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Ich nickte. Das war zu erwarten gewesen.

»Und dann«, fuhr Ned Gowan mit einem Seufzer fort, »ist er zu früh wieder aufgestanden und die Treppe hinuntergefallen. Dabei hat er sich das andere Bein gebrochen. Er hat fast ein Jahr im Bett gelegen, doch es wurde bald klar, dass er dauerhaft beeinträchtigt bleiben würde. Leider ist Jacob zu diesem Zeitpunkt gestorben.«

Mr. Gowan hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen. Er spähte noch einmal nach vorn, als suchte er jemanden. Da er ihn nicht fand, machte er es sich wieder im Sattel bequem.

»Das war etwa zur selben Zeit, als sich der Skandal um die Hochzeit seiner Schwester ereignete«, sagte er. »Und Dougal … nun, Dougal hat sich in dieser Situation leider nicht besonders ruhmreich verhalten. Sonst hätte man Dougal damals vielleicht zum Häuptling gemacht, doch man hatte nicht das Gefühl, dass sein Urteilsvermögen dafür schon ausreichte.« Er schüttelte den Kopf. »Oh, was für ein Aufruhr damals herrschte! Jeder Vetter und Onkel und Gefolgsmann wollte mitreden, und man hielt ein großes Gathering ab, um die Angelegenheit zu entscheiden.«

»Aber dann haben sie doch Colum gewählt?«, fragte ich. Einmal mehr staunte ich über Colum MacKenzies starke Persönlichkeit. Und mit einem Blick auf den von den Jahren schon leicht verschrumpelten kleinen Mann, der an meiner Seite ritt, dachte ich, dass Colum auch eine glückliche Hand bei der Wahl seiner Verbündeten besaß.

»Ja, aber nur, weil die Brüder entschlossen Seite an Seite gestanden haben. Es herrschte ja weder Zweifel an Colums Mut noch an seiner Klugheit, nur an seinem Körper. Es war klar, dass er nie wieder in der Lage sein würde, seine Männer in den Kampf zu führen. Doch es gab schließlich noch Dougal, stark und gesund, wenn auch ein wenig hitzköpfig. Und er hat sich hinter den Sessel seines Bruders gestellt und geschworen, Colum Folge zu leisten, ihm die Beine zu ersetzen und im Feld sein Schwertarm zu sein. Also wurde der Vorschlag unterbreitet, Colum zum Oberhaupt des Clans zu machen, wie es unter normalen Umständen sowieso geschehen wäre, und Dougal zum Kriegshäuptling zu ernennen, der den Clan in kämpferischen Zeiten anführen konnte. Die Situation war nicht ohne Präzedenzfall«, fügte er im Amtsjargon hinzu.

Die Bescheidenheit, mit der er besagten »Vorschlag« erläutert hatte, ließ keinen Zweifel daran, von wem er gekommen war.

»Und wessen Mann seid Ihr?«, fragte ich. »Colums oder Dougals?«

»Mein Interesse muss dem MacKenzie-Clan als Ganzes gelten«, erklärte Mr. Gowan umsichtig. »Der Form halber habe ich jedoch Colum die Treue geschworen.«

Der Form halber, haha, dachte ich. Ich hatte die Eidzeremonie ja gesehen, auch wenn ich mich nicht bewusst an die schmächtige Gestalt des Anwalts dabei erinnern konnte. Diese Zeremonie konnte niemanden, der dort anwesend war, kaltgelassen haben, nicht einmal einen geborenen Anwalt. Und der schmächtige Mann auf der braunen Stute neben mir mochte ja ein knochentrockenes Gemüt haben und noch dazu bis ins Mark von der Liebe zum Recht erfüllt sein, doch er hatte selbst gesagt, dass er die Seele eines Romantikers besaß.

»Er muss Euch als sehr große Hilfe empfinden«, sagte ich diplomatisch.

»Oh, hin und wieder steuere ich das eine oder andere bei«, sagte er, »in bescheidenem Umfang. Übrigens auch für andere. Solltet Ihr einmal Rat benötigen, meine Liebe«, sagte er und strahlte mich an, »zögert nicht, mich anzusprechen. Ihr könnt Euch auf meine Diskretion verlassen, das versichere ich Euch.« Er verneigte sich leicht im Sattel.

»Genauso wie auf Eure Loyalität gegenüber Colum MacKenzie?«, fragte ich und zog die Augenbrauen hoch. Seine kleinen braunen Augen sahen mich offen an, und ich erkannte sowohl die Schläue als auch den Humor, der in ihren verblassten Tiefen lauerte.

»Ah, nun ja«, sagte er, ohne sich zu entschuldigen, »den Versuch war’s wert.«

»Vermutlich«, sagte ich eher amüsiert als gekränkt. »Aber ich versichere Euch, Mr. Gowan, dass ich Eurer Diskretion nicht bedarf, zumindest gegenwärtig nicht.« Es ist ansteckend, dachte ich, als ich mich reden hörte. Ich klinge schon genau wie er.

»Ich bin Engländerin«, fügte ich entschlossen hinzu, »mehr nicht. Colum vergeudet seine Zeit – und die Eure –, wenn er versucht, mir Geheimnisse zu entlocken, die nicht existieren.« Oder die zwar existieren, aber unmöglich erzählt werden können, setzte ich im Stillen hinzu. Mr. Gowans Diskretion mochte ja grenzenlos sein, sein Glaube war es gewiss nicht.

»Er hat Euch doch nicht nur deshalb mitgeschickt, um mich zu kompromittierenden Enthüllungen zu bewegen, oder?«, wollte ich wissen – ein Gedanke, der mir plötzlich durch den Kopf schoss.

»Oh, nein.« Mr. Gowan lachte über die Vorstellung. »Nein, wirklich, meine Liebe. Ich erfülle eine wichtige Funktion, indem ich für Dougal die Bücher führe und mich um kleinere juristische Fragen kümmere, die die Clanmitglieder in den entlegeneren Gegenden möglicherweise haben. Und ich fürchte, ich bin selbst in meinem fortgeschrittenen Alter dem Drang nach Abenteuer noch nicht ganz entwachsen. Das Leben hier ist zwar um einiges gesitteter als früher …«, er stieß einen Seufzer aus, der tatsächlich Bedauern auszudrücken schien, »doch es besteht ja stets die Möglichkeit, dass wir unterwegs unter die Räuber fallen.«

Er tätschelte die zweite Tasche an seinem Sattel. »Auch diese Tasche ist nicht ganz leer.« Er schlug den Deckel zurück, und ich sah die krummen Griffe zweier Pistolen aufglänzen, die in einer Doppelschlinge befestigt und damit jederzeit greifbar waren.

Er betrachtete mich mit einem Blick, dem keine Einzelheit meiner Kleidung und meiner Erscheinung entging.

»Eigentlich solltet Ihr ebenfalls bewaffnet sein, meine Liebe«, sagte er in sacht tadelndem Ton. »Obwohl ich vermute, dass Dougal es nicht angebracht fände … trotzdem. Ich rede mit ihm darüber«, versprach er.

Den Rest des Tages verbrachten wir mit freundlichen Gesprächen und schwelgten in seinen Erinnerungen an die leider vergangenen Tage, als Männer noch Männer waren und das Unkraut der Zivilisation das wilde Gesicht der Highlands noch nicht derart zugewuchert hatte.

Als es Abend wurde, schlugen wir unser Lager auf einer Lichtung am Straßenrand auf. Ich hatte eine Decke dabei, die zusammengerollt hinter meinem Sattel befestigt war. Ich bereitete mich darauf vor, meine erste Nacht in Freiheit darunter zu verbringen. Doch als ich mich vom Feuer entfernte und mir eine Stelle hinter den Bäumen suchte, wurde mir bewusst, dass mir aufmerksame Blicke folgten. Offenbar hatte die Freiheit selbst unterwegs ihre Grenzen.

Gegen Mittag des zweiten Tages erreichten wir unsere erste Station. Es war nicht mehr als eine Ansammlung von drei oder vier Hütten, die etwas abseits der Straße am Eingang eines kleinen Tals standen. Man holte Dougal einen Hocker aus einer der Hütten und legte eine Planke – die in weiser Voraussicht auf einem der Wagen mitgeführt wurde – als Schreibunterlage für Mr. Gowan über zwei weitere Hocker.

Er holte ein gestärktes Leinenquadrat aus seiner Rocktasche und legte es sorgfältig über einen Baumstumpf, der sonst als Hackklotz diente. Darauf setzte er sich nun und machte sich in aller Seelenruhe daran, sein Tintenhorn und seine Kassenbücher vor sich aufzureihen, als säße er noch hinter seinen Spitzenvorhängen in Edinburgh.

Nacheinander erschienen die Männer aus den nahe gelegenen Katen, um ihre jährlichen Geschäfte mit dem Stellvertreter des Clanoberhauptes abzuwickeln. Dabei ging es zwanglos zu, viel weniger förmlich als in der Halle von Leoch. Die Männer kamen frisch vom Feld oder aus der Scheune, nahmen sich einen freien Hocker und setzten sich zu Dougal, um ihm auf Augenhöhe ihre Lage zu schildern, sich zu beschweren oder einfach nur zu plaudern.

Manche von ihnen wurden von ein oder zwei kräftigen Söhnen begleitet, die Getreide oder Wolle in Säcken herbeischleppten. Zum Abschluss jedes Gesprächs stellte der unermüdliche Ned Gowan eine Quittung für die bezahlte Jahrespacht aus, trug die Transaktion gewissenhaft in seine Bücher ein und schnippte mit den Fingern in die Richtung der Kutscher, die die Bezahlung gehorsam auf einen der Wagen hievten. Weniger häufig verschwand ein Häuflein Münzen leise klirrend in den Tiefen seines Lederbeutels. Die bewaffneten Wachtposten lagerten währenddessen unter den Bäumen oder verschwanden auf den bewaldeten Hängen – vermutlich um zu jagen.