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Plötzlich stand die Sprechstundenhilfe neben ihr und half ihr aufzustehen. »Kommen Sie, Mrs. Jackson. Sie müssen jetzt gehen.«

Beth wusste, dass sie unter Drogen stand, und ein winziger Teil ihres Hirns dachte darüber nach, dass es unprofessionell, wahrscheinlich sogar gesetzwidrig war, sie unter solchen Umständen einfach auf die Straße zu setzen, doch Beth hatte weder die Willenskraft noch die Energie, sich auf ein Streitgespräch einzulassen, und so ließ sie sich artig hinausführen. Die Sprechstundenhilfe brachte Beth nicht einmal bis zu ihrem Wagen. Sie führte sie einfach nur auf die kleine Veranda, die unmittelbar vor der Praxis lag; dann ging sie wieder hinein und schloss die Eingangstür hinter sich.

Mit unsicheren Schritten und noch immer pochendem Schädel ging Beth die Verandastufen hinunter und dann um das Haus herum zu dem kleinen Parkplatz. Ihr Mund war völlig ausgetrocknet, und immer wieder fuhr sie sich mit der Zungenspitze über Lippen und Zähne, doch die Zähne fühlten sich sonderbar an. Zum einen waren sie zu kalt, und dann schmeckten sie irgendwie anders ... und dieser Geschmack kam Beth fast bekannt vor.

Sie brauchte alle Kraft, um sich zu konzentrieren, musste jede ihrer Bewegungen durchdenken, damit das Betäubungsmittel, das noch durch ihre Adern kreiste, sie nicht mehr völlig außer Gefecht setzte. Wie in Zeitlupe nahm Beth den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche; dann schloss sie vorsichtig die Fahrertür auf, stieg ein, setzte sich in den Sitz, klappte die Sonnenblende herunter und öffnete den Mund, um im Schminkspiegel das Werk des Arztes zu begutachten.

In ihrem Mund funkelte ein silbernes Gebiss wie aus Stahl.

Beth lag auf dem Bett und weinte, als Hunt nach Hause kam. Sie hatte ihn von unterwegs aus dem Auto angerufen, hatte zwischen heftigen Schluchzern die ganze Geschichte hervorgestoßen, und er hatte ihr gesagt, sie solle bleiben, wo sie sei; er würde früher mit der Arbeit aufhören und sie abholen. Doch Beth wollte nicht einmal in der Nähe der Zahnarztpraxis warten, solche Angst hatte sie, und so hatte sie Hunt gesagt, sie werde nach Hause fahren.

Wieder sprangen Edward und Jorge bei der Arbeit für Hunt ein, und er fuhr vom Westen der Stadt zur East Side von Tucson, so schnell der Mittagsverkehr es zuließ.

Als er Beths Mund sah, war Hunt wie betäubt. Sie hatte es ihm am Telefon beschrieben, doch er hatte sich einfach nicht vorstellen können, wie verrückt und entsetzlich es aussah, und so war er auch nicht vorgewarnt, wie sehr das stählerne Gebiss ihr Gesicht entstellte. Beths Nase wirkte völlig schief, und ihre Wangen waren aufgedunsen. Sie sah regelrecht hässlich aus; hätte Hunt nicht gewusst, dass er Beth vor sich hatte, hätte er sie vielleicht nicht einmal erkannt. Zu allem Übel waren ihre Lippen grotesk angeschwollen, und immer wieder betupfte Beth sie mit einem Waschlappen, den sie mit Eiswürfeln gefüllt hatte, um die Blutung zu stillen.

Beth musste ihm seine Gedanken angesehen haben, denn im gleichen Augenblick, da sie Hunts Miene sah, begann sie erneut zu schluchzen. Er eilte zu ihr, setzte sich neben sie und schloss sie in die Arme. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Wir kriegen das wieder hin. Ich weiß nicht, was für ein Teufel diesen Wahnsinnigen geritten hat, oder wie er glauben kann, damit durchzukommen.«

»Ich habe mich nicht einmal einverstanden erklärt!«, rief Beth verzweifelt.

»Natürlich nicht.«

»Ich meine, mit der ganzen Behandlung. Ich würde doch niemals zulassen, dass mir jemand sämtliche Zähne zieht, ohne eine zweite Meinung einzuholen. Aber ich bin gar nicht dazu gekommen, es ihm zu sagen! Die haben mich einfach betäubt, haben mich in Vollnarkose versetzt, und als ich aufgewacht bin, habe ich so grässlich ausgesehen wie jetzt.«

»Hast du starke Schmerzen?«, fragte er besorgt.

Kurz schloss sie die Augen, dann holte sie tief Luft. »Sie sind unerträglich. Und die Betäubung hat noch nicht einmal ganz aufgehört. Wenn das erst geschieht ...« Sie führte den Satz nicht zu Ende.

»Damit kommen die nicht durch!« Hunt hätte am liebsten mit der Faust gegen die Wand gehämmert, so wütend war er. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt. Das alles ergab doch keinen Sinn! Überhaupt keinen! Es gab keinen Grund, Beth so etwas anzutun. Sie hatte keine Feinde, und niemand konnte etwas davon haben, ihr sämtliche Zähne zu ziehen und sie durch silberne Stummel zu ersetzen.

War dieser Zahnarzt wahnsinnig?

Es erschien Hunt durchaus möglich.

»Wir gehen zu ihm«, entschied Hunt. Er ging zum Schrank und nahm seine Kamera und seinen Camcorder heraus. »Ich werde das alles aufzeichnen, und dann sehen wir diesen Dreckskerl vor Gericht wieder. Die sollen deine Zähne wieder herrichten! Die sollen vor uns auf die Knie fallen! Das hätte niemals passieren dürfen, und bei Gott, dafür werden die bezahlen!«

Mit ihren geschwollenen Lippen brachte Beth ein schwaches Lächeln zustande.

»Gehen wir.«

Die Adresse und die Wegbeschreibung zum Zahnarzt lagen immer noch in Beths Wagen. Auf dem Kunstleder des Fahrersitzes war getrocknetes Blut zu erkennen, das Beth während der Heimfahrt aus dem Mund getropft sein musste, und Hunt wischte die Flecken mit Taschentüchern aus dem Handschuhfach ab, ehe er sich hinsetzte. »In dem Zustand hättest du niemals fahren dürfen«, sagte er, während er von der Auffahrt zurücksetzte. »Du hättest einen Unfall bauen können.«

Beth nahm den Waschlappen von den Lippen. »Das wäre deren Schuld gewesen.«

»Ja. Aber du wärst diejenige gewesen, die dabei verletzt worden wäre. Oder sogar umgekommen.«

»Ich konnte da nicht bleiben. Ich konnte es einfach nicht!«

Verständnisvoll nickte Hunt.

Als sie ankamen, war die Zahnarztpraxis verschwunden.

Sie waren fassungslos. Das konnte nicht sein! Es war nur wenige Stunden her, dass Beth hier gewesen war, und es war völlig unmöglich, dass sämtliche Möbel und die gesamte Einrichtung der Praxis in so kurzer Zeit aus dem Gebäude geschafft worden waren. Aber an den Fenstern waren keine Rollos mehr, und durch die staubigen Scheiben konnten sie beide erkennen, dass die Räume leer standen: Die Wände waren kahl, der Boden ohne Teppich. Das Haus war nur noch ein leerstehendes Gebäude, das darauf wartete, in Geschäftsräume umgewandelt zu werden wie die anderen Häuser in dieser Straße.

Beide stiegen aus und gingen über den betonierten Bürgersteig zur Veranda hinauf. »Das war hier, ich schwör's!«, beharrte Beth.

»Ich glaub dir ja.«

»Aber wie kann das sein? Vor einer Stunde, höchsten zwei, war hier ein Wartezimmer mit Teppichboden und Sofas und einem Dreihundert-Liter-Aquarium. Da waren ein Schreibtisch für die Sprechstundenhilfe und mehrere Behandlungszimmer mit Zahnarztliegen und Waschbecken und Lampen und Schränken!«

Es konnte nicht sein; das wussten sie beide. Später vermutete Hunt, in genau diesem Augenblick sei ihm klar geworden, dass er es hier mit sehr viel mehr zu tun hatte als nur einer Firma, die völlig außer Kontrolle geraten war - dass hier etwas nicht Greifbares, etwas Beängstigendes am Werk war, irgendetwas, das eher übernatürlich war als natürlich. Aber dieser Gedanke hatte sich zu dem Zeitpunkt noch nicht ausgeformt, und so beantwortete er Beths Frage mit einem kraftlosen: »Ich weiß es nicht.«

Im Haus nebenan befand sich das Büro eines Steuerberaters, und obwohl es so aussah, als wäre geschlossen, und ein Schild an der Tür »Nur nach Absprache« besagte, klingelte Hunt und klopfte an. Er hoffte, jemanden zu finden, der ihm etwas mehr über diesen Zahnarzt verraten und ihm sagen konnte, wie lange diese Zahnarztpraxis schon hier war oder was damit geschehen sein konnte. Doch bei dem Steuerberater traf er niemanden an, und auch das Reisebüro auf der anderen Straßenseite war geschlossen. Ein Stückchen weiter die Straße hinunter war ein Getränkeshop. Der hatte geöffnet, doch die Angestellten dort wussten nichts von einer Zahnarztpraxis und hatten an diesem Tag dort auch nichts Außergewöhnliches gesehen.