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»Wir haben immer noch nicht rausgekriegt, warum es den Knast hier überhaupt gibt«, sagte Jorge. »Offensichtlich ist er sehr alt, wahrscheinlich so alt wie diese Geisterstadt, aber zu der Zeit muss es hier unten Wasser gegeben haben.«

Edward versuchte, die Tür weiter zu öffnen. »Ich glaube, die haben Leute da drin eingesperrt, wenn der Wasserstand niedrig war, und sie dann drin gelassen, wenn der Wasserspiegel gestiegen ist, um sie zu ersäufen. Hexen und so.«

Jorge nickte. »Schon möglich.«

Es war noch früh am Morgen, aber schon heiß, und so stapften sie den Pfad wieder hinauf, zu ihren Wagen zurück. Der »Knast« ging Hunt den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf, doch aus irgendeinem Grund erzählte er Beth nichts davon.

Beth und er waren einander näher denn je. Ihre Beziehung entwickelte sich immer weiter und immer besser, fast wie eine Liebesgeschichte bei Lifetime-TV. Sie waren tatsächlich verliebt, auch wenn keiner von beiden es bisher gesagt hatte; weder Hunt noch Beth hatten bis jetzt die berühmten Worte ausgesprochen. Und auch wenn Hunt nicht recht wusste, warum eigentlich nicht, so hatte er doch die Absicht, dies bald zu ändern. Nach seinen Erfahrungen mit Eileen hatte er nicht geglaubt, sich so rasch wieder auf eine neue echte Beziehung einlassen zu können, doch jetzt erkannte er, dass er sich nichts so sehr wünschte, wie den Rest seines Lebens mit Beth zu verbringen.

Vor einem Club, in dem sie sich an einem Freitagabend einen Auftritt von Jimmie Dale Gilmore angeschaut hatten, trafen sie ihren alten Kumpel wieder, den Loser-Typen im purpurnen Anzug. Es schien ihm zurzeit ziemlich gut zu gehen; und anscheinend ging er wieder seinem alten Gewerbe nach. Obwohl er Hunt und Beth offensichtlich gesehen hatte, schien er sie doch nicht zu erkennen. Hunt konnte es nur recht sein. Der Kerl gehörte nun wirklich nicht zu den Menschen, mit denen er eine Bekanntschaft pflegen wollte.

Dabei stellte Hunt fest, dass er sich unterschwellig fragte, ob das Krankenhaus, vor dem sie den »Loser« abgesetzt hatten, den Mann tatsächlich behandelt hatte, oder ob er wie ein Obdachloser aus einem Charles-Dickens-Roman fortgeschickt worden war, weil er keine Versicherung vorweisen konnte. Aber jetzt war er hier, und es schien ihm gut zu gehen, also ging Hunt davon aus, dass man die Verletzungen des Mannes behandelt hatte. Doch irgendwie hatte Hunt das Gefühl, dass der Purpur-Mann nicht zu ihm hinüberschauen würde, wenn er ihm einen Gruß zuriefe - weil er auf dem Ohr taub war, das zu behandeln man sich im ersten Krankenhaus geweigert hatte.

Hunt hatte immer noch Ärger mit seiner Versicherung wegen der Einrichtung des Hauses, das er nach wie vor gemietet hatte. Die Versicherung war der Ansicht, er sei angemessen entschädigt worden: Seine zerstörten Möbel und die anderen Besitztümer habe man durch Gleichwertiges ersetzt; für die Versicherung sei der Fall damit abgeschlossen. Doch Hunt wollte das so nicht hinnehmen und hatte Widerspruch bei der staatlichen Versicherungskommission eingelegt, um gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlten langsam, und so wusste Hunt nicht, wann eine Entscheidung fallen würde - und ob diese zu seinen Gunsten ausfiele. Insgeheim dachte er schon darüber nach, dem Senator seines Bundesstaates, seinem Abgeordneten und seinem Kongressabgeordneten zu schreiben und dabei detaillierte Richtlinien vorzuschlagen, die seines Erachtens zum Gesetz gemacht werden sollten, damit anderen Menschen solche Beleidigungen und Misshandlungen erspart blieben.

Die Richtlinien, die Hunt vorschlagen wollte, waren logisch und sinnvoll, und ihm fiel kein Grund ein, warum jemand - außer den Versicherungsgesellschaften - etwas dagegen haben sollte. Deshalb hätte man ihn eigentlich anhören und entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen. Aber Versicherungsgesellschaften waren reich und mächtig.

Und tief in seinem Innern glaubte Hunt auch nicht, dass sich etwas ändern würde.

2.

»Jorge!«

Er hörte seine Frau erst rufen, als er den Rasenmäher abgestellt hatte, doch an der Panik, die in ihrer schrillen Stimme mitschwang, erkannte er, dass sie schon einige Zeit nach ihm gerufen hatte.

»Jorge!«

Wenn es wirklich so wichtig war, warum kam sie dann nicht zu ihm?

Vielleicht konnte sie nicht kommen!

Er rannte los, stürmte ins Haus, ohne sich die Schuhe abzuputzen, und verschmierte Schlamm und Gras auf den Teppich, während er nach ihr rief. »Ynez? Ynez!«

Sie war nicht im Wohnzimmer und nicht im Esszimmer, das sah er sofort, doch er hörte ihre Stimme aus der Küche, zusammen mit einem sonderbaren Geräusch, das er nicht einordnen konnte.

Er rannte hinüber. Es war wie eine Filmszene, wie in einer Komödie, auch wenn eigentlich gar nichts daran komisch war. Seine Frau stand vor der Spülmaschine und versuchte verzweifelt, einen Wasserstrahl aufzuhalten, der durch den Spalt der geschlossenen Frontklappe in sämtliche Richtungen spritzte. Nicht nur der Fußboden und die Arbeitsplatte in der Küche waren nass, auch Ynez selbst war völlig durchnässt. Ihr Haar troff, als wäre sie gerade aus der Dusche gekommen, und ihr Oberteil klebte an ihrem Körper, als hätte sie an einem Wet-T-Shirt-Wettbewerb teilgenommen.

»Hilf mir!«, rief sie. »Dreh das Wasser ab! Tu doch endlich was!«

Ein eiskalter Nebel sprühte Jorge ins Gesicht, und ein kräftiger Wasserstrahl traf ihn geradewegs im Schritt, als er sich neben Ynez stellte und an der Spülmaschine hektisch einen Knopf nach dem anderen drückte.

»Das habe ich auch schon versucht!«, schrie sie. »Geh raus und dreh das Wasser ab!«

»Moment mal, ich hab 'ne Idee!« Er sank in die Knie, riss die Tür unter dem Spülenunterschrank auf, der gleich daneben stand, und schaute sich um. Genau wie er gehofft hatte, fand er dort zwei Wasseranschlüsse, einen für die Spüle und einen für die Spülmaschine. Hektisch drehte er sowohl den roten als auch den blauen Hahn. Der Druck des Wassers, das immer noch in alle Richtungen spritzte, wurde schwächer und verschwand dann völlig.

Jorge erhob sich. »Was ist passiert?«

Ynez versuchte sich das Wasser aus der Stirn zu wischen, doch ihre Hände waren ebenfalls klatschnass. Sie riss ein Papierhandtuch vor der Rolle und wischte sich damit übers Gesicht. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich hab das Ding nicht mal eingeschaltet. Ich hatte gerade angefangen, das Geschirr von heute Morgen auszuräumen. Kaum hatte ich die letzte Schüssel rausgenommen, ist das Ding plötzlich von ganz alleine explodiert. Ich hab die Tür zugeknallt und alle möglichen Knöpfe gedrückt, aber das hat nichts geholfen, und da habe ich nach dir gerufen.« Mit dem feuchten Papierhandtuch rieb sie sich den Hals ab. »Warum hat das eigentlich so lange gedauert?«

»Ich habe den Rasen gemäht, da habe ich dich nicht gehört.«

Sie betrachtete die Spülmaschine. »Wir werden wohl jemanden anrufen müssen, der das Ding repariert.«

»Stimmt.« Er grinste sie an. »Du siehst ganz schön sexy aus, so klatschnass.«

»Nicht jetzt.«

»Warum nicht? Haben wir doch früher auch gemacht.«

Unterhalb der Spüle hörte man ein lautes Gurgeln und ein ekelerregendes Gluckern, und dann kam plötzlich wieder Wasser aus der Spülmaschine - diesmal nicht so heftig spritzend wie vorher, doch es sickerte unter der Tür hervor und rann auf den Fußboden.

»Das ist doch unmöglich!«, stieß Jorge hervor. »Ich hab den Hahn zugedreht.«

»Ich habe dir ja gesagt, dass wir eine Garantieverlängerung abschließen sollten«, sagte Ynez. »Ich hab's dir gleich gesagt.« Aus der Waschküche hinter der Küche hörte man ein klapperndes Krachen und das Zischen eines kräftigen Wasserstrahls. Gemeinsam liefen sie hinüber und sahen, dass die Waschmaschine Seifenlauge ausspie. Die Tür der Maschine stand weit offen und schlug hin und her.

Jorge blickte seine Frau an. »Du hast recht«, sagte er. »Wir hätten die verdammte Versicherung abschließen sollen.«