Die Tür der Kapitänskabine stand weit offen, und Damon Julian stand auf der Texasveranda, sah Joshua an, das fleischgewordene bleiche Böse schlechthin mit schwarzen und seltsam lockenden Augen. Joshua York stand reglos da wie ein Mann in Trance.
Marsh riß den Blick los und richtete ihn auf die Schrotflinte in seiner Hand und auf die frischen Patronen. Tu so, als sei er gar nicht da, sagte er sich. Du stehst in der Sonne, er kann nicht zu dir kommen, schau ihn nicht an, sondern lad nach, lad das Gewehr und jag ihm beide Ladungen mitten in sein gottverdammtes Gesicht, während Joshua ihn auf die Stelle bannt.
Die Hand zitterte ihm. Er zwang sich, sie ruhigzuhalten, und lud die erste Patrone.
Und Damon Julian lachte. Beim Klang dieses Gelächters blickte Marsh unwillkürlich hoch, während er die zweite Patrone immer noch in der Hand hielt. Julians Lachen klang so melodisch, es war soviel Wärme und Humor darin, daß es einem schwerfiel, vor ihm Angst zu haben und sich daran zu erinnern, was er war und zu welchen schrecklichen Taten fähig. Joshua war auf die Knie gesunken.
Marsh fluchte und tat drei entschlossene Schritte vorwärts, und Julian wirbelte herum und kam zu ihm. Oder er versuchte es. Julian sprang über die eingebrochene Veranda auf das Sturmdeck hinunter, doch Joshua sah ihn, erhob sich, sprang hinter ihm her und erwischte Julian von hinten. Für einen Moment rangen sie auf dem Deck miteinander. Dann hörte Marsh, wie Joshua schmerzerfüllt aufschrie, wandte den Blick ab, schob die zweite Patrone in den Lauf, klappte die Waffe zu und schaute wieder hoch und sah Julian herankommen, sah das weiße Gesicht vor sich mit den funkelnden Zähnen, diesen furchtbaren Zähnen. Sein Finger krümmte sich reflexartig um den Abzug, ehe er mit der Waffe richtig zielen konnte, und der Schuß ging daneben. Der Rückstoß schleuderte Marsh rückwärts auf die Bretter. Und das rettete ihm vermutlich das Leben. Julian verfehlte ihn, wirbelte herum — und zögerte, als er Joshua aufstehen sah, der aus vier langen Rissen in seiner Wange blutete. »Sieh mich an, Julian!« rief Joshua leise. »Sieh her!«
Marsh hatte noch einen Schuß übrig. Auf dem Deck liegend, brachte er die Waffe in Anschlag, aber er war zu langsam. Damon Julian riß den Blick von Joshua los und sah den Lauf auf sich zu schwingen. Er drehte sich blitzschnell weg, und der Schuß ging ins Leere. Als Joshua York Abner Marsh auf die Füße geholfen hatte, war Julian die Treppe hinuntergerast. »Hinter ihm her!« drängte Joshua. »Und seien Sie wachsam! Vielleicht erwartet er Sie schon!«
»Und was ist mit Ihnen?«
»Ich passe auf, daß er das Schiff nicht verläßt«, sagte Joshua. Dann fuhr er herum und sprang von der Kante des Sturmdecks, huschte über das Vorderdeck, lautlos und geschmeidig wie eine Katze. Er landete einen knappen Meter von der Stelle entfernt, wo Sour Billy lag. Er kam ziemlich hart auf und rollte sich ab. Einen Moment später war er wieder auf den Füßen und huschte die breite Treppe hinauf.
Marsh holte zwei weitere Patronen aus der Tasche und lud nach. Dann ging er zur Treppe, blickte wachsam hinunter und stieg Stufe für Stufe vorsichtig abwärts, wobei er die Schrotflinte in Anschlag hielt, jederzeit bereit zu schießen. Das Holz knarrte unter seinen Füßen, doch ein anderes Geräusch war nicht zu hören. Marsh wußte, daß das nichts zu bedeuten hatte. Sie bewegten sich so leise, alle Angehörigen seines Volkes.
Er hatte eine Vorstellung davon, wo Julian sich vielleicht versteckte. Entweder im großen Salon oder in einer der dort gelegenen Kabinen. Marsh hielt den Finger auf den Abzug und drang in den Salon ein, wobei er für einige Sekunden innehielt, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten.
Weit hinten, am anderen Ende der Kabine, bewegte sich etwas. Marsh zielte und erstarrte, dann ließ er das Gewehr sinken. Es war Joshua.
»Er ist nicht herausgekommen!« rief Joshua, und sein Kopf bewegte sich, während seine Augen — so unendlich viel besser als die Marshs — die Kabine absuchten.
»Das habe ich mir fast gedacht«, sagte Marsh. Und plötzlich fuhr ein eisiger Hauch durch die Kabine. Kalt und still wie der Atem aus einem vor langer Zeit geschlossenen Grab. Es war zu dunkel. Marsh konnte nichts anderes erkennen als vage drohende Schatten. »Ich brauche verdammt noch mal Licht«, sagte er. Er hob die Schrotflinte und jagte einen Schuß durch die Glaskuppel des Oberlichts. Der Knall erzeugte in der Kabine ein ohrenbetäubendes Echo, und das Glas zerschellte. Scherben und Sonnenlicht regneten von oben herab. Marsh nahm wieder eine Patrone, um nachzuladen. »Ich sehe nichts«, sagte er und trat mit dem Gewehr unter dem Arm vor. Die lange Kabine war völlig still und leer, soweit er es erkennen konnte. Vielleicht kauerte Julian hinter der Bar. Vorsichtig schob er sich darauf zu.
Ein leises Klirren drang ihm an die Ohren, es waren Gläser, die gegeneinander stießen und vom Wind bewegt wurden. Abner Marsh runzelte die Stirn.
Und Joshua brüllte: »Abner! Über Ihnen!«
Marsh blickte in dem Moment hoch, als Damon Julian seinen Griff an dem großen schwingenden Leuchter löste und auf ihn herabstürzte. Marsh versuchte sich zu erheben und mit dem Gewehr zu zielen, aber es war zu spät, und er war zu verdammt langsam. Julian landete genau auf ihm, trat ihm das Gewehr aus der Hand, und sie stürzten beide auf den Fußboden. Marsh versuchte sich wegzurollen. Etwas packte ihn und zog. Er schlug mit mächtiger Faust blindlings zu. Der Konterschlag kam aus dem Nichts und riß ihm fast den Kopf von den Schultern. Für einen Moment lag er benommen da. Der Arm wurde ihm verdreht und brutal nach hinten gerissen. Marsh brüllte auf. Der Druck ließ nicht nach. Er versuchte sich auf die Füße zu kämpfen, und sein Arm wurde mit brutaler Gewalt nach oben gebogen. Er hörte ein Knacken, und er schrie erneut, lauter diesmal, als der Schmerz durch ihn hindurchraste. Er wurde rauh auf das Deck hinuntergestoßen und landete mit dem Gesicht auf dem vermoderten Teppich. »Kämpfen Sie ruhig, mein lieber Kapitän, und ich breche Ihnen den anderen Arm«, sagte Julians weiche Stimme. »Bleiben Sie still liegen.«
»Weg von ihm!« sagte Joshua. Marsh hob den Kopf mühsam an und sah ihn in sieben Metern Entfernung auf dem Deck stehen.
»Lieber nicht«, erwiderte Julian. »Rühr dich nicht, lieber Joshua. Wenn du einen Schritt in meine Richtung tust, dann reiße ich Captain Marshs Kehle auf, ehe du auch nur einen Meter näher gekommen bist. Bleib, wo du bist, und ich verschone ihn. Hast du mich verstanden?«
Marsh versuchte sich zu rühren und biß sich vor Qual auf die Lippen. Joshua verharrte und hatte die Hände angriffsbereit vorgestreckt. »Ja«, sagte er, »ich verstehe.« In seinen grauen Augen lag ein tödlicher Ausdruck, der aber auch zugleich Unsicherheit signalisierte. Marsh schaute sich suchend nach seinem Gewehr um. Es lag knapp zwei Meter weit entfernt und deutlich außerhalb seiner Reichweite.
»Gut«, sagte Damon Julian. »Warum machen wir es uns nicht gemütlich?« Marsh hörte, wie Julian sich einen Sessel heranzog. Er setzte sich dicht hinter Marsh. »Ich bleibe hier sitzen, im Schatten. Du kannst dich ja in den Lichtstrahl setzen, dem der Kapitän freundlicherweise Zugang zu diesem Raum verschafft hat. Mach schon, Joshua! Tu, was ich dir sage, es sei denn, du willst ihn sterben sehen.«