecht da, die Hände entspannt an den Seiten. Jetzt war es an Colum, dachte ich. Ein Wort von ihm, ein Signal, und sie würden morgen früh das Blut des jungen Mannes vom Steinboden wischen.
Einen Moment stand Colum reglos da, dann lächelte er und streckte die Hände aus. Nach kurzem Zögern legte Jamie seine Hände leicht auf Colums Handflächen.
»Wir fühlen uns geehrt, dass du uns deine Freundschaft und dein Wohlwollen anbietest«, sagte Colum deutlich. »Wir nehmen deinen Gehorsam an und betrachten dich vertrauensvoll als Verbündeten der MacKenzies.«
Die Anspannung im Saal ließ nach, und die ganze Galerie stieß einen kaum hörbaren Seufzer der Erleichterung aus, als Colum aus der Schale trank und sie Jamie entgegenhielt. Der junge Mann nahm sie lächelnd an. Doch statt des üblichen zeremoniellen Schlucks hob er das fast bis zum Rand gefüllte Gefäß, neigte es und trank. Und trank. Halb belustigt, halb respektvoll hielten die Zuschauer die Luft an, während sich seine kräftigen Halsmuskeln bewegten. Er musste doch irgendwann Luft holen, dachte ich, doch nein. Er leerte die schwere Schale bis auf den letzten Tropfen, ließ sie mit einem explosiven Keuchen sinken und reichte sie Colum zurück.
»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, sagte er ein wenig heiser, »der Verbündete eines Clans zu sein, der so einen ausgezeichneten Whiskygeschmack besitzt.«
Die Menge tobte, und er begab sich zum Ausgang. Immer wieder wurde er aufgehalten, weil man ihm im Vorübergehen gratulierend die Hände schüttelte oder auf den Rücken klopfte. Colum MacKenzie war anscheinend nicht das einzige Familienmitglied mit schauspielerischem Talent.
Die Hitze auf der Galerie war drückend, und mein Kopf schmerzte vom aufsteigenden Rauch, als die Eidzeremonie schließlich damit endete, dass Colum einige – vermutlich bewegende – Worte sprach. Unbeeinflusst von seinem Anteil an sechs Schalen Whisky, hallte seine kräftige Stimme nach wie vor von den Steinen des Burgsaals wider. Wenigstens würden ihn seine Beine heute Nacht nicht schmerzen, dachte ich, obwohl er so lange gestanden hatte.
Unter mir ertönte ein lauter Ausruf; die Dudelsäcke brachen los, und die gemessene Szene löste sich in allgemeines Gebrüll auf. Ein noch lauterer Aufschrei begrüßte die Fässer mit Ale und Whisky, die jetzt auf Holzböcken hereingetragen wurden, begleitet von großen Platten mit dampfenden Haferkeksen, Haggis und Fleisch. Mrs. Fitz, die diesen Teil des Geschehens organisiert haben musste, beugte sich gefährlich weit über das Geländer und ließ die Tafelbediensteten nicht aus den Augen – zum Großteil junge Männer, die das Alter für den formellen Eid noch nicht erreicht hatten.