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»Mrs. Randall!«, sagte er und schüttelte mir herzlich die Hand. »Wie schön, Sie wiederzusehen. Und Sie kommen gerade rechtzeitig, um die Neuigkeit zu hören!«

»Neuigkeit?« Ich warf einen Blick auf den schäbigen Zustand und die Schrifttype der Papiere auf dem Schreibtisch und schätzte das Datum der fraglichen Neuigkeit auf circa 1750 ein. Also nicht ganz das, wofür man die Druckerpressen angehalten hätte.

»Ja, genau. Wir sind dem Vorfahren Ihres Mannes, Jack Randall, in den Armeedepeschen jener Zeit auf der Spur.« Mr. Wakefield beugte sich zu mir hinüber und sprach durch den Mundwinkel wie ein Gangster in einem amerikanischen Film. »Ich, äh, habe mir die Originaldepeschen aus dem Historischen Archiv ›ausgeborgt‹. Sie werden das doch niemandem erzählen?«

Amüsiert erklärte ich mich bereit, sein tödliches Geheimnis nicht zu verraten, und sah mich nach einer gemütlichen Sitzgelegenheit um, auf der ich die jüngsten Enthüllungen aus dem achtzehnten Jahrhundert in Empfang nehmen konnte.

Der Armsessel, der den Fenstern am nächsten stand, sah geeignet aus, aber als ich die Hand ausstreckte, um ihn zum Schreibtisch herumzudrehen, stellte ich fest, dass er bereits besetzt war. Sein Insasse, ein kleiner Junge mit dichtem, glänzend schwarzem Haar, hatte sich in den Tiefen des Sessels zusammengerollt und schlief.

»Roger!« Mr. Wakefield, der mir gefolgt war, um mir zu helfen, war genauso überrascht wie ich. Der Junge schrak aus dem Schlaf auf und fuhr kerzengerade hoch. Die Farbe seiner großen Augen erinnerte an Moos.

»Was führst du denn hier im Schilde, Junge?«, tadelte ihn Mr. Wakefield liebevoll. »Ach, bist du wieder beim Comiclesen eingeschlafen?« Er hob die leuchtend bunten Seiten auf und reichte sie dem Jungen. »Jetzt lauf, Roger, ich habe mit den Randalls etwas zu besprechen. Oh, warte, ich habe ja völlig vergessen, dich vorzustellen – Mrs. Randall, das ist mein Sohn Roger.«

Ich war ein bisschen überrascht. Wenn ich je einem eingefleischten Junggesellen begegnet war, hätte ich gedacht, dass es Reverend Wakefield war. Sei’s drum, ich ergriff das Pfötchen, das mir höflich hingehalten wurde, und schüttelte es herzlich. Ich verkniff es mir, mir danach die etwas klebrigen Finger am Rock abzuwischen.

Reverend Wakefield blickte dem Jungen voll Zuneigung nach, während dieser Richtung Küche davontrottete.

»Eigentlich der Sohn meiner Nichte«, räumte er ein. »Aber sein Vater wurde über dem Kanal abgeschossen, und die Mutter ist im Bombenkrieg umgekommen, also habe ich ihn aufgenommen.«

»Wie gütig von Ihnen«, murmelte ich und dachte an Onkel Lamb. Auch er war im Bombenkrieg umgekommen, durch einen Treffer im Auditorium des Britischen Museums, wo er gerade einen Vortrag hielt. So, wie ich ihn kannte, glaubte ich, dass er vor allem dankbar gewesen wäre, dass der gleich nebenan liegende Flügel mit den persischen Antiquitäten verschont geblieben war.

»Nicht doch, nicht doch.« Mr. Wakefield winkte verlegen ab. »Es ist schön, ein bisschen junges Leben im Haus zu haben. Nun denn, setzen Sie sich bitte.«

Frank hatte es so eilig zu erzählen, dass ich kaum dazu kam, meine Handtasche abzustellen. »Wir hatten so erstaunliches Glück, Claire«, begeisterte er sich, während er den zerknitterten Zettelhaufen durchblätterte. »Der Reverend hat eine ganze Reihe militärischer Depeschen ausfindig gemacht, die Jonathan Randall erwähnen.«

»Nun, an dieser Prominenz scheint Hauptmann Randall zu einem guten Teil selbst schuld zu sein«, wandte Mr. Wakefield ein und nahm Frank einige der Papiere ab. »Er hatte ungefähr vier Jahre das Kommando über die Garnison in Fort William, aber er scheint einen beträchtlichen Teil seiner Zeit damit verbracht zu haben, im Namen der Krone die schottische Landbevölkerung zu schikanieren. Das hier …«, er legte vorsichtig ein Häufchen Papiere beiseite, »… sind Niederschriften von Beschwerden, die von diversen Familien und Grundbesitzern gegen den Hauptmann eingereicht wurden und in denen es um alles Mögliche ging – von der Belästigung der Dienstmägde durch die Garnisonssoldaten bis hin zu dreistem Pferdediebstahl, ganz zu schweigen von all den nicht weiter spezifizierten ›Beleidigungen‹.«

Das belustigte mich. »Dann hast du also den viel zitierten Pferdedieb in deiner Ahnengalerie?«, sagte ich zu Frank.

Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Er war, was er war, und ich kann es nicht ändern. Ich möchte es nur gern herausfinden. Die Beschwerden sind für diese Zeit ja nichts Ungewöhnliches; die Engländer im Allgemeinen und das Militär im Besonderen waren in den Highlands wirklich nicht beliebt. Nein, das Ungewöhnliche ist, dass die Beschwerden nie zu irgendetwas geführt zu haben scheinen, selbst die schwereren Fälle.«

Der Reverend, der nicht lange stillhalten konnte, fiel ein: »Das stimmt. Nicht dass sich die Offiziere an so etwas wie einen modernen Verhaltenskodex halten mussten; sie konnten in unbedeutenderen Angelegenheiten mehr oder weniger verfahren, wie es ihnen beliebte. Doch das hier ist merkwürdig. Es ist nicht so, dass man den Beschwerden nachgeht und sie abweist; sie werden einfach nie wieder erwähnt. Wissen Sie, was ich vermute, Randall? Ihr Vorfahr muss jemanden gehabt haben, der die Hand über ihn gehalten hat. Jemanden, der ihn vor dem Urteil seiner Vorgesetzten schützen konnte.«

Frank kratzte sich den Kopf und blinzelte die Depeschen an. »Da könnten Sie recht haben. Aber es müsste jemand mit großem Einfluss gewesen sein. Vielleicht weit oben in der Militärhierarchie oder möglicherweise ein Adelsherr.«

»Ja, oder vielleicht …« Der Reverend wurde durch das Eintreten seiner Haushälterin, Mrs. Graham, in seinen Theorien unterbrochen.

»Ich habe den Herren eine kleine Erfrischung mitgebracht«, verkündete sie und stellte das Teetablett entschlossen mitten auf den Schreibtisch, von dem der Reverend seine kostbaren Depeschen nur um Haaresbreite rettete. Sie sah mich scharf an, und ihr entging offenbar nicht, dass ich allmählich hinwegdämmerte und meine Augen glasig wurden.

»Ich habe nur zwei Tassen mitgebracht, weil ich dachte, Mrs. Randall möchte vielleicht mit in die Küche kommen. Ich habe ein bisschen …« Ich wartete das Ende ihrer Einladung gar nicht ab, sondern sprang mit unvermittelt neu erwachten Lebensgeistern auf. Den nächsten Ausbruch der Theorien konnte ich noch hinter mir hören, als wir uns durch die Schwingtür schoben, die in die Küche des Pfarrhauses führte.

Der Tee war golden, heiß und duftend, und kleine Blattstückchen wirbelten in der Flüssigkeit umher.

»Mmm«, sagte ich und stellte die Tasse hin. »Ich habe so lange keinen Oolong mehr getrunken.«

Mrs. Graham nickte. Sie strahlte, weil ihr Tee mir solche Freude machte. Sie hatte sich sichtlich Mühe gegeben; unter dem feinen Porzellan lagen handgeklöppelte Spitzendeckchen, und es gab Schlagrahm zu den Scones.

»Aye, im Krieg war er nicht zu bekommen. Dabei ist er zum Lesen am besten. Mit dem Earl Grey musste ich immer so sehr kämpfen. Die Blätter fallen derart schnell auseinander, dass es kaum möglich ist, etwas dazu zu sagen.«

»Oh, Sie lesen aus dem Teesatz?«, fragte ich leicht belustigt. Nichts konnte weiter von dem Bild entfernt sein, das man im Allgemeinen von einer Wahrsagerin hatte, als Mrs. Graham mit ihrer kurzen, stahlgrauen Dauerwelle und der dreireihigen Perlenkette. Ein Schluck Tee lief ihr sichtbar durch den langen, sehnigen Hals und verschwand hinter den schimmernden Perlen.

»Oh, gewiss doch, meine Liebe. So, wie es mich meine Großmutter gelehrt hat und ihre Großmutter zuvor. Trinken Sie aus, dann schaue ich, was Sie da haben.«

Sie blieb lange still. Hin und wieder hielt sie die Tasse schräg, um das Licht einzufangen, oder sie drehte sie in ihren schmalen Händen, um sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Schließlich stellte sie die Tasse so vorsichtig hin, als hätte sie Angst, dass sie ihr um die Ohren fliegen könnte. Die Falten in ihren Mundwinkeln hatten sich vertieft, und ihre Augenbrauen zogen sich zu einer Miene zusammen, die Verwunderung auszudrücken schien.