Kapitel 16
Ein schöner Tag
Die mühsam gewonnene Intimität der Nacht schien mit dem Morgentau verdunstet zu sein, und wir begegneten uns mit großer Zurückhaltung. Nachdem wir weitgehend schweigend in unserem Zimmer gefrühstückt hatten, stiegen wir auf den kleinen Hügel an der Rückseite des Gasthauses. Hin und wieder tauschten wir ziemlich verkrampfte Höflichkeiten aus.
Auf dem Hügel ließ ich mich auf einen Baumstamm plumpsen, um mich auszuruhen, während sich Jamie ein Stückchen entfernt auf den Boden setzte und sich mit dem Rücken an einen Kiefernschössling lehnte.
Hinter mir raschelte ein Vogel im Gebüsch, vermutlich ein Zeisig oder eine Drossel. Ich lauschte den Geräuschen, sah die Wölkchen am Himmel vorüberziehen und machte mir zögernd Gedanken, wie ich mit einer Situation wie dieser umgehen sollte.
Gerade wurde die Stille unerträglich, als Jamie plötzlich »Ich hoffe …« sagte, danach verstummte und verlegen errötete. Obwohl ich eher das Gefühl hatte, dass ich es war, die rot werden sollte, war ich froh, dass zumindest einer von uns dazu imstande war.
»Was?«, fragte ich so ermunternd wie möglich.
Immer noch rot, schüttelte er den Kopf. »Es ist nicht wichtig.«
»Bitte.« Ich streckte mein Bein aus und stupste ihn vorsichtig mit dem Zeh an. »Aufrichtigkeit, weißt du noch?« Das war zwar gemein, aber ich konnte sein nervöses Räuspern und Zucken nicht mehr ertragen.
Er legte die Hände um seine Knie und lehnte sich ein wenig zurück, richtete den Blick dann aber direkt auf mich.
»Ich wollte sagen«, sagte er leise, »dass ich hoffe, der Mann, der die Ehre hatte, zum ersten Mal mit dir zu schlafen, war dir gegenüber genauso großzügig, wie du es mir gegenüber warst.« Er lächelte etwas schüchtern. »Aber dann habe ich nachgedacht und hatte das Gefühl, das klingt nicht so, wie ich es meine. Was ich gemeint habe … nun ja, was ich sagen wollte, ist danke.«
»Das hatte doch nichts mit Großzügigkeit zu tun!«, gab ich zurück. Ich senkte den Blick und kratzte energisch mit den Fingern an einem nicht vorhandenen Fleck auf meinem Kleid herum. Ein großer Schuh schob sich in mein Blickfeld und stieß mir gegen den Knöchel.
»Aufrichtigkeit, soso«, wiederholte er, und als ich den Blick hob, sah ich mich zwei spöttisch hochgezogenen Augenbrauen und einem breiten Grinsen gegenüber.
»Nun ja«, verteidigte ich mich, »zumindest nach dem ersten Mal nicht mehr.« Er lachte, und ich musste entsetzt feststellen, dass auch ich es nicht verhindern konnte, rot anzulaufen.
Ein kühler Schatten fiel auf mein erhitztes Gesicht, und zwei große Hände griffen fest nach meinen Fingern und zogen mich hoch. Jamie nahm meinen Platz auf dem Baumstamm ein und klopfte sich einladend auf das Knie.
»Setz dich«, sagte er.
Zögernd folgte ich seiner Aufforderung, sah ihn aber dabei nicht an. Er drückte mich leicht an seine Brust und legte mir die Arme um die Taille. Ich fühlte seinen rhythmischen Herzschlag in meinem Rücken.
»Also schön«, begann er. »Wenn wir uns noch nicht unverkrampft unterhalten können, ohne uns gegenseitig zu berühren, dann berühren wir uns eben. Sag mir, wenn du dich wieder an mich gewöhnt hast.« Er lehnte sich zurück, so dass wir im Schatten saßen, und hielt mich fest, ohne etwas zu sagen. Er atmete einfach nur langsam ein und aus, so dass ich spürte, wie sich seine Brust hob und senkte und mir sein Atem die Haare bewegte.
»In Ordnung«, sagte ich nach einer Weile.
»Gut.« Er löste seinen Griff und drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. Aus dieser Nähe konnte ich die rotbraunen Bartstoppeln auf seinen Wangen und seinem Kinn klar erkennen. Ich ließ meine Finger darübergleiten; es fühlte sich an wie der Bezug eines altmodischen Sofas, kratzig und weich zugleich.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich konnte mich heute Morgen nicht rasieren. Dougal hat mir zwar gestern vor der Hochzeit ein Rasiermesser gegeben, aber er wollte es zurückhaben … wahrscheinlich, damit ich mir nicht nach der Hochzeitsnacht die Kehle durchschneide.« Er sah mich grinsend an, und ich lächelte.
Nachdem er Dougal erwähnte, erinnerte ich mich an unsere Unterhaltung gestern Abend.
»Ich habe mich gefragt …«, sagte ich. »Also, du hast doch gestern gesagt, Dougal und seine Männer hätten dich an der Küste erwartet, als du aus Frankreich zurückgekommen bist. Warum bist du bei ihm geblieben, statt nach Hause zu gehen oder zumindest in die Nähe deiner Familie? Ich meine, so, wie Dougal dich behandelt hat …« Ich zögerte und verstummte.
»Oh«, sagte er und verschob die Beine, um mein Gewicht besser zu verteilen. Ich konnte ihm beinahe beim Denken zuhören. Er brauchte jedoch nicht lange für seinen Entschluss.
»Nun ja, ich denke, es ist etwas, das du wissen solltest.« Er runzelte die Stirn. »Ich habe dir erzählt, warum ich vogelfrei bin. In der ersten Zeit nach … nach Fort William ist mir alles … mehr oder weniger gleichgültig gewesen. Damals ist mein Vater gestorben, und meine Schwester …« Wieder hielt er inne, und ich konnte spüren, wie er mit sich rang. Tiefe Emotionen überschatteten sein normalerweise fröhliches Gesicht.
»Dougal hat mir erzählt«, sagte er zögernd, »also Dougal hat mir erzählt … dass meine Schwester ein Kind erwartete. Von Randall.«
»Oje.«
Er sah mich flüchtig an und wandte dann den Blick ab. Seine Augen leuchteten wie Saphire, und er blinzelte ein-, zweimal hastig.
»Ich … ich konnte mich nicht überwinden zurückzugehen«, sagte er leise. »Sie wiederzusehen, nach allem, was geschehen war. Außerdem …« Er seufzte, dann nahm sein Mund einen entschlossenen Ausdruck an. »Dougal hat mir erzählt, dass sie sich nach der Geburt des Kindes … nun ja, sie konnte ja nicht anders; sie war völlig allein – verdammt, ich habe sie allein gelassen!« Er holte tief Luft und beendete den Satz. »Er hat gesagt, sie hätte sich mit einem anderen englischen Soldaten zusammengetan, jemand aus der Garnison, er wusste nichts Genaueres.«
Er schluckte krampfhaft, dann fuhr er etwas ruhiger fort. »Ich habe ihr natürlich Geld geschickt, so viel ich konnte, aber ich konnte nicht … ich konnte mich nicht überwinden, ihr zu schreiben. Was sollte ich ihr auch berichten?« Er zuckte hilflos mit den Schultern.
»Nach einer Weile hatte ich genug vom Söldnerdasein in Frankreich. Und ich habe von meinem Onkel Alex erfahren, dass er von einem englischen Deserteur namens Horrocks gehört hatte. Der Mann hatte der Armee den Rücken gekehrt und sich bei Francis MacLean in Dunweary verdingt. Eines Tages hatte er zu viel getrunken, und dabei ist ihm herausgerutscht, dass er zum Zeitpunkt meiner Flucht in Fort William stationiert war. Und dass er den Mann genau gesehen hatte, der damals den Sergeant-Major erschossen hat.«
»Er könnte also beweisen, dass du es nicht warst?« Das klang doch nach einer guten Nachricht. Jamie nickte.
»So ist es. Obwohl das Wort eines Deserteurs vermutlich nicht viel Gewicht hätte. Doch es ist immerhin ein Anfang. Und zumindest wüsste ich dann, wer es war. Ich sehe zwar immer noch nicht, wie ich nach Lallybroch zurückkehren könnte, aber es wäre schon ein gewisser Fortschritt, wenn ich mich auf schottischem Boden bewegen könnte, ohne meinen Hals zu riskieren.«
Was folgte, war eine komplizierte Analyse seiner Familienbeziehungen und Clanverbindungen, doch als sich der Nebel der Geschichte verzogen hatte, sah die Sache so aus, dass Francis MacLean irgendwie mit den MacKenzies verschwägert war und er daher die Nachricht von Horrocks an Colum übersandt hatte, der dann Dougal aufgetragen hatte, mit Jamie Verbindung aufzunehmen.