Seine Eltern, vor allem seine Mutter, freuten sich jedes Mal, Neuigkeiten aus Tucson zu erfahren, doch sie waren alles andere als glücklich darüber, dass ihr Sohn jetzt als Baumbeschneider arbeitete. Hunt hatte sich schon gedacht, wie sie darauf reagieren würden; deshalb hatte er es so lange wie nur möglich aufgeschoben, es ihnen zu sagen. Doch irgendwann ließ es sich einfach nicht mehr verheimlichen. Zunächst hatte Hunt ernstlich in Erwägung gezogen, ihnen zu erklären, er habe diesen Job nur angenommen, weil es auf seinem Fachgebiet einfach keine offenen Stellen gegeben hatte und er dringend Geld brauchte - aber auch wenn das faktisch richtig war, entsprach es doch nicht der Wahrheit. Die Wahrheit war, dass Hunt sich gar nicht mehr um eine Stelle als Computerfachmann bemühte. Schließlich hatte er jetzt einen Job. Vielleicht würde sich irgendwann etwas im Management-Informationssystem des County ergeben, vielleicht auch nicht. Wie auch immer - Hunt machte sich keine Sorgen darüber. Er nahm die Dinge, wie sie sich entwickelten.
Beim Kartenspiel hatten Hunt und Lilly ihre Gegner Joel und Kate vernichtend geschlagen. Nach dem Spiel hatte Joel gefragt, ob Hunt zum Essen bleiben wolle, doch er lehnte ab. In dieser Woche hatte er bereits zweimal bei den McCains gegessen und wollte deren Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Außerdem war er immer noch müde von der letzten Nacht. Er wollte nur noch nach Hause, Beth anrufen, ein bisschen Fernsehen und dann ins Bett.
Als Hunt zu Hause ankam, fand er in seinem Briefkasten ein Schreiben der United Automobile Insurance. Er riss den Umschlag auf und legte die Stirn in Falten. Was wollten die denn? Seine nächste Rate war erst in zwei Monaten fällig. In letzter Zeit hatte er sich weder einen Strafzettel eingefangen noch irgendeinen Unfall gebaut. Ging es vielleicht um seine Heckscheibe? Aber in dieser Sache hatte er die Versicherung gar nicht in Anspruch nehmen müssen: Seine Selbstbeteiligung lag bei zweihundert Dollar, doch es hatte nur hundertfünfundzwanzig gekostet, die Scheibe ersetzen zu lassen, also hatte Hunt die Reparatur ganz aus eigener Tasche bezahlt.
Hunt überflog das Schreiben. Zwar hatte er für die Reparatur die Leistungen der Versicherung nicht in Anspruch genommen, doch er hatte sie informiert, also waren sie verpflichtet, die entsprechenden Informationen weiterzuleiten - so besagte es dieses Schreiben. Auch wenn Hunt keinerlei Schuld an dem Zwischenfall träfe, hieß es, der zu dem Riss in der Heckscheibe geführt habe, sei der Schaden doch zu einem Zeitpunkt entstanden, da er für den Wagen haftete, und zwar zu einem Zeitpunkt, da der Wagen durch die aktuell gültige Police versichert gewesen sei; folglich bliebe der Versicherung keine andere Möglichkeit, als seine Police entsprechend anzupassen.
Hunt schüttelte fassungslos den Kopf, als er die letzte Zeile des Schreibens las.
Seine Versicherung hatte ihm den Schadenfreiheitsrabatt gestrichen.
4.
Langsam spazierten Beth und Stacy durch die Foothills Mall, plauderten und bummelten an den Schaufenstern vorbei. Ein paar Schritte vor ihnen schlürfte Lilly einen Shake von Orange Julius und warf verstohlen einen Blick in das Schaufenster von Victoria's Secret. Dann schaute das Mädchen über die Schulter. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, als sie bemerkte, dass ihre Mutter sie beobachtete. Sofort drehte Lilly sich wieder um.
Als sie an dem Dessous-Geschäft vorbeigingen, deutete Stacy auf das Schaufenster und fragte Beth: »Brauchst du irgendwas?«
Beth lachte.
Es war schon eine Weile her, dass sie das letzte Mal über dieses Thema hatte lachen können - und ihre Freundin hatte die Veränderung offensichtlich bemerkt. Beth wusste nicht recht, ob sie stolz darauf sein sollte oder eher peinlich berührt, doch wie auch immer: Sie war froh, dass ihr Liebesleben sich zum Besseren verändert hatte und dass sie das Leben wieder genießen konnte.
Dass sie Hunt kennen gelernt hatte.
Hunt.
Er war anders als die Männer, mit denen sie ausgegangen war, nachdem Tad sie »abgeschossen« hatte. Tad war gut aussehend gewesen, erfolgreich und charmant, aber er war auch kleinlich gewesen, sehr auf Kontrolle bedacht und hoffnungslos egozentrisch. Hunt war viel sanfter, ausgeglichener und netter. Auch wenn das nicht unbedingt die Eigenschaften waren, die Beth bei einem Mann suchte, hätte man sie gefragt. Doch Hunt war auch - trotz seines offensichtlichen Mangels an Ehrgeiz - viel intelligenter als Tad, und das sprach Beth schon eher an. Aber das Wichtigste war, dass Hunt sie glücklich machte. Sie war gerne mit ihm zusammen und freute sich jedes Mal darauf, ihn wiederzusehen. Ihre Gefühle für Hunt wurden immer stärker, und sie war fast sicher, dass sie es gemeinsam schaffen konnten.
Wäre es nach Beth gegangen, wären sie sofort zusammengezogen, aber sie hatte Verständnis dafür, dass Hunt zögerte, sich so schnell derart fest zu binden. Nach seiner Scheidung war er ein wenig misstrauisch, und das konnte man ihm schwerlich zum Vorwurf machen. Beth selbst jedoch verspürte keine derartige Zögerlichkeit, trotz ihrer eigenen, durchaus emotional belasteten Lebensgeschichte. Sie war schon immer bereit gewesen, Risiken einzugehen, und sie hatte sich schon immer gut darauf verstanden, notfalls rasche Entscheidungen zu fällen. Außerdem hatte sie schon am ersten Abend bei Stacy und Joel beschlossen, dass sie Hunt behalten wollte.
Eine schick gekleidete Frau, die durchaus ein Model hätte sein können, kam mit großen Schritten aus dem Victoria's Secrets und hätte Beth und Stacy beinahe umgerannt. Sie sprach in ihr Handy und nahm die beiden Frauen kaum wahr, während sie vorübereilte und währenddessen weitersprach. »Nein, Tristan«, sagte sie. »Nach dem Schwimmunterricht hast du Karate, und morgen musst du zum Werken ...«
»Hast du das gesehen?«, fragte Beth ungläubig.
»Hast du das gehört?«, gab Stacy zurück.
»Ja. Ihr Sohn tut mir leid.«
»Mir auch. Die Kinder heutzutage haben einen übervollen Zeitplan. Viele bekommen Ballettstunden, Klavierunterricht oder gehen in Sportvereine, um später die Chance auf ein Hochschulstipendium zu haben. Wir haben versucht, das alles bei Lilly auf ein Mindestmaß zu beschränken. Sie ist bei den Pfadfindern, und jetzt hat sie sich für die Schulband angemeldet. Zumindest so viel lässt sich kaum vermeiden.« Sie seufzte. »Das ist nicht mehr wie früher, als wir selbst noch Kinder waren. Die Mädchen heutzutage haben gar nicht mehr die Zeit, im Einkaufszentrum herumzuhängen oder zusammen zu Hause zu sitzen, zu tratschen und verschiedene Nagellackfarben auszuprobieren.«
»Ja, ist irgendwie schade. Kinder sollten auch ein bisschen Zeit haben, die nicht total verplant ist. Lasst Kinder doch Kinder sein!«
Stacy nickte. »Und die Zeit verfliegt so schnell. Mir kommt es vor, als wäre Lilly gestern noch in Windeln herumgelaufen. Und jetzt dauert es nur noch ein paar Jahre, dann ist sie ein Teenager.«
»Jedenfalls hast du bei deiner Tochter gute Arbeit geleistet. Sie ist ein prächtiges Mädchen.«
»Das ist sie.« Vielsagend blickte Stacy zu Beth hinüber. »Hast du schon mal an eigene Kinder gedacht?«
»Aber Stacy!«
Abwehrend hob sie die Hand. »Ich meine, ganz allgemein. Nicht konkret, und nicht unbedingt mit Hunt. Ich habe mich nur gefragt, ob du dich irgendwann in der Zukunft als Mutter siehst.«
»Weil meine biologische Uhr tickt?«
»Das habe ich nicht gesagt.«