»Weißt du, wer das ist?«, keuchte ich, während ich ihm bergauf in die Heidelandschaft folgte.
»Oh, aye.« Jamie bewegte sich über den steilen Pfad wie eine Bergziege, ohne irgendwie außer Atem zu geraten. Dann sah er sich um, bemerkte, wie mühsam ich vorankam, und reichte mir die Hand, um mir zu helfen.
»Es ist die Wachpatrouille«, erklärte er und wies kopfnickend auf das Gasthaus zurück. »Wir sind hier zwar sicher, aber ich dachte, besser, wenn wir noch ein bisschen weiter weggehen.«
Ich hatte schon von der berühmten Schwarzen Wache gehört, jener inoffiziellen Polizeitruppe, die in den Highlands für Ordnung sorgte, und auch von anderen Wachpatrouillen, die alle ihre eigenen Territorien durchstreiften und von ihren Klienten ein regelmäßiges Entgelt dafür kassierten, dass sie auf ihr Vieh und ihren Besitz aufpassten. Geriet ein Klient in Verzug, so war es gut möglich, dass er eines Morgens aufwachte, sein Vieh verschwunden war und ihm niemand sagen konnte, wohin – schon gar nicht die Männer der Wache. Ich wurde plötzlich von einer irrationalen Angst gepackt.
»Sie sind doch nicht auf der Suche nach dir, oder?«
Er schaute sich verblüfft um, als rechnete er damit, diverse Verfolger bergauf galoppieren zu sehen, doch es war niemand da, und er richtete den Blick mit einem erleichterten Lächeln wieder auf mich und legte mir den Arm um die Taille, um mir voranzuhelfen.
»Nein, das bezweifle ich. Zehn Pfund Sterling sind nicht genug für derart viele Männer. Und wenn sie wüssten, dass ich in dem Gasthaus bin, wären sie nicht alle auf einmal zur Tür gepoltert.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, wenn sie auf Menschenjagd wären, hätten sie Männer zur Beobachtung der Hintertür und der Fenster um das Haus geschickt, ehe der Rest durch die Eingangstür geht. Vermutlich haben sie nur dort haltgemacht, um sich zu erfrischen.«
Wir stiegen weiter bergauf, bis sich der angedeutete Pfad im Ginster- und Heidegebüsch verlor. Dies waren Felsenhügel, und die mehr als mannshohen Granitbrocken erinnerten mich unangenehm an die Menhire des Craigh na Dun.
Schließlich erreichten wir das Plateau auf dem Hügel, und ringsum bot sich ein atemberaubender Blick auf die Felsen und das Grün unter uns. Ich hatte in den Highlands meistens das Gefühl, von Bäumen, Gestein oder Bergen eingekesselt zu sein, doch jetzt standen wir im frischen Wind und in den Strahlen der Sonne, die zum Vorschein gekommen war, als wollte sie unsere unorthodoxe Ehe feiern.
Fern von Dougals Einfluss und der klaustrophobischen Gesellschaft so vieler Männer empfand ich ein schwindelerregendes Gefühl der Freiheit. Fast hätte ich Jamie gedrängt, davonzulaufen und mich mitzunehmen, doch dann siegte die Vernunft. Keiner von uns hatte Geld oder Proviant, außer dem bisschen, was Jamie zum Mittagessen in seinem Sporran trug. Man würde uns mit Sicherheit verfolgen, wenn wir bei Sonnenuntergang nicht zurück im Gasthaus waren. Und Jamie hatte zwar offensichtlich keine Schwierigkeiten, den ganzen Tag in den Felsen herumzuklettern, ohne dass ihm der Schweiß ausbrach oder die Luft knapp wurde, aber meine Kondition reichte dazu nicht aus. Er bemerkte mein rotes Gesicht, führte mich zu einem Felsen, setzte sich neben mich und blickte zufrieden über die Hügel hinaus, während er darauf wartete, dass ich wieder zu Atem kam. Hier waren wir zweifellos nicht in Gefahr.
Bei dem Gedanken an die Wache legte ich Jamie impulsiv die Hand auf den Arm.
»Ich bin furchtbar froh, dass du nicht viel wert bist«, sagte ich.
Er betrachtete mich einen Moment und rieb sich die Nase, die allmählich rot wurde.
»Nun, das kann man jetzt so oder so verstehen, Sassenach, aber unter den gegebenen Umständen«, sagte er, »danke.«
»Ich sollte dir danken«, sagte ich, »dass du mich geheiratet hast. Ich bin wirklich lieber hier als in Fort William.«
»Danke für das Kompliment, meine Dame«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. »Das gilt genauso für mich. Und da wir schon dabei sind, einander zu danken«, fügte er hinzu, »sollte ich dir auch dafür danken, dass du mich geheiratet hast.«
»Äh, nun ja …« Wieder wurde ich rot.
»Nicht nur dafür, Sassenach«, sagte er, und sein Grinsen wurde breiter. »Obwohl, natürlich auch dafür. Aber ich vermute, dass du mir nebenbei das Leben gerettet hast, zumindest im Hinblick auf die MacKenzies.«
»Wie meinst du das?«
»Zur Hälfte MacKenzie zu sein ist eine Sache«, erklärte er. »Zur Hälfte MacKenzie und mit einer Engländerin verheiratet zu sein, eine ganz andere. Es ist so gut wie undenkbar, dass eine Sassenach jemals Herrin von Leoch wird, ganz gleich, was die Männer des Clans von mir persönlich halten. Das ist nämlich der Grund, warum Dougal mich als Bräutigam für dich ausgesucht hat.«
Er zog seine Augenbraue hoch, die rötlich golden in der Vormittagssonne glänzte. »Ich hoffe, du hättest nicht doch lieber Rupert genommen?«
»Nein, das hätte ich nicht«, sagte ich mit Nachdruck.
Er stand lachend auf und strich sich die Kiefernnadeln von seinem Kilt.
»Nun, meine Mutter hat mir ja gesagt, dass eines schönen Tages die Wahl eines Mädchens auf mich fallen würde.« Er streckte die Hand aus und half mir hoch.
»Ich habe gesagt«, fuhr er fort, »dass ich dachte, dass es doch die Sache des Mannes ist, sich ein Mädchen auszusuchen.«
»Und was meinte sie dazu?«, fragte ich.
»Sie hat die Augen verdreht und gesagt: ›Du wirst schon sehen, mein kleiner Angeber, du wirst schon sehen.‹« Er lachte. »Und so ist es auch gekommen.«
Er hob den Blick. Die Sonne webte zitronengelbe Fäden zwischen die Kiefernnadeln.
»Und was für ein schöner Tag es ist. Komm, Sassenach. Wir gehen fischen.«
Wir wanderten weiter in das Hügelland hinauf. Diesmal wandte sich Jamie nach Norden, bis wir ein Geröllfeld überquerten und durch eine Spalte in ein grünes Felsental gelangten. Es war vom Gurgeln eines Flüsschens erfüllt, das sich in mehreren kleinen Fällen aus den Felsen ergoss und am anderen Ende der Schlucht in eine Reihe von Becken und Bächen stürzte.
Wir ließen die Füße im Wasser baumeln, rückten vom Schatten in die Sonne und dann wieder in den Schatten, wenn es uns zu warm wurde, redeten über dies und jenes, waren uns der kleinsten Bewegung des anderen bewusst und warteten geduldig, bis uns der Zufall zu jenem Moment führte, in dem sich ein Blick länger hinzog und eine Berührung mehr bedeutete.
An einem der dunklen Wasserbecken zeigte mir Jamie, wie man Forellen überlistet. Er ging in die Hocke, um nicht mit dem tief hängenden Geäst in Berührung zu kommen, streckte die Arme aus, um besser balancieren zu können, und watschelte über eine Felsenzunge, die auf das Wasser hinausragte. Auf halbem Weg drehte er sich vorsichtig um und winkte mir mit ausgestreckter Hand, ihm zu folgen.
Ich hatte mir ohnehin die Röcke für die Wanderung durch das rauhe Terrain hochgesteckt und folgte ihm ohne Schwierigkeiten. Wir legten uns bäuchlings auf den kühlen Felsen und blickten Seite an Seite ins Wasser, während uns die Weidenzweige den Rücken streichelten.
»Man muss nur«, sagte er, »eine gute Stelle finden und warten.« Er tauchte langsam die Hand so ins Wasser, dass es nicht spritzte, und legte sie auf den sandigen Grund, genau neben den Schatten, den die Felszunge warf. Seine langen Finger krümmten sich sacht nach innen, im Wasser verzerrt, so dass sie sanft hin und her zu schaukeln schienen wie die Blätter einer Wasserpflanze, obwohl sich die Muskeln seines Unterarms nicht regten und ich sehen konnte, dass er die Hand überhaupt nicht bewegte. An der Oberfläche knickte sein Arm abrupt ab und sah aus wie verdreht … wie bei unserer ersten Begegnung vor etwas über einem Monat – mein Gott, war es wirklich erst einen Monat her?
Seit einem Monat kannten wir uns, seit einem Tag waren wir verheiratet. Durch ein Gelübde und unser Blut aneinander gebunden. Und durch unsere Freundschaft. Ich hoffte, dass ich ihm nicht zu sehr weh tun würde, wenn die Zeit kam, zu gehen. Im Moment war ich froh, dass ich nicht daran denken musste; wir waren weit vom Craigh na Dun entfernt, und derzeit gab es keine Chance auf eine Flucht vor Dougal.