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Abner Marsh schüttelte den Kopf. »Verdammt, Joshua, Sie hätten ihn töten sollen, als Sie die Gelegenheit dazu hatten.«

»Ja«, gab Joshua zu Marshs Verblüffung zu, »ich dachte, ich besäße die Herrschaft über ihn. Das war ein schwerer Irrtum. Natürlich versuchte ich an diesem Abend alles wiedergutzumachen. Ich raste vor Zorn. Ich beschimpfte ihn und war entschlossen, sein langes und ungeheuerliches Leben an diesem Abend zu beenden. Ich forderte ihn heraus, wollte ihn dazu zwingen, vor mir niederzuknien und mir sein Blut darzubieten, jeden Tag aufs neue, bis er leer und harmlos wäre. Er stand auf und sah mich an und …« York lachte bitter.

»Er bezwang Sie?« fragte Marsh.

Joshua nickte. »Ohne Mühe. So wie er es bisher immer geschafft hatte, bis auf einen einzigen Abend. Ich raffte meine ganze Energie zusammen, aber ich konnte ihm nicht standhalten. Ich glaube, nicht einmal Julian hatte etwas Derartiges erwartet.« Er schüttelte den Kopf. »Joshua York, der König der Vampire, versagte schon wieder. Zwei Monate hatte ich geherrscht. Und für die letzten dreizehn Jahre war Julian unser Meister gewesen.«

»Und die Gefangenen?« fragte Marsh und kannte die Antwort bereits, hoffte aber, daß er sich irrte.

»Tot. Julian und seine Gefährten holten sie in den folgenden Monaten nacheinander heraus.«

Marsh verzog mitfühlend das Gesicht. »Dreizehn Jahre, das ist eine lange Zeit, Joshua. Warum sind Sie nicht einfach geflohen? Sie hatten doch sicher eine Gelegenheit dazu.«

»Viele sogar«, gab Joshua York zu. »Ich glaube, es wäre Julian sogar ganz lieb gewesen, wenn ich verschwunden wäre. Er war schließlich tausend Jahre lang Blutmeister gewesen, und ich hatte ihn zwei Monate lang zum Sklaven gemacht. Immer wieder maßen wir unsere Kräfte, und immer wieder sah ich in seinen Augen plötzlich das Flackern der Unsicherheit, der Angst, daß er diesmal wieder besiegt würde. Aber es geschah nicht. Und ich blieb. Wohin hätte ich gehen sollen, Abner? Und was hätte ich tun können? Mein Platz war bei meinem Volk. Und die ganze Zeit über hoffte ich, daß ich sie eines Tages würde befreien können. Selbst in meiner Niederlage glaubte ich, daß meine Anwesenheit Julian irgendwie im Zaum hielt. Stets war ich es, der unsere Zweikämpfe auslöste, niemals er. Er versuchte auch niemals mehr, mich zum Töten zu zwingen. Als mein Elixier zur Neige ging, baute ich meine Geräte auf und braute mir einen frischen Vorrat, und Julian ließ mich gewähren. Er gestattete sogar anderen, sich zu beteiligen. Simon, Cynthia, Michel und noch einigen. Wir tranken und stillten unseren Durst.

Dabei blieb Julian in seiner Kabine. Manchmal bekam nicht einmal Sour Billy ihn zu Gesicht, und das wochenlang. So vergingen die Jahre. Julian verlor sich in seinen eigenen Träumen, wenngleich seine Anwesenheit uns stets bewußt war. Er hatte natürlich immer sein Blut. Einmal im Monat begab Sour Billy sich nach New Orleans und kehrte mit einem Opfer zurück. Vor dem Krieg waren es Sklaven. Danach Tanzhallenmädchen, Prostituierte, Säufer, Ganoven — wen immer er zu uns herauslocken konnte. Der Krieg war eine schwierige Zeit. Julian zog mehrmals mit einigen Leuten in die Stadt. Später schickte er immer andere los. Dieser Krieg forderte auch bei uns seine Opfer. Cara wurde eines Abends von einem Unionssoldaten in New Orleans angegriffen. Sie tötete ihn, natürlich, aber er war nicht allein, und so war Cara die erste von uns, die sterben mußte. Philip und Alain wurden verhaftet und eingesperrt. Sie wurden in einen offenen Gefängnishof gesperrt, wo sie darauf warten mußten, verhört zu werden. Die Sonne ging auf, und sie mußten beide sterben. Und eines Abends zündeten Soldaten das Plantagenhaus an. Es war sowieso halb verfallen, aber nicht unbewohnt. Armand starb in der Feuersbrunst, und Jorge und Michel trugen furchtbare Verbrennungen davon, allerdings erholten sie sich wieder. Wir anderen flohen und kehrten erst zur Fiebertraum zurück, als die Marodeure sich verzogen hatten. Und seitdem ist das Schiff unser Zuhause.

In den Jahren hatte zwischen mir und Julian eine Art Waffenstillstand geherrscht. Es sind nur noch wenige von uns da, kaum ein Dutzend, und wir sind unter uns uneinig. Meine Getreuen nehmen mein Elixier, und Julians Gefolgsleute schwören auf Blut. Simon, Cynthia und Michel stehen auf meiner Seite, die anderen auf seiner, einige, weil sie genauso denken wie er, andere, weil er ein Blutmeister ist. Kurt und Raymond sind seine stärksten Helfer. Und Billy.« Sein Gesicht verzog sich grimmig. »Billy ist ein Kannibale, Abner. Seit dreizehn Jahren macht Julian ihn zu einem von uns, jedenfalls behauptet er es. Nach dieser langen Zeit wird Billy immer noch von dem Blut schlecht. Ich habe mindestens ein dutzendmal gesehen, wie er es wieder erbrochen hat. Aber dafür ißt er jetzt Menschenfleisch, allerdings kocht er es vorher. Julian findet das amüsant.«

»Sie hätten zulassen sollen, daß ich ihn töte.«

»Vielleicht. Obgleich wir ohne Billy an jenem Tag wahrscheinlich auf dem Dampfer unser Leben gelassen hätten. Er hat einen wachen, schnellen Geist, aber Julian hat ihn furchtbar verwirrt, so wie er alle verwirrt, die auf ihn hören. Ohne Billy würde das Leben, das Julian sich zusammengebaut hat, regelrecht zerschellen. Es ist Billy, der in die Stadt fährt und Julians schreckliche Beute mitbringt. Es ist Billy, der das Silber aus dem Schiff oder Landparzellen verkauft oder was immer sonst noch gebraucht wird, um Geld in die Finger zu bekommen. Und in gewissem Sinn ist Billy dafür verantwortlich, daß wir beide uns wiedersehen.«

»Ich dachte mir schon, daß Sie früher oder später darauf kommen würden«, sagte Marsh. »Sie waren so lange bei Julian, ohne zu fliehen oder sonst etwas zu tun. Und jetzt sind Sie hier, Julian und Sour Billy sind hinter Ihnen her, und Sie schreiben mir diesen verdammten Brief. Warum gerade jetzt? Was hat sich geändert?«

Joshuas Hände krampften sich um die Armlehnen seines Sessels. »Der Waffenstillstand, von dem ich sprach, ist vorüber«, sagte er. »Julian ist wieder erwacht.«

»Wie?«

»Billy«, sagte Joshua, »ist unsere Verbindung zur Welt draußen. Wenn er nach New Orleans fährt, dann bringt er mir auch immer Zeitungen und Bücher sowie Lebensmittel, Wein und neue Opfer. Billy hört auch die Geschichten, die man sich erzählt, das Gerede in der Stadt und am Fluß.«

»Und?« fragte Abner Marsh.

»Seit kurzem geht es nur noch um ein Thema. Die Zeitungen sind voll davon. Es ist eine Sache, die ganz nach Ihrem Herzen sein dürfte, Abner. Es geht um Dampfschiffe. Genaugenommen um zwei Dampfschiffe.« Abner Marsh runzelte die Stirn. »Die Natchez und die Wild Bob Lee«, sagte er. Er wußte nicht, worauf Joshua hinauswollte.

»Genau«, sagte York. »Nach dem, was ich in den Zeitungen gelesen habe und was Billy erzählt, scheint ein Wettrennen unvermeidlich zu sein.«

»Zum Teufel, ja«, sagte Marsh, »und das schon bald. Leathers prahlt überall auf dem Fluß herum, und soweit ich es gehört habe, beschneidet er ganz schön die Geschäfte der Lee. Cap’n Cannon läßt sich das nicht mehr lange gefallen. Das wird sicher ein ganz wildes Rennen.« Er zupfte sich am Bart. »Nur weiß ich nicht, was das mit Julian und Billy und Ihrem verdammten Nachtvolk zu tun haben soll.«

Joshua York lächelte verkniffen. »Billy hat zuviel geredet. Julian fing an, sich dafür zu interessieren. Und er erinnert sich, Abner, er erinnert sich an das Versprechen, das er Ihnen gegeben hat. Einmal konnte ich ihn zurückhalten. Aber jetzt, verflucht noch mal, will er es wieder tun.«

»Was tun?«

»Er will das Gemetzel wiederholen, das ich auf der Fiebertraum vorgefunden habe«, sagte Joshua. »Abner, diese Rivalität zwischen der Natchez und der Robert E. Lee hat das Interesse der gesamten Nation geweckt. Sogar in Europa werden große Wetten abgeschlossen, wenn man den Zeitungen glauben kann. Wenn sie von New Orleans bis nach St. Louis um die Wette fahren, dann sind sie drei oder vier Tage unterwegs. Und drei oder vier Nächte, Abner. Drei oder vier Nächte