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Beth ging zum Fenster und unterschrieb ihre Papiere; dann setzte sie sich auf eines der gelben Kunstledersofas, die entlang der Wand aufgestellt waren. Auf dem Tisch neben sich sah sie einen Stapel Hochglanzzeitschriften: Maxim, Details und FHM. Das war nicht gerade das, was man üblicherweise in einer Zahnarztpraxis vorfand, doch Beth nahm sich dennoch etwas zu lesen und überflog einen Artikel über Websites aus der Fetisch-Szene.

»Mrs. Jackson?«

Beth war immer noch nicht daran gewöhnt, jetzt mit Hunts Nachnamen angesprochen zu werden, und auch wenn sie die Stimme der Sprechstundenhilfe hörte, begriff sie nicht sofort, dass sie gemeint war.

»Mrs. Jackson?«, wiederholte die Sprechstundenhilfe ein wenig lauter.

Schnell legte Beth das Magazin zur Seite und erhob sich; das Ganze war ihr peinlich. Eine Arzthelferin hielt ihr die Tür auf; in der Hand hielt sie Beths Karteikarte. »Hier entlang, bitte«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.

Beth folgte der jungen Frau, ging am Schreibtisch der Sprechstundenhilfe vorbei und einen kurzen Flur hinunter, der zu einem kleinen Behandlungszimmer führte. Dort zwängte sie sich in den Behandlungsstuhl und ließ sich eine Wachspapierserviette auf die Brust legen. Eine Metallkette sorgte dafür, dass das Papiertuch nicht herunterrutschen konnte. Die Arzthelferin - laut Namensschild hieß sie »Dora« - schwenkte ein Metalltablett über Beths Brust, auf dem zahlreiche, äußerst unangenehm aussehende Werkzeuge lagen. »Der Herr Doktor wird gleich bei Ihnen sein«, sagte Dora, ehe sie den Raum verließ.

Beth wartete, und sie erinnerte sich nur zu genau daran, warum sie im letzten Jahrzehnt Zahnärzten weiträumig aus dem Weg gegangen war. Sie stellte sich vor, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn der Zahnarzt in ihren Zähnen stocherte, wobei ihr Speichel sich im hinteren Teil der Kehle ansammelte und sie zu ersticken drohte, während sie darauf wartete, dass er endlich abgesaugt wurde.

O Gott, wie Beth Zahnärzte hasste.

Dann wurde forsch an die offene Tür geklopft, und mit schnellen Schritten kam Dr. Blackburn herein; er roch nach Old Spice und Listerin. Statt eines Zahnarztes hätte er genauso gut ein Gameshow-Moderator aus den Sechzigerjahren sein können: Er hatte dieses künstliche, perfekte Lächeln, und jedes Haar seiner Frisur saß so widernatürlich perfekt wie bei Bob Eubanks oder Wink Martindale. Doch als er näher kam und sich auf den Hocker neben den Behandlungsstuhl setzte, sah Beth, dass er auf der linken Seite seines Scheitels eine Strähne hatte, die sich anscheinend nicht bändigen lassen wollte; sie fiel deutlich auf und wirkte völlig fehl am Platze. Während der Arzt mit Beth sprach und ihre bisherige Krankengeschichte durchging, musste sie immer wieder auf die Strähne starren. Irgendwie fühlte sie sich richtig davon gestört. Die Tolle passte so gar nicht zum restlichen Erscheinungsbild des Arztes und war so unpassend, dass Beth sich noch unwohler fühlte.

Eine junge Frau kam ins Behandlungszimmer, offenbar die Assistentin Dr. Blackburnes. Auch bei ihr stimmte irgendetwas nicht. Sie trug die makellose Uniform einer Arzthelferin, doch ihre Augen waren viel zu dick geschminkt und ihre Lippen zu rot. Sie sah aus wie eine Pornodarstellerin - wie die »sündige Krankenschwester«, die sich vor einem Patienten die Klamotten vom Leib riss und sich dann auf dem Behandlungsstuhl durchvögeln ließ.

Leise sprach Dr. Blackburn ein paar Worte mit seiner Assistentin; dann schaltete er die Schwenklampe über dem Stuhl ein und wandte sich wieder Beth zu. »Weit aufmachen«, sagte er. Beth tat wie geheißen, und mit einem Metall-Zahnstocher piekste und stupste er gegen die Zähne der linken oberen Zahnreihe, bis er eine Stelle gefunden hatte, bei der Beth heftig zusammenzuckte.

»Tut das weh?«, fragte er.

»Ah-hah«, würgte sie hervor.

Der Arzt drehte die Lampe zurecht, legte den Zahnstocher beiseite, griff nach einem anderen, ebenso scharfkantigen Werkzeug und klemmte dann Beths Kiefer mit einem Gummikeil fest. Der Speichelabsauger wurde eingeschaltet und an ihrer Lippe befestigt, und der Arzt machte sich daran, systematisch ihre Mundhöhle zu überprüfen. Noch einmal murmelte er seiner Assistentin irgendetwas Unverständliches zu; dann begann er, mit den Fingern an jedem einzelnen von Beths Zähnen zu wackeln. Bei mehreren fühlte es sich an, als hätte er ein Gummiband oder eine Klammer daran befestigt. Dann fuhr er mit dem scharfkantigen Werkzeug schmerzhaft über ihren Zahnbogen.

Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Was machen Sie da?«, versuchte Beth zu fragen, doch ihr Kiefer war immer noch festgekeilt, und der Absauger schlürfte nach wie vor ihren Speichel, und so klang es eher wie: »Aah aah-ee hii haa?«

»Wir werden Ihre Zähne ersetzen müssen«, sagte der Zahnarzt.

Was?

Panik erfasste Beth. Sie versuchte zu protestieren, versuchte ihm zu erklären, dass sie auf keinen Fall bereit war, so etwas Radikales zu erlauben, doch wieder klangen ihre Worte völlig sinnlos. Der Zahnarzt jedoch schien sie bestens zu verstehen, und als sie versuchte, sich aufzusetzen, hielt er sie mit einem Arm zurück. »Es tut mir leid. Der Zahnverfall ist so extrem fortgeschritten, und sie haben so viele Löcher und derart viel Zahnschmelz verloren - von den absterbenden Zahnwurzeln und der Zahnfleischentzündung ganz zu schweigen -, dass ich fürchte, eine solch drastische Behandlung ist unumgänglich. Abgesehen davon sind mir die Hände gebunden. Es gibt neue Regeln und Forderungen der Versicherungen. Selbst wenn es in Ihrem Fall möglich wäre zu überkronen, ist mir das einfach nicht gestattet; das wird als kosmetisch eingestuft und wäre durch Ihre Versicherung nicht abgedeckt. Außerdem bin ich gehalten, jegliche Erkrankung energisch zu bekämpfen. Das gehört zu deren Programm der vorbeugenden Instandhaltung. Wenn ich Anzeichen für fortgeschrittenen Zahnverfall entdecke, muss ich alles tun, um das Problem umgehend zu lösen.« Die Assistentin - »Rene«, konnte Beth jetzt auf ihrem Namensschild lesen - reichte dem Zahnarzt eine stählerne Spritze, und sofort bugsierte er sie in Beths Mund; schmerzhaft presste er die Nadel gegen die Innenseite ihrer Wange. »Machen Sie sich keine Sorgen, es wird überhaupt nicht wehtun.«

Vorbeugende Instandhaltung.

Diese Formulierung schoss ihr plötzlich durch den Kopf. Genau das hatte Hunt von der Gesellschaft für das Haus eingefordert, bei der sie ihre Hauseigentümer-Versicherung hatten, um die Versicherungsgesellschaft dazu zu bringen, den Austausch des gesamten Daches zu zahlen. Während das Betäubungsmittel sich langsam in Beths Körper verteilte und sich nach und nach alle Muskeln entspannten und damit auch ihre Gedanken, kam sie plötzlich auf die Idee, das hier sei die Rache dafür: Sämtliche Versicherungsgesellschaften hatten sich zusammengetan, um sie und Hunt dafür zu bestrafen, dass sie sich beschwert und ihr Recht eingefordert hatten. Eine heimliche Absprache. War das nicht illegal? Schon jetzt begannen die Gedanken sich aufzulösen und zu zerfasern, Beths Verstand sprang von einem verrückten Gedanken zum nächsten: Die Versicherungen hatten es auf sie abgesehen ... der Verband der Zahnärzte ... die Kreditkartenanbieter ... die Autohersteller ... die Regierung ...

Bevor Beth vollständig in der Narkose versank, hörte sie - darauf hätte sie schwören können -, wie der Zahnarzt ein sonderbares kleines Liedchen sang: »Möse zum Frühstück, Möse zum Lunch, Möse am Abend und nachts ein Snack.«

»Ich liebe den Geschmack von Eiern am Morgen«, kommentierte die Zahnarzthelferin irgendwo in weiter Ferne.

Als Beth wieder zu sich kam, saß sie im Wartezimmer, auf eines der Sofas gestützt. Ihr Schädel hämmerte. Sie öffnete die Augen und starrte mehrere Minuten lang wie betäubt auf das Aquarium. Aus dem Filter stiegen Luftblasen auf, stellte sie fest. Sie blubberten zwischen einem Ober- und einem Unterkiefer hervor, die auf dem blaugefärbten Kies lagen und grotesk auf- und abhüpften, als würden sie lachen.