»Wir können doch gemeinsam lernen, Abner«, erwiderte York.
Yorks Begleiter wurden unruhig. Sie wanderten von Fenster zu Fenster, Brown wechselte die Laterne von einer in die andere Hand, Simon erinnerte in seiner stoischen Grimmigkeit an eine Leiche. Smith sagte in einer fremden Sprache etwas zu York. York nickte. »Wir müssen zurück«, sagte er.
Marsh schaute sich noch ein letztesmal um, hatte noch keine Lust zu gehen, und führte die Besucher dann aus dem Ruderhaus.
Als sie ein Stück über das Werftgelände zwischen den Docks gegangen waren, wandte York sich um und schaute zurück auf ihr Dampfboot, das auf seinen Stützen hockte und einen fahlen hellen Schatten vor dem Nachthimmel bildete. Die anderen blieben ebenfalls stehen und warteten schweigend.
»Kennen Sie Byron?« wollte York von Marsh wissen.
Marsh überlegte einige Zeit. »Ich kannte mal einen Burschen namens Blackjack Pete, der die Grand Turk steuerte. Ich glaube, sein Name lautete Brian.«
York lächelte. »Nicht Brian. Byron. Lord Byron, der englische Dichter.«
»Oh«, sagte Marsh. »Den meinen Sie. Ich habe für Gedichte nicht viel übrig. Ich glaube, ich habe schon mal von ihm gehört. Ein mutiger Kerl, nicht wahr? Und ein Liebling der Frauen.«
»Genau der, Abner. Ein bemerkenswerter Mann. Ich hatte das große Glück, ihn einmal persönlich kennenzulernen. Unser Dampfboot erinnert mich an ein Gedicht, das er einmal geschrieben hat.«
Er begann zu rezitieren.
»Byron schrieb natürlich von einer Frau, aber die Worte scheinen genausogut auf unser Boot zu passen, oder nicht? Sehen Sie sie doch nur an, Abner! Was meinen Sie?«
Abner wußte nicht so recht, was er denken sollte; der normale Dampfbootmann lief nicht herum und deklamierte Gedichte, und er hatte keine Ahnung, was er zu dem bemerken sollte, was er gerade gehört hatte. »Sehr interessant, Joshua«, war alles, was er zustandebrachte.
»Wie sollen wir das Schiff nennen?« fragte York und betrachtete noch immer das Boot, während ein leises Lächeln in seinem Gesicht spielte. »Gibt das Gedicht Ihnen irgendeine Idee?«
Marsh runzelte die Stirn. »Wir werden das Boot nicht nach irgendeinem verrückten Briten nennen, falls Sie das im Sinn haben«, erwiderte er unwirsch.
»Nein«, sagte York, »das war es nicht, was ich vorschlagen wollte. Ich hatte etwas anderes im Sinn wie zum Beispiel Dark Lady, oder …«
»Ich hab’ mir auch etwas ausgedacht«, sagte Marsh. »Unsere Firma heißt trotz allem Fevre River Packets, und dieses Boot stellt alles dar, was ich mir jemals erträumt habe.« Er hob den Hickorystock und wies auf den Radkasten. »Dort malen wir es hin, in großen blauen und silbernen Lettern, so prachtvoll wie möglich. Fiebertraum.« Er lächelte. »Die Fiebertraum gegen die Eclipse, sie werden noch von dem Rennen reden, wenn wir schon lange tot sind.«
Für einen kurzen Augenblick lag etwas Seltsames und Gespenstisches in Joshua Yorks grauen Augen. Dann war es wieder genauso schnell verschwunden, wie es aufgetaucht war. »Fiebertraum«, sagte er. »Halten Sie diese Wahl nicht für ein wenig … hmmm … unheimlich? Für mich stecken in dem Namen Krankheit, Fieber und Tod und Wahnvorstellungen. Träume, die … Träume, die man nicht träumen sollte, Abner.«
Marsh blickte ihn finster an. »Ich sehe das nicht so. Mir gefällt der Name.«
»Werden die Leute ein Boot mit einem solchen Namen besteigen, sich damit befördern lassen? Es ist schon passiert, daß auf Raddampfern Typhus und Gelbfieber gewütet haben. Sollen wir die Menschen am Fluß daran erinnern?«
»Sie sind mit meiner Sweet Fevre gefahren«, sagte Marsh. »Sie fahren mit der War Eagle und der Ghost und sogar auf Booten, die nach Indianern benannt sind. Sie werden auch dieses Schiff benutzen.«
Der hagere und fahle Mann namens Simon sagte daraufhin etwas mit einer Stimme, die kratzte wie eine rostige Säge, und in einer Sprache, die Marsh fremd vorkam, obgleich es nicht die Sprache war, in der Smith und Brown sich lebhaft unterhielten. York hörte ihm zu, und sein Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an, wobei es immer noch Besorgtheit zeigte. »Fiebertraum«, sagte er wieder. »Ich hatte auf einen — einen freundlicheren Namen gehofft, aber Simon hat mir etwas klargemacht. Machen Sie es so, wie Sie wollen, Abner. Soll das Boot ruhig Fiebertraum heißen.«
»Gut«, meinte Marsh.
York nickte geistesabwesend. »Treffen wir uns doch morgen zum Dinner im Galt House. Um acht Uhr. Dann können wir uns über unsere Fahrt nach St. Louis unterhalten und über die Mannschaft und die Vorräte beraten, die wir noch brauchen, falls es Ihnen paßt.«
Marsh gab seine knurrige Zustimmung, und York und seine Gefährten entfernten sich, um zu ihrem Boot zu gehen, und wurden vom Nebel verschluckt. Noch lange, nachdem sie gegangen waren, stand Marsh in den Docks und betrachtete den stummen, starren Raddampfer. »Fiebertraum«, sagte er laut, um den Geschmack der Worte auf seiner Zunge zu kosten. Aber seltsamerweise, zum erstenmal, klang der Name in seinen Ohren irgendwie falsch, enthielt er Gedankenverbindungen, die ihm gar nicht behagten. Er fröstelte, für einen kurzen Moment empfand er eine unerklärliche Kälte, dann schnaufte er und suchte sein Zimmer auf, um zu Bett zu gehen.
KAPITEL VIER
Die Fiebertraum verließ New Albany nach Einbruch der Dunkelheit an einem schwülen Abend Anfang Juli. In all den Jahren auf dem Fluß hatte Abner Marsh sich nie so lebendig gefühlt wie an diesem Tag. Den Morgen verbrachte er damit, die letzten wichtigen Kleinigkeiten in Louisville und New Albany zu regeln; er stellte einen Friseur ein, traf sich mit den Werftarbeitern zum Lunch und brachte einige Briefe zur Post. In der Hitze des Nachmittags zog er sich in seine Kabine zurück, machte einen letzten Rundgang auf dem Raddampfer, um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung und startbereit war, und begrüßte einige der Kabinenpassagiere, als sie sein Schiff betraten. Das Abendessen wurde zu einer eiligen Angelegenheit, und danach begab er sich auf das Hauptdeck, um den Maschinisten und seine Handlanger beim Überprüfen der Dampfkessel zu beaufsichtigen und um den Maat dabei zu beobachten, wie er das Verladen der letzten Frachtstücke kontrollierte. Die Sonne schickte unbarmherzig ihre sengenden Strahlen auf die Szenerie, und die Luft war schwer und lastend, so daß die Haut der Schauerleute vor Schweiß glänzte, während sie Kisten, Ballen und Fässer über die schmalen Ladeplanken auf das Schiff schleppten, während der Maat sie unaufhörlich zur Eile antrieb. Marsh wußte, daß auf der anderen Seite des Flusses in Louisville andere Boot ebenso beladen wurden und sich auf die Abfahrt vorbereiteten: die große, mit Niederdruckmaschinen ausgerüstete Jacob Strader der Cincinnati Mail Line, die schnelle Southerner von der Cincinnati Louisville Packet Company sowie ein halbes Dutzend kleinerer Boote. Er hielt sorgfältig Ausschau, ob eines der Schiffe flußabwärts fuhr, und fühlte sich trotz der Hitze und der Moskitoschwärme, die nach Sonnenuntergang vom Fluß aufgestiegen waren, ausgesprochen wohl.