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Ein Blitz zuckte auf. Hunt blieb stehen und wartete - und da begriff er, dass er grauenhafte Angst vor dem hatte, was er würde sehen müssen, wenn der Blitz den Spiegel über der Kommode erhellte.

Der Blitz verlosch, der Donner rollte, und noch ehe der nächste Blitz aufzucken konnte, sprang Hunt in das Zimmer und stolperte durch die Dunkelheit, um zum Schreibtisch zu gelangen und die Lampe dort einzuschalten.

Wieder zuckte ein Blitz auf, stand als gezackte Linie am Himmel - so grell, dass er sich durch die vorgezogenen Vorhänge abzeichnete. Hunt hatte den Blick schon in Richtung Kommode gedreht, und in dem Sekundenbruchteil, ehe die Lampe aufleuchtete, sah er im Spiegel genau das, was Beth ihm beschrieben hatte: einen stämmigen Mann mit schlechter Haltung, der einen altmodischen Hut mit breiter Krempe trug. Beth sah ihn ebenfalls und schrie so schrill auf, dass Hunt zurückzuckte und beinahe die Lampe vom Schreibtisch gerissen hätte. Dann wurde das Zimmer endlich von elektrischem Licht erhellt. Im Spiegel sahen sie nur noch die Möbel und sich selbst - und was immer es gewesen sein mochte, war jetzt verschwunden.

Abrupt verstummte Beths Schrei. Sie blickte sich hastig um, als wollte sie ganz sichergehen, jetzt mit ihrem Mann allein zu sein, als wollte sie sich vergewissern, dass die Gestalt, die sie im Spiegel gesehen hatte, tatsächlich fort war. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie Hunt an. »Du hast es auch gesehen, oder? Im Spiegel?«

Hunt nickte bloß. Auf seine Stimme wollte er sich im Augenblick nicht verlassen.

»Ein Mann mit Hut.«

»Ja.«

Ein Blitz flackerte, Donner krachte. Lautstark prasselte der Regen gegen das Fenster. Durch Hunts Anwesenheit und den Schein der Lampe ermutigt, ging Beth zur Kommode und besah sich ausgiebig den Spiegel. Hunt nutzte derweil die Gelegenheit, die Decke zurechtzuziehen und den beängstigenden Eindruck zu beseitigen, es läge jemand darunter.

Beide gingen in unterschiedlichen Richtungen durchs Zimmer. Eine undichte Stelle gab es nicht mehr, aber ...

Aber da war immer noch irgendetwas.

Ein Geräusch, dachte Hunt. Wie ein Pfeifen.

»Hörst du das?«, fragte er. »War es das, was du gehört hast? Dieses Pfeifen?«

»Ich höre nichts ...« Dann aber verriet Beths entsetzte Miene, dass sie das Geräusch wiedererkannte: »Ja! Nur war es beim letzten Mal lauter.«

Wieder zuckte ein Blitz auf. Donner krachte.

Und das Pfeifen war verstummt.

Sie warteten, doch das Geräusch kehrte nicht zurück, und so durchsuchten sie weitere fünf Minuten lang das Zimmer, schauten in den Schrank, zogen sämtliche Schubladen der Kommode auf, sahen im Schreibtisch nach, blickten unter das Bett. Sie wollten nichts finden, sie hatten Angst, etwas zu finden, doch irgendwie schien das Absuchen des Zimmers ihm das Bedrohliche, Geheimnisvolle zu nehmen und schwächte die düstere Macht, die der Raum auf sie beide ausübte.

Rasch machte Beth das Bett richtig; dann schalteten sie das Licht aus und schlossen die Tür, machten sich daran, das Wasser aufzuwischen und überprüften die Töpfe, Schüsseln und Eimer, dass diese nicht voll waren und womöglich überliefen. Entweder hatte der Regen nachgelassen, oder es war mit dem undichten Dach doch nicht so schlimm, wie sie zunächst gedacht hatten, denn jetzt tropfte es nur noch langsam und ungleichmäßig. Falls es bis zum Morgengrauen nicht deutlich schlimmer wurde, würden die Gefäße, die sie aufgestellt hatten, mit Leichtigkeit mit dem Problem fertig.

»Vielleicht sollten wir wach bleiben«, schlug Beth vor. »Uns einen Film anschauen oder so was. Aufpassen, dass nicht noch woanders etwas durchsickert.«

»Es ist drei Uhr nachts! Wenn wir nur drei Stunden schlafen, gehen wir morgen früh auf dem Zahnfleisch!«

»Und wenn es wieder schlimmer durchs Dach regnet?«

»Was willst du denn machen? Die ganze Nacht an die Decke starren? Dann wirst du schneller einschlafen als mit 'ner Tablette. Außerdem glaube ich, dass das Gewitter so ziemlich vorbei ist.«

Er hatte recht. Der Regen hatte fast aufgehört, und das letzte Grollen des Donners erklang bereits aus weiter Ferne.

»Ich weiß nicht ...« Beth gähnte.

»Siehst du?«, sagte Hunt. »Gehen wir wieder ins Bett.«

Doch er wälzte sich unruhig hin und her, wachte immer wieder auf, schlief vielleicht zwanzig Minuten am Stück. Und in dem einen Traum, an den er sich nach dem Aufstehen erinnerte, schaute ein großer Mann mit schlechter Haltung, der einen Hut trug, unter dessen Krempe sein Gesicht nicht zu erkennen war, auf die Uhr und sagte im Singsang der Südstaaten: »Halb Affenarsch, viertel vor Ho-den-sack.«

2.

Normalerweise war Steve nicht leicht zu wecken, wenn er erst einmal schlief. Nina hingegen hatte einen leichten Schlaf, doch sie hatte schon vor langer Zeit die Erfahrung gemacht, dass es besser war, einfach wach im Bett zu liegen als Steve zu wecken. So viel zumindest hatte er ihr beigebracht.

Doch irgendetwas hatte sich verändert. Entweder machte der Stress ihm langsam zu schaffen, oder dieses Gewitter war verdammt viel lauter als die meisten anderen, denn als der erste Donner grollte, schreckte Steve ruckartig aus dem Schlaf auf, und sein Herz hämmerte wie verrückt. Lautstark, fast wie Hagel, prasselte der Regen gegen das Fenster und ließ das Dach in einem gedämpften Tosen dröhnen.

Der Anbau!

Sofort setzte Steve sich auf. Wie immer war Nina neben ihm schon hellwach. »Warum hast du mich nicht geweckt?«, fragte er.

»Ich ...«, setzte sie an, doch er wartete ihre einfältige Erklärung gar nicht erst ab. Laut fluchend schlug er seine Decke zurück, schlüpfte in Hose, Hemd und Schuhe, und dann lief er auch schon den Flur hinab. Am Abend, nachdem Steve mit der Arbeit fertig gewesen war, hatte er sein neues Zimmer mit Folie abgedeckt, genau so wie immer - doch er hatte sich nicht den Wetterbericht angehört, und so hatte er sich auch nicht die Mühe gemacht, die Folie festzuzurren oder den Anbau vor dem Gewitter zu schützen. Mittlerweile mochte die Folie sonst wohin geflogen sein, und Wind und Regen ruinierten jetzt wahrscheinlich schon den frischen Putz an der Westwand. Und in dieser Wand gab es auch freiliegende Stromleitungen. Das Wasser konnte reichlich Schaden anrichten.

Vom Blitz ganz zu schweigen.

Dieser Blitz hier blieb erstaunlich lange am Himmel, und der Donner kam fast gleichzeitig.

Steve fluchte. Er war ein Trottel, ein Riesenidiot! Wenn jetzt etwas schiefging, war es seine eigene Schuld. Noch an diesem Tag, während des Mittagessens, war der Versicherungsvertreter wieder aufgetaucht und hatte ihm eine Hauseigentümer-Police angeboten, und Steve hatte ihn einfach abgewiesen. Das war wirklich dumm gewesen; kaum war der Vertreter gegangen, hatte Steve auch schon gewusst, dass er sich soeben ins eigene Fleisch geschnitten hatte. Er hatte keine nennenswerte Versicherung mehr, nur noch eine einfache Police von einem ziemlich zweifelhaften Anbieter, den er in den Gelben Seiten herausgesucht hatte, nachdem diese Mistkerle von der All-Homes-Versicherung ihn rausgeworfen hatten. Und die Police, die ihm dieser Versicherungsvertreter da angeboten hatte, die hatte wirklich seriös gewirkt. Doch die hartnäckige Beharrlichkeit des Mannes war aufdringlich gewesen, und Steve hätte ihn beinahe mit körperlicher Gewalt vom County-Grundstück vertrieben und ihm gesagt, er solle ihn endlich in Ruhe lassen - nur mit sehr viel unfreundlicheren Worten.

Jetzt wünschte Steve sich, er hätte die Versicherung doch abgeschlossen, denn angeblich hätte diese Police auch den Anbau mit eingeschlossen - teilweise zumindest, denn es hatte Ausnahmebestimmungen und Vorbehalte gegeben, was mit ein Grund dafür gewesen war, dass Steve darauf verzichtet hatte.