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Das Zimmer war adrett, ausgestattet mit einem nicht übermäßig großen Doppelbett, einem Tisch mit drei Stühlen vor dem Fenster und einem Bad mit Waschbecken, Wanne, Toilette und reichlich Seife und Handtüchern. Das Einzige, wodurch sich dieses Hotelzimmer deutlich von einem in den Vereinigten Staaten unterschied, das war das auffällige Fehlen eines Fernsehers.

Doch einen Fernseher brauchten Hunt und Beth nun wirklich nicht. Es war ein höllisch langer Tag gewesen, und sie waren erschöpft. Kaum dass sie unter den Decken lagen, waren sie auch schon eingeschlafen.

Hunt wurde wach, als Joel gegen die Zimmertür hämmerte. »Aufstehen!«, rief er. »Wir müssen los!«

»Ich bin wach!«, log Hunt und stieß Beth an, die neben ihm lag. »Wir sind beide schon wach! In ein paar Minuten sind wir da!«

In der Nacht hatten sie von ihrer Umgebung nicht viel sehen können, doch am Morgen war der Ausblick aus ihrem Fenster atemberaubend. Sie befanden sich im dritten Stock eines viergeschossigen Gebäudes, und von ihrem Zimmer aus konnten sie einen großen Teil der Stadt überschauen; dahinter ragten die dicht bewaldeten Berge auf. Hunt war noch nie in einem anderen Teil Mexikos gewesen als Nogales und Baja California, und er konnte sich auch nicht erinnern, jemals Panorama-Aufnahmen der Landschaft von Chiapas gesehen zu haben. Im Fernsehen gab es immer nur Bilder von bewaffneten Guerillas und zerschossenen Häuserwänden zu sehen. Und Tuxtla Gutierrez war ganz gewiss kein Ort, den Hunt bisher als Urlaubsziel auch nur in Erwägung gezogen hätte. Doch die Landschaft hier war wunderschön. Ein wolkenloser Himmel, so blau, als wäre er gemalt, hing über einer Landschaft mit dunklen, zerklüfteten Bergen und Hügeln, die mit dichten, dunkelgrünen Bäumen bewachsen waren. Tuxtla Gutierrez, die Stadt zu Füßen der Berge, wirkte ebenso exotisch, wie ihr Name verhieß. Männer mit dichten Schnurrbärten und in leuchtend bunter Kleidung schoben Wagen über einen riesigen Marktplatz. Alles war fremdartig, exotisch und aufregend. Hunt erkannte, dass sie viel mehr reisen sollten. Wenn Beth und er hier lebend aus dieser Sache herauskamen, sollten sie die Welt kennen lernen und all jene Orte besuchen, von denen sie bisher nur gehört oder gelesen hatten.

Falls sie hier lebend rauskamen.

Beth kam aus dem Badezimmer, und Hunt war an der Reihe. Zehn Minuten später waren sie angezogen und zum Aufbruch bereit. Sie klopften an die Tür des Zimmers, das Joel und Jorge sich teilten, und gemeinsam stiegen die vier die Treppe hinunter. Bei einem Verkäufer in der Lobby besorgte Hunt ein Brot mit Zuckerguss, zog aus einem Automaten vier Cokes und trug alles zusammen zu einem fadenscheinigen Sofa in der Ecke, damit sie frühstücken konnten.

Sie hatten schon die Zeit an Bord der Cessna damit verbracht, die Karten des Versicherungsvertreters zu studieren und sie mit irgendeiner aktuellen Touristen-Karte von Chiapas zu vergleichen; dennoch waren sie bei ihren Bemühungen, die Zentrale der Insurance Group zu finden, noch keinen Schritt weiter als am Tag zuvor in Tucson. Und jetzt, wo sie hier waren, erschien ihnen der Versuch, die Geschäftsräume der Versicherung zu finden, vergleichbar mit der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Sie wussten ja nicht einmal, wo sie anfangen sollten. Sie konnten in einem Telefonbuch nachschlagen oder einfach durch die Straßen spazieren und nach einem Schild Ausschau halten, auf dem »The Insurance Group« stand, doch Hunt hatte das dumpfe Gefühl, dass die Versicherung nicht allzu freigiebig Eigenwerbung betrieb. Dennoch mochte jemand von den Einheimischen irgendetwas wissen, und genau darauf wies Beth auch hin. Sie nickte Jorge zu. »Einen Dolmetscher haben wir ja schon.«

Nachdem sie kurz mit dem Rezeptionisten gesprochen hatten, mit den Verkäufern in der Lobby und den Händlern, die vor dem Hotel standen - dazu noch mit zwei Männern, die ohne erkennbares Ziel in die Lobby gekommen waren -, war Jorge der Ansicht, der Plan müsse doch noch ein wenig verfeinert werden. »Wir brauchen einen Fremdenführer«, sagte er. »Jemanden, der sich in der Gegend hier auskennt.«

Nacheinander blickte Hunt Beth und Joel an und zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«

In atemberaubend schnellem Spanisch sprach Jorge auf den Rezeptionisten ein. Der Mann griff nach dem Telefon, das hinter ihm stand, und sprach einige Minuten lang in den Hörer. Dann nickte er.

»Er ist unterwegs!«, verkündete Jorge.

Sie zogen es vor, in der Lobby zu warten, statt in ihre Zimmer zurückzukehren. Beth betrachtete die Verkaufsstände in der Halle, an denen vor allem Souvenirs feilgeboten wurden, während die Männer abwechselnd auf dem Sofa saßen oder angespannt auf und ab gingen. Zwanzig Minuten später kam ein hagerer Mann mit einem buschigen Zapatista-Schnurrbart in die Lobby, ging geradewegs auf sie zu und erklärte auf Englisch, mit deutlichem Akzent, aber trotzdem bestens verständlich, er werde sie begleiten und als ihr Fremdenführer fungieren, solange sie es wünschten: für zwölf Dollar am Tag - in amerikanischen Devisen.

»Zwölf Dollar!«, wiederholte Hunt ungläubig.

»Okay. Zehn Dollar.«

Ihr Fremdenführer hieß Manuel. Er verkündete stolz, er habe einen eigenen Pick-up mit Allradantrieb und werde sie überall hinfahren, wohin sie nur wollten. Bedauerlicherweise waren sie mit Manuel zu fünft, und in den Wagen passten nur drei Personen - vorausgesetzt, einer war bereit, sich praktisch auf die Gangschaltung zu setzen.

»Ich gehe nach hinten«, erbot sich Joel und klopfte gegen die Seitenwand der Ladefläche.

»Ich auch«, sagte Hunt. »Beth? Du und Jorge, ihr geht zu Manuel.«

»Nein«, widersprach Jorge. »Du bleibst hier.«

»Wir brauchen dich als Dolmetscher.«

Manuel war beleidigt. »Ich spreche drei Sprachen! Ich brauche nicht Dolmetscher.«

»Ich gehe nach hinten«, sagte Jorge. Joel und er kletterten auf die Ladefläche und kauerten sich zusammen, den Rücken gegen das Fahrerhaus gestemmt.

Als er auf der vor Menschenmassen wimmelnden Straße stand, kam Hunt sich vor wie Indiana Jones persönlich, und einen kurzen, wundervollen Moment lang waren all die Schrecken, deretwegen sie hier waren, wie weggeblasen, während er auf den staubigen Vordersitz des klapprigen Pickups kletterte. Dann kehrte mit aller Macht die Realität zurück. Hunt sah Lillys zerschmetterten Leichnam vor dem geistigen Auge, und wieder verspürte er die wilde Entschlossenheit, die so genannte Lebensversicherung dieses Vertreters ...

und sein Leben

... vorzeitig zu beenden und alles daranzusetzen, das ganze verdammte Unternehmen zu zerstören, auch wenn Hunt nicht den blassesten Schimmer hatte, wie er ein solch ehrgeiziges Ziel in die Tat umsetzen sollte.

»Wohin?«, fragte Manuel, ehe er den Motor anließ.

Hunt zeigte ihm die Ausdrucke, den Ausschnitt aus der Detail-Karte von Chiapas, den er so weit vergrößert hatte, dass er ein ganzes Blatt ausfüllte. Dann deutete er auf den Kreis mit dem Stern unterhalb dieses dicken Spinnenwebengeflechts aus Linien. »Wir suchen nach einer Versicherung, die hier irgendwo ihren Sitz hat. Auf Englisch heißt sie ›The Insurance Group‹, aber ich weiß nicht, ob sie hier nicht einen anderen Namen hat. Sie ist ...«

... ein multinationales Unternehmen, hatte Hunt sagen wollen, doch er wusste nicht, ob das wirklich stimmte. Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, schaute dann den Fremdenführer an und beschloss, ihm gegenüber ehrlich zu sein. Sie hatten keine Zeit für irgendwelche Spielchen und würden nirgendwohin kommen, wenn sie jetzt wie die Katze um den heißen Brei herumschlichen. »Die Insurance Group ist ein Versicherungsunternehmen. Gibt es hier Versicherungen?«

»Bei uns es gibt Versicherung, ja. Habe ich Versicherung? Nein.«

»Jedenfalls, die Insurance Group verkauft Autoversicherungen, Immobilienversicherungen und Krankenversicherungen, aber auch Gute-Nachbarschafts-Versicherungen und Personenschadensversicherungen. Und wenn du die abschließt, werden deine Feinde umgebracht, du selbst aber nicht.«