»Gut«, sagte er und grinste. Er begann aufzustehen, hielt aber auf halbem Weg inne und verzog das Gesicht. »Aye, nun ja. Vielleicht schmerzen meine Rippen ein bisschen.«
»Natürlich tun sie das. Du bist ja überall blau – schon wieder. Warum tust du so etwas? Was in Gottes Namen meinst du denn, woraus du bestehst? Aus Eisen?«, fragte ich gereizt.
Er grinste reumütig und fasste sich an die geschwollene Nase.
»Nein. Ich wünschte, das täte ich.«
Ich seufzte erneut und tastete vorsichtig seine Rippen ab.
»Ich glaube nicht, dass sie gebrochen sind; sie sind nur geprellt. Aber ich verbinde dich vorsichtshalber. Stell dich hin, roll dein Hemd auf und streck die Arme zur Seite.« Ich begann, ein altes Schultertuch, das mir die Wirtsfrau gegeben hatte, in Streifen zu reißen. Während ich murmelnd von Klebpflastern und anderen Vorzügen des zivilisierten Lebens träumte, improvisierte ich einen Stützverband, zog die Enden fest und befestigte ihn mit der Ringbrosche von seinem Plaid.
»Ich bekomme keine Luft«, jammerte er.
»Wenn du atmest, tut es weh. Halt still. Wo hast du denn so kämpfen gelernt? Auch von Dougal?«
»Nein.« Er zuckte zusammen, als ich ihm die verletzte Augenbraue mit Essig betupfte. »Mein Vater hat es mir beigebracht.«
»Tatsächlich? Was war er? Meister im Boxen?«
»Was ist denn ein Meister im Boxen? Nein, er hatte eine Farm. Und war Pferdezüchter.« Jamie holte zischend Luft, als ich jetzt sein aufgeschrammtes Schienbein mit dem Essig behandelte.
»Als ich neun oder zehn war, hat er gesagt, er geht davon aus, dass ich so groß werde wie die Verwandten meiner Mutter, also müsste ich lernen, wie man kämpft.« Er atmete jetzt freier und hielt mir die Hand hin, damit ich sie mit Ringelblumensalbe einreiben konnte.
»Er hat gesagt: ›Wenn du groß und kräftig bist, wird die Hälfte der Männer Angst vor dir haben, und die andere Hälfte wird sich mit dir messen wollen. Wenn du einen zu Boden schlägst, wird dich der Rest in Ruhe lassen. Aber du musst lernen, schnell und gezielt zu agieren, sonst kämpfst du dein Leben lang.‹ Also ist er mit mir in die Scheune gegangen und hat mich ins Stroh gehauen, bis ich gelernt habe zurückzuschlagen. Au! Das beißt.«
»Fingernagelkratzer sind heimtückisch«, klärte ich ihn auf und betupfte ihm geschäftig den Hals. »Vor allem, wenn sich der Besitzer der Fingernägel nicht regelmäßig wäscht. Und ich glaube nicht, dass der Bursche mit den fettigen Haaren auch nur einmal im Jahr badet. ›Schnell und gezielt‹ ist nicht ganz die Beschreibung, die ich für das benutzen würde, was du vorhin getan hast, aber es war auf jeden Fall beeindruckend. Dein Vater wäre stolz auf dich.«
Es war sarkastisch gemeint, und ich war überrascht, einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen.
»Mein Vater ist tot«, sagte er ausdruckslos.
»Oh, das tut mir leid.« Ich reinigte den Rest der Wunde und sagte dann leise: »Trotzdem. Er wäre stolz auf dich.«
Er antwortete nicht, doch er deutete ein Lächeln an. Er kam mir plötzlich furchtbar jung vor, und ich fragte mich, wie alt er wohl war. Ich war gerade im Begriff zu fragen, als ein Hüsteln hinter uns einen Besucher ankündigte.
Es war der drahtige kleine Mann namens Murtagh. Er warf einen belustigten Blick auf Jamies Stützverband und warf einen kleinen Waschlederbeutel durch die Luft. Jamie hob die Hand und fing ihn mühelos. Der Beutel klimperte leise.
»Und was ist das?«, fragte er.
Murtagh zog eine seiner schütteren Augenbrauen hoch. »Dein Anteil am Wettgewinn, was denn sonst?«
Jamie schüttelte den Kopf und hob den Beutel, um ihn zurückzuwerfen.
»Ich habe doch gar nicht mitgewettet.«
Murtagh gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. »Du hast aber den Hauptteil der Arbeit gemacht. Du bist im Moment ziemlich beliebt, zumindest bei denen, die auf dich gesetzt haben.«
»Vermutlich nur nicht bei Dougal«, warf ich ein.
Murtagh war einer dieser Männer, die immer etwas verblüfft aussahen, wenn sie feststellten, dass Frauen Stimmen hatten, doch er nickte höflich.
»Aye, das stimmt. Ich glaube aber nicht, dass du dir deswegen Sorgen machen musst«, sagte er zu Jamie.
»Nicht?« Die beiden Männer wechselten einen Blick, dessen Botschaft ich nicht verstand. Jamie atmete sacht durch die Zähne aus und nickte langsam vor sich hin.
»Wann?«, fragte er.
»Eine Woche. Vielleicht zehn Tage. In der Nähe eines Ortes namens Lag Cruime. Du weißt, wo?«
Jamie nickte erneut und sah so zufrieden aus wie schon lange nicht mehr. »Ich weiß, wo.«
Ich blickte von einem Gesicht zum anderen, beide verschlossen und geheimnistuerisch. Murtagh hatte also etwas herausgefunden. Vielleicht etwas, das mit dem mysteriösen »Horrocks« zu tun hatte? Ich zuckte mit den Schultern. Ganz gleich, warum, anscheinend waren Jamies Tage als Ausstellungsstück vorüber.
»Dougal könnte ja stattdessen immer noch Stepp tanzen«, schlug ich vor.
»Häh?« Das Geheimnistuerische in ihren Mienen wich der Verblüffung.
»Ach, egal. Gute Nacht.« Ich griff nach dem Behälter mit meiner medizinischen Ausrüstung und ging ebenfalls schlafen.
Kapitel 12
Der Garnisonskommandeur
Allmählich näherten wir uns Fort William, und ich begann, ernsthaft darüber nachzudenken, wie meine Vorgehensweise aussehen sollte, wenn wir dort eintrafen.
Vermutlich hing es am meisten davon ab, wie sich der Garnisonskommandeur verhielt. Wenn er glaubte, dass ich eine Dame in Schwierigkeiten war, würde er mir ja vielleicht Begleitschutz zur Küste und zu meinem angeblichen Schiff nach Frankreich geben.
Angesichts der Tatsache, dass ich in Begleitung der MacKenzies auftauchte, war es aber genauso gut möglich, dass er mir argwöhnisch gegenübertrat. Allerdings war ich eindeutig keine Schottin; er würde mich doch wohl nicht für eine Spionin halten? Denn das war es allem Anschein nach, was Colum und Dougal dachten – dass ich für die Engländer spionierte.
Was mich zu der Frage brachte, was ich ihrer Meinung nach wohl ausspionieren sollte? Nun, vermutlich unpatriotische Aktivitäten, zu welchen definitiv auch das Sammeln von Geld zur Unterstützung des Thronprätendenten Prinz Charles Edward Stuart zählte.
Doch warum hatte Dougal dann zugelassen, dass ich das mitbekam? Er hätte mich vor diesem Teil des Geschehens doch problemlos aus dem Schankraum schicken können. Andererseits, so überlegte ich, hatte sich besagtes Geschehen ja komplett auf Gälisch abgespielt.
Vielleicht war es genau darum gegangen. Ich erinnerte mich noch an den seltsamen Schimmer in seinen Augen und seine Frage: »Ich dachte, Ihr versteht kein Gälisch?« Vielleicht wollte er mich auf die Probe stellen und überprüfen, ob ich die Sprache tatsächlich nicht verstand. Denn die Engländer hätten wohl kaum eine Spionin in die Highlands entsandt, die sich mit mehr als der Hälfte der Bevölkerung nicht verständigen konnte.
Aber nein, die Unterhaltung zwischen Jamie und Dougal, die ich mit angehört hatte, schien darauf hinzudeuten, dass Dougal in der Tat Jakobit war, Colum hingegen anscheinend – noch – nicht.
Allmählich brummte mir von diesen Gedankenspielen der Kopf, und ich war froh zu sehen, dass wir uns einem recht großen Dorf näherten. Das bedeutete erfahrungsgemäß ein gutes Wirtshaus und anständiges Essen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Gemessen an den Verhältnissen, an die ich mich gewöhnt hatte, war das Gasthaus tatsächlich geräumig. Das Bett war anscheinend für Zwerge gebaut – und zwar für an hungrige Flöhe gewöhnte Zwerge –, doch es stand zumindest in einem separaten Zimmer. Ich hatte schon mehrfach in kleineren Gasthäusern auf der Kaminbank im Schankraum geschlafen, umringt von schnarchenden Männergestalten und in Plaids gehüllten Häuflein.