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Ynez lächelte und drückte ihm die Hand.

Die Tür neben dem Fenster zum Zimmer der Sprechstundenhilfe öffnete sich, und eine Krankenschwester, ein Klemmbrett in der Hand, streckte den Kopf durch den Spalt. »Mrs. Marquez?«

Gemeinsam standen Jorge und Ynez auf und folgten der Schwester einen kurzen Flur hinunter in ein zweckmäßig eingerichtetes Behandlungszimmer, in dem die Schwester Ynez wog und Blutdruck und Temperatur maß. In den letzten zwei Wochen hatte Ynez fünf Pfund zugenommen, und alles war normal. »Dr. Bergman ist gleich bei Ihnen«, sagte die Schwester und schloss die Tür hinter sich.

Ynez blieb auf der gepolsterten Behandlungsliege sitzen, während Jorge nervös durch den Raum strich und sich das Glas mit den Wattetupfern anschaute, die antibakteriellen Flüssigseifen, die hinter dem Waschbecken aufgereiht waren, und das vierfarbige Poster, auf dem das weibliche Fortpflanzungssystem abgebildet war. »Wir können auch zu einem anderen Arzt gehen«, sagte er. »Es gibt jede Menge andere Ärzte in unserer Versicherungsgruppe.«

»Ich find's gut, eine Ärztin zu haben«, erwiderte Ynez.

»Ich sag ja bloß.«

Nach höflichem Anklopfen kam Dr. Bergman herein. Nicht dass sie eine Frau war, beunruhigte Jorge, sondern dass sie so verdammt jung war. Sie sah aus, als hätte sie gerade erst ihr Medizinstudium abgeschlossen, und selbst wenn sie die Jahrgangsbeste gewesen wäre, zählte für Jorge vor allem Berufserfahrung. Es ging hier immerhin um ihr erstes Kind. Ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn Ynez für die Geburtsvorbereitung zu einem alten, weißhaarigen Herrn mit buschigem Schnurrbart gegangen wäre.

Doch das sachliche, nüchterne Auftreten von Dr. Bergman beruhigte Jorge ein wenig, und er musste zugeben, dass die Ärztin zu wissen schien, was sie tat. Außerdem vertraute Ynez ihr. Und das hieß ja auch schon was.

Dr. Bergman schob Ynez' Bluse ein Stück hoch und begann dann vorsichtig, den schon erkennbar angeschwollenen Unterleib abzutasten.

»Alles in Ordnung?«, fragte Jorge besorgt.

»Alles bestens«, versicherte die Ärztin ihm. Nachdem sie den Unterleib abgetastet hatte, fragte sie: »Wollen Sie jetzt den Herzschlag hören?«

Ynez lächelte glücklich. »Ja.«

Das war der Teil der Untersuchung, den sie am meisten liebte, doch für Jorge war das alles nur nervenaufreibend. Es mochte ja dieses Wunder des Lebens geben und so weiter und so fort, und Technologie und moderne Medizin waren wirklich etwas Tolles, aber Jorge selbst wurde die Sorge nicht los, es könne irgendetwas falsch sein; die Ärztin könne Unregelmäßigkeiten im Herzschlag feststellen oder einen angeborenen Herzfehler, oder Anzeichen für eine schwere Erkrankung, die dem Kind vielleicht ein Leben lang Probleme bereiten würde.

Aus einer Tube drückte Dr. Bergman Ynez eine gelartige Masse auf den Bauch - das Zeug sah sogar kalt aus -, und dann griff sie nach dem kleinen Wunderwerkzeug, das für Jorge immer noch aussah wie ein umgebautes Widerstandsmessgerät. Raues Zischen drang aus dem kleinen Lautsprecher des Geräts, mit dem die Ärztin Ynez nun über den Bauch fuhr. Nach und nach konnte man in dem Rauschen tatsächlich ein Muster entdecken.

»Da ist es«, sagte die Ärztin und lächelte.

Selbst jetzt noch, nach so vielen Malen, klang es für Jorge immer noch nicht wie ein Herzschlag. Und es war viel zu schnell! Es war ein zischendes, fauchendes Geräusch, das zugleich etwas Mechanisches hatte. Dr. Bergman hatte die beiden jetzt schon oft genug in der Praxis gehabt, um die nächste Frage erraten zu können, und ehe Jorge sie stellen konnte, sagte sie: »Der Herzschlag des Kindes hört sich sehr gut an. Schön kräftig.«

Jorge atmete auf. Wieder eine Hürde genommen.

Gemeinsam lauschten sie noch ein wenig; dann schaltete die Ärztin das Gerät ab, legte die Sonde beiseite und wischte Ynez die Salbe vom Bauch. Anschließend machte sie sich daran, auf ihrem Klemmbrett einige Notizen einzutragen. Sie blätterte ein paar Seiten um; dann hob sie den Kopf. »Ich nehme an, man hat Sie wegen der Befunde bei der Fruchtwasseruntersuchung schon angerufen, ja?«

»Ja«, bestätigte Ynez.

Das war wieder so ein Albtraum gewesen. Es war ja schon schlimm genug, miterleben zu müssen, wie seiner Frau diese riesige Nadel in den Unterleib gestoßen wurde, dann auf den Ultraschall-Monitor zu blicken und mitanzusehen, wie die Nadel plötzlich angehalten und der Fötus bewegt wurde, damit die Nadel nicht in den winzigen Kopf eindrang - aber das Warten danach war noch viel schlimmer gewesen. Erst hatten sie vierundzwanzig Stunden gewartet, um sicher sein zu können, dass keine der bekannten Nebenwirkungen einer Fruchtwasserpunktion auftrat, zum Beispiel eine Fehlgeburt. Dann mussten sie noch mehrere Tage abwarten, um endlich erfahren zu können, ob ihr Kind vielleicht geistig oder körperlich behindert sein würde. Der Anruf aus dem Labor, drei Tage später, war Jorge wie ein Vollstreckungsaufschub durch den Gouverneur persönlich erschienen.

»Ich nehme an, man hat Ihnen gesagt, dass alles in Ordnung ist.«

»Ja.«

Einen Augenblick schwieg Dr. Bergman und blickte lächelnd von Jorge zu Ynez. »Also ... wollen Sie es wissen?«

Jorge wandte sich zu Ynez. Das war die große Frage. Sie hatten viele Male darüber gesprochen und immer gesagt, sie würden nicht vor der Geburt erfahren wollen, welches Geschlecht das Kind hat, sondern sich überraschen lassen. Doch die Frau, die vor ihnen stand, wusste es bereits. Und das Gleiche galt für die technischen Assistenten im Labor und wahrscheinlich für ein paar der Krankenschwestern. Und jetzt, wo sie vor der Entscheidung standen, sich die Information geben zu lassen oder nicht, war Jorge sich nicht mehr so sicher, ob sie nicht doch nachgeben sollten. Fragend schaute er Ynez an.

Sie lächelte, nickte, griff nach seiner Hand. »Sagen Sie 's uns«, bat sie die Ärztin. »Wir wollen es wissen.«

»Schön«, sagte Dr. Bergman. »Es wird ein Junge.«

3.

Im Gästezimmer brannte Licht.

Vor zehn Minuten, als Hunt zur Arbeit aufgebrochen war, hatte es noch nicht gebrannt, da war Beth sich ganz sicher. Doch jetzt war das Licht eingeschaltet, und als sie im Zwielicht vor Sonnenaufgang im Flur den gelblichen Schein unter der Tür sah, gefror ihr das Blut in den Adern.

»Courtney!«, rief sie.

Das Miauen der Katze kam aus weiter Ferne - aus der Küche oder der Waschküche.

Beth selbst musste ebenfalls zur Arbeit. Es war ihr erster Arbeitstag nach den Flitterwochen, und sie konnte es sich nicht erlauben, zu spät zu kommen. Sie sollte jetzt aufbrechen und später wiederkommen, zusammen mit Hunt - am besten, wenn alles vorbei war.

Wenn alles vorbei war.

Genau. Was immer in dem Zimmer geschehen mochte, es geschah jetzt noch immer.

Beth betätigte den Lichtschalter, doch nichts tat sich. Der Flur blieb dunkel.

Von dem dünnen Lichtstreifen unter der Tür zum Gästezimmer abgesehen.

Einen Augenblick lang zögerte sie, wusste nicht recht, was sie tun sollte. Aus dem Zimmer war ein Geräusch zu hören. Dieses Mal war es kein Klopfen, sondern ein unheimliches, leises Pfeifen, fast wie ein Teekessel, den man auf dem Herd vergessen hatte und dessen Inhalt fast schon gänzlich verkocht war. Das Pfeifen war kaum zu hören, wurde beinahe von Beths vor Angst schnell gehendem Atmen und Courtneys Miauen in der Ferne übertönt.

In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Wenn Beth noch ein bisschen wartete, würde durch die Ostfenster Licht ins Haus fallen und die Dunkelheit vertreiben. Aber Beth konnte nicht warten. Mit jeder Minute wurde der Berufsverkehr dichter. Sie musste jetzt los, wenn sie es noch pünktlich zu Thompson Industries schaffen wollte. Sie holte tief Luft, um sich auf alles gefasst zu machen; dann ging sie zügig den Flur hinunter, packte den Knauf an der Tür zum Gästezimmer, drehte ihn und drückte.