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Erst als die Lichter von Louisville und New Albany hinter ihnen verschwanden und die Fiebertraum zwischen Uferwällen dahinstampfte, die so schwarz und kahl waren wie schon vor einem Jahrhundert, bemerkte Abner Marsh, daß Joshua York zum Ruderhaus heraufgestiegen war und neben ihm stand.

Er hatte sich elegant herausgeputzt, trug eine Hose und einen Frack in reinstem Weiß, dazu eine tiefblaue Weste, ein weißes Hemd mit Spitzen und Rüschen und eine blaue Seidenkrawatte. Die Uhrkette, die sich über seine Weste spannte, war aus Silber, und an einer blassen Hand trug York einen großen Silberring mit einem kunstvoll gefaßten hellblauen Stein, der lebhaft funkelte. Weiß und Blau und Silber, das waren die Schiffsfarben, und York sah aus, als wäre er ein Teil davon. Das Ruderhaus war mit prächtigen blauen und silberfarbenen Vorhängen dekoriert, und die ausladende Couch im hinteren Teil war ebenfalls blau, das Wachsleinen desgleichen. »Kompliment, Sie gefallen mir, Joshua«, sagte Marsh zu ihm.

York lächelte. »Danke sehr«, erwiderte er. »Ich hielt es für angemessen. Sie sehen aber auch nicht übel aus.« Marsh hatte sich eine neue Lotsenjacke mit glänzenden Messingknöpfen sowie eine Mütze gekauft, auf deren vorderem Rand der Name seines Schiffs mit Silberfaden eingestickt war.

»Hmmm‐ja«, knurrte Marsh. Komplimente machten ihn immer verlegen; das Fluchen fiel ihm leichter, und es war ihm vertrauter. »Nun«, meinte er, »haben Sie unser Auslaufen miterlebt?« York hatte fast den ganzen Tag in der Kapitänskabine auf dem Texasdeck geschlafen, während Marsh geschwitzt und sich den Kopf zerbrochen und die meisten Pflichten wahrgenommen hatte, die ein Kapitän erledigen mußte. Marsh hatte sich allmählich daran gewöhnt, daß York und seine Gefährten erst abends und nachts richtig wach wurden und den Tag größtenteils verschliefen. Er hatte auch schon andere Leute kennengelernt, die es genauso gehalten hatten, und als er York einmal darüber hatte ausfragen wollen, hatte Joshua nur gelächelt und das Gedicht zitiert, das Marsh schon einmal von ihm gehört hatte.

»Ich habe oben auf dem Sturmdeck gestanden, ein Stück vor den Schornsteinen, und habe mir alles angeschaut. Sobald wir Fahrt aufnahmen, war es dort oben angenehm kühl.«

»Ein schneller Raddampfer schafft sich seinen Wind selbst«, sagte Marsh. »Ganz gleich wie heiß der Tag ist oder wie heftig das Holz in den Feuerungen verbrennt, dort oben ist es immer frisch und angenehm. Manchmal tun mir die armen Teufel unten auf dem Hauptdeck richtig leid, aber zum Teufel noch mal, dafür zahlen sie auch nur einen Dollar für die Fahrt.«

»Natürlich«, pflichtete Joshua York ihm bei.

Das Schiff gab in diesem Augenblick einen dumpfen Laut von sich und erzitterte leicht.

»Was war das?« fragte York.

»Wahrscheinlich sind wir über einen Baumstamm gelaufen«, entgegnete Marsh. »Stimmt das?« fragte er den Lotsen.

»Wir haben ihn gestreift«, antwortete der Mann. »Aber keine Sorge, Cap’n. Es ist nichts beschädigt worden.«

Abner Marsh nickte und wandte sich wieder zu York um. »Sollen wir nicht mal runtergehen in die Hauptkabine? Die Passagiere haben sich bestimmt dort versammelt, denn immerhin ist dies ja der erste Abend unserer Fahrt. Wir könnten uns mit ein paar von ihnen bekannt machen, uns mit ihnen unterhalten und nachschauen, ob alles in Ordnung ist und es ihnen an nichts mangelt.«

»Das wäre mir ein Vergnügen«, entgegnete York. »Aber vorher, Abner, darf ich Sie auf einen Drink in meine Kabine einladen? Wir sollten auf unsere Abfahrt anstoßen, meinen Sie nicht auch?«

Marsh hob die Schultern. »Ein Drink? Nun, ich wüßte nicht, warum wir das nicht tun sollten.« Er gab dem Lotsen ein Zeichen und tippte grüßend gegen seine Mütze. »Gute Nacht, Mister Daly. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich Ihnen Kaffee hinaufschicken.«

Sie verließen das Ruderhaus und suchten die Kapitänskabine auf, wo sie einen Moment lang stehenblieben, während York die Tür aufschloß — er hatte darauf bestanden, daß seine Kabine und auch alle anderen Kabinen auf dem Schiff mit stabilen Schlössern gesichert waren. Das war etwas seltsam, aber Marsh hatte widerspruchslos eingewilligt. York kannte schließlich das Leben auf einem Raddampfer nicht, doch die meisten seiner anderen Forderungen waren recht einleuchtend und sinnvoll gewesen, wie zum Beispiel all das Silber und die Spiegel, die den Hauptsalon zu einem so luxuriösen Ort machten.

Yorks Kabine war dreimal so lang wie die Passagierkabinen und doppelt so breit, daher war sie nach Raddampfer‐Maßstäben riesig. Und dies war das erstemal, daß Abner Marsh sie betrat, seit York sie bezogen hatte, deshalb schaute er sich neugierig um. Je eine Öllampe an den gegenüberliegenden Wänden der Kabine tauchten das Innere in ein warmes, anheimelndes Licht. Die breiten Fenster aus farbigem Glas waren jetzt verdunkelt, mit Läden versehen und von Vorhängen aus schwarzem Samt verhüllt, der im Lampenlicht schwer und teuer aussah. In einer Ecke stand eine hohe Schubladenkommode mit einer Waschschüssel darauf, und dahinter hing ein Spiegel mit silbernem Rahmen. Es gab ein schmales, aber gemütlich aussehendes Federbett und zwei große Ledersessel sowie einen breiten Rosenholzschreibtisch mit zahlreichen Schubladen und Nischen und Geheimfächern. Er war an eine der Wände gerückt. Darüber war eine wunderschöne alte Landkarte vom Flußsystem des Mississippi an die Wand geheftet. Die Schreibfläche des Tisches war mit ledergebundenen Folianten und zahlreichen Zeitungsstapeln bedeckt. Das war eine andere seltsame Eigenschaft von Joshua York; er las eine unglaubliche Menge Zeitungen aus jeder Ecke der Welt — Zeitungen aus England, Zeitungen in fremden Sprachen, Mr. Greeleys Tribune natürlich und den Herald aus New York ebenfalls, nahezu alle Zeitungen aus St. Louis und New Orleans und alle möglichen Wochenpublikationen der kleineren Städte am Fluß. Jeden Tag bekam er paketeweise Zeitungen geliefert. Auch Bücher; in der Kabine stand ein hoher Bücherschrank, bis obenhin vollgestopft, und weitere Bücher stapelten sich auf dem kleinen Tisch am Bett; auf dem Stapel stand eine halb heruntergebrannte Lesekerze.

Abner Marsh vergeudete keine Zeit damit, sich die Bücher anzusehen. Neben dem Bücherschrank befand sich ein Weinregal aus Holz mit zwanzig oder dreißig liegenden Flaschen. Er wandte sich sofort dem Weinregal zu und zog eine Flasche heraus. Die Flasche war nicht etikettiert, und die Flüssigkeit darin war tiefrot, so dunkel, daß sie fast schwarz aussah. Der Korken war mit einer Haube aus glänzendem schwarzen Wachs versiegelt. »Haben Sie ein Messer?« fragte er York und drehte die Flasche in der Hand.

»Ich glaube nicht, daß Sie an diesem Getränk großen Gefallen haben werden, Abner«, sagte York. Er hielt ein Tablett mit zwei Silberkelchen und einer Kristallkaraffe in der Hand. »Ich habe hier einen exquisiten Sherry. Warum trinken wir nicht den?«

Marsh zögerte. Yorks Sherry war gewöhnlich ganz hervorragend, und er hatte wenig Lust, sich dieses Vergnügen entgehen zu lassen, aber da er Joshua etwas besser kennengelernt hatte, war er überzeugt, daß jeder Wein, von dem er sich einen Vorrat angelegt hatte, einfach superb sein mußte. Abgesehen davon war er neugierig. Er wechselte die Flasche von einer Hand in die andere. Die Flüssigkeit darin schwappte träge und floß langsam wie ein besonders süßer Likör. »Was ist das überhaupt?« fragte Marsh stirnrunzelnd.