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»Häh?« Das Opfer war kreidebleich vor Schreck und viel zu erschüttert, um mir zu antworten, doch einer der Männer, die ihm aus dem Wald geholfen hatten, warf mir einen seltsamen Blick zu.

»Egal«, sagte ich und zog den Kompressionsverband fest, den ich ihm um den verletzten Unterschenkel gebunden hatte. »Bringt ihn auf die Burg; Mrs. Fitz soll ihm eine heiße Suppe und eine warme Decke geben. Das muss genäht werden, und ich habe hier kein Werkzeug dafür.«

Die rhythmischen Rufe der Treiber hallten immer noch im Nebel auf dem Hügel wider. Plötzlich ertönte ein durchdringender Schrei, der sich hoch über Nebel und Bäume erhob, und ein aufgeschreckter Fasan schoss mit klatschenden Flügeln neben mir aus seinem Versteck.

»Lieber Gott im Himmel, was denn jetzt?« Ich ergriff einen Armvoll Verbandsmaterial, überließ meinen Patienten seinen Begleitern und rannte in den Wald.

Unter dem Geäst war der Nebel dichter, und ich konnte nicht mehr als ein paar Meter weit sehen, doch die aufgeregten Rufe und das knackende Unterholz führten mich in die richtige Richtung.

Es streifte von hinten an mir vorüber. Ich war so auf die Rufe konzentriert, dass ich es gar nicht hörte und es auch erst sah, als es vorbei war, eine dunkle Masse, die sich mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegte. Die absurd kleinen, gespaltenen Hufe bewegten sich fast lautlos auf dem nassen Laub.

Die Plötzlichkeit seines Auftauchens verschlug mir derart die Sprache, dass ich im ersten Moment gar nicht auf den Gedanken kam, Angst zu haben. Ich starrte einfach nur auf die Stelle im Nebel, an der das borstige schwarze Wesen verschwunden war. Dann erst, als ich die Hand hob, um mir die Haare zurückzustreichen, die sich feucht um mein Gesicht ringelten, sah ich den fleckigen roten Streifen, der quer über meine Finger lief. Ich senkte den Kopf und sah einen passenden roten Streifen auf der Rückseite meines Rocks. Das Tier war verletzt. War der Schrei womöglich von dem Wildschwein gekommen?

Ich glaubte es nicht; ich kannte den Klang einer tödlichen Verletzung. Und das Schwein war mit unverminderter Energie auf den Beinen gewesen, als es mich streifte. Ich holte tief Luft und schritt in die Wand aus Nebel hinein, um einen verwundeten Mann zu suchen.

Ich fand ihn am Fuß eines kleinen Abhangs, umringt von Männern in Kilts. Sie hatten ihre Plaids über ihn gebreitet, um ihn warm zu halten, doch der Stoff, der seine Beine bedeckte, war von Feuchtigkeit unheilvoll verdunkelt. Eine breite Spur aus schwarzem Schlamm zeigte an, wo er den Hang hinuntergerollt war, und ein Haufen aus aufgewühltem Laub und zerstampfter Erde verriet, wo er auf das Wildschwein getroffen war. Ich sank neben dem Mann auf die Knie, zog das Tuch beiseite und machte mich ans Werk.

Kaum hatte ich jedoch begonnen, als mich die Rufe der Männer bewogen, mich umzudrehen, und ich den Umriss des Nachtmahrs – auch diesmal lautlos – aus den Bäumen auftauchen und auf die Lichtung treten sah.

Diesmal hatte ich die Zeit, den Dolchgriff zu erkennen, der aus der Flanke des Tiers ragte – vielleicht das Werk des Mannes, der vor mir auf dem Boden lag. Und das gefährliche gelbe Elfenbein seiner Hauer, rot gefleckt wie die irren kleinen Augen.

Genauso vom Donner gerührt wie ich, setzten sich die Männer ringsum nur zögerlich in Bewegung, um zu den Waffen zu greifen. Ein hochgewachsener Mann war schneller als der Rest. Er riss einem Kameraden, der wie erstarrt dastand, den Jagdspeer aus der Hand und trat auf die Lichtung hinaus.

Es war Dougal MacKenzie. Er bewegte sich beinahe beiläufig und hielt den Speer mit beiden Händen vor sich hin, nicht sehr hoch, eher so, als wollte er eine Schaufel voll Erde anheben. Er war ganz auf das Tier konzentriert und redete leise darauf ein, als wollte er es mit gälischem Gemurmel aus dem Schutz des Baumes locken, neben dem es stand.

Der erste Angriff kam so plötzlich wie eine Explosion. Das Tier schoss derart dicht an ihm vorbei, dass sich der braune Jagdtartan im Luftzug bewegte. Es fuhr auf der Stelle herum und raste zurück, eine verschwommene Erscheinung aus muskelbepackter Rage. Dougal sprang beiseite wie ein Stierkämpfer und stieß mit dem Speer auf das Tier ein. Hin, her und noch einmal. Es war weniger blinde Wut als vielmehr ein Tanz zweier Gegner, die fest in ihrer Kraft verwurzelt waren und doch so beweglich, dass sie über dem Boden zu schweben schienen.

Das Ganze dauerte nur etwa eine Minute, doch es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Es endete, als Dougal dem Hieb der Stoßzähne auswich, die Spitze des kurzen, stabilen Speers hob und ihn dem Tier gezielt zwischen die steilen Schultern rammte. Ich hörte den Aufprall des Speers und ein schrilles Kreischen, das mir die Haare auf den Unterarmen zu Berge stehen ließ. Die kleinen Schweineaugen bewegten sich hektisch hin und her und suchten nach dem Feind, und die kleinen Hufe des Ebers sanken tief im Schlamm ein, als er zu wanken begann. Das anhaltende Kreischen schwoll zu unmenschlicher Höhe an, der schwere Körper fiel zur Seite, und der Dolch bohrte sich dabei bis zum Heft in die haarige Flanke. Die zierlichen Hufe traten um sich und schleuderten die feuchte Erde in großen Klumpen umher.

Das Kreischen verstummte abrupt. Einen Moment herrschte Stille, dann folgte ein durch und durch schweinisches Grunzen, und der Fellberg regte sich nicht mehr.

Dougal hatte nicht abgewartet, ob er das Schwein tatsächlich erlegt hatte, sondern das zuckende Tier umrundet und sich wieder zu dem Verletzten begeben. Er sank auf die Knie, schob dem Opfer den Arm unter die Schultern und nahm die Stelle des Mannes ein, der ihn bis jetzt gestützt hatte. Eine feine Blutspur hatte ihm die hohen Wangenknochen besprüht, und trocknende Tröpfchen verklebten ihm auf der einen Seite das Haar.

»Ist ja gut, Geordie«, sagte er, und seine rauhe Stimme war plötzlich sanft. »Ist ja gut. Ich hab ihn erwischt, Mann. Alles ist gut.«

»Dougal? Bist du das, Mann?« Der Verletzte wandte den Kopf in Dougals Richtung und versuchte angestrengt, die Augen zu öffnen.

Ich hörte überrascht zu, während ich dabei hastig Puls und Atmung des Mannes überprüfte. Dougal, der Kühne, Dougal, der Gnadenlose, sprach ganz leise mit dem Mann, wiederholte seine tröstenden Worte, drückte den Mann fest an sich und strich ihm über das zerwühlte Haar.

Ich richtete mich in die Hocke auf und streckte die Hand nach den Tüchern auf seinem Körper aus. Eine tiefe Verletzung zog sich fast dreißig Zentimeter von seiner Lende über den Oberschenkel, und sie blutete stark. Doch es spritzte nicht; die Oberschenkelarterie war nicht verletzt, was bedeutete, dass es eine Chance gab, die Blutung zu stillen.

Was nicht gestillt werden konnte, war die Flüssigkeit, die dem Mann aus dem Bauch sickerte, wo die reißenden Stoßzähne Haut und Muskeln, Bauchfell und Darm geöffnet hatten. Es war zwar kein größeres Blutgefäß durchtrennt, doch der Darm war perforiert; durch den gezackten Riss in der Haut des Mannes konnte ich es deutlich sehen. Solche Bauchverletzungen waren häufig tödlich, selbst wenn man einen modernen Operationssaal, steriles Nähmaterial und Antibiotika zur Verfügung hatte. Der auslaufende Inhalt des perforierten Darms verseuchte den ganzen Bauchraum, der sich mit tödlicher Gewissheit entzünden würde. Und hier, wo ich den Mann höchstens mit Knoblauchzehen und Schafgarbenblüten behandeln konnte …

Mein Blick traf auf Dougal, der sich die furchtbare Wunde ebenfalls betrachtet hatte. Seine Lippen bewegten sich und formten tonlos über den Kopf des Mannes hinweg die Worte: »Kann er das überleben?«

Ich schüttelte stumm den Kopf. Er hielt einen Moment inne, ohne Geordie loszulassen, dann streckte er die Hand aus und löste mit gezielten Bewegungen den Druckverband, den ich am Oberschenkel des Mannes angelegt hatte. Er sah mich an, als wollte er mich zum Widerspruch herausfordern, doch meine einzige Bewegung war ein kleines Kopfnicken. Ich konnte die Blutung stillen, damit man den Mann auf einer Bahre zurück zur Burg transportieren konnte. Zurück zur Burg, wo er unter wachsenden Qualen dahinvegetieren würde, während die Bauchverletzung eiterte, bis sich die Fäulnis schließlich so weit ausbreitete, dass er starb, nachdem er tagelang endlose Schmerzen gelitten hatte. Vielleicht war das, was Dougal ihm schenkte, ein besserer Tod – unverzüglich unter dem Himmel zu sterben, wo sein Herzblut das gleiche Laub tränkte, das schon vom Blut des Tieres verfärbt war, das ihn umgebracht hatte. Ich kroch über das feuchte Laub zu Geordies Kopf und nahm sein Gewicht zur Hälfte auf meinen Arm.