»Ein ganz spezielles selbstgemachtes Gebräu«, antwortete York. »Es besteht aus Wein und Brandy und Likör, schmeckt aber nach keiner der Zutaten. Ein sehr seltenes Getränk, Abner. Meine Gefährten und ich haben eine Vorliebe dafür, aber den meisten Leuten mundet es überhaupt nicht. Ich bin sicher, daß Sie den Sherry vorziehen werden.«
»Nun«, meinte Marsh und wog die Flasche in der Hand, »alles, was Sie trinken, Joshua, wird bestimmt auch mir schmecken. Sie haben allerdings einen sehr guten Sherry, das stimmt schon.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Hören Sie, wir haben doch Zeit, und ich habe einen ganz schrecklichen Durst. Warum kosten wir nicht von beidem?«
Joshua York lachte, es war ein Lachen spontanen Vergnügens, volltönend und melodisch. »Abner«, sagte er, »Sie sind wirklich einmalig und ein wunderbarer Kerl. Ich mag Sie. Mein Drink wird Ihnen trotzdem nicht schmecken. Aber wenn Sie darauf bestehen, dann trinken wir beides.«
Sie machten es sich in den beiden Ledersesseln bequem, und York stellte das Tablett auf den niedrigen Tisch zwischen den Sesseln. Marsh reichte seinem Gastgeber die Flasche mit dem Wein oder was immer darin war. Aus irgendeiner verborgenen Tasche seines weißen Anzugs holte York ein schlankes kleines Messer mit einem Elfenbeingriff und einer langen Silberklinge hervor. Er schnitt das Wachs ab und bohrte mit einer einzigen schnellen Bewegung die Klingenspitze in den Korken und schnippte ihn mit einem leisen Knall heraus. Die Flüssigkeit floß langsam wie rotschwarzer Honig in die Silberkelche. Sie war undurchsichtig und schien winzige schwarze Körnchen zu enthalten. Sicherlich besonders stark; Marsh hob seinen Kelch hoch und roch daran, und der Alkohol darin ließ ihm das Wasser in die Augen schießen.
»Wir sollten auf etwas trinken«, meinte York und hob seinen Kelch.
»Auf all das Geld, das wir verdienen werden«, schlug Marsh scherzhaft vor.
»Nein«, widersprach York ernst. In seinen dämonenhaft grauen Augen lag ein Ausdruck tiefer Melancholie, so kam es Marsh vor. Er hoffte, daß York nicht schon wieder anfing, Gedichte aufzusagen. »Abner«, fuhr York fort, »ich weiß, was die Fiebertraum Ihnen bedeutet. Ich möchte, daß Sie wissen, daß sie mir mindestens ebenso wichtig ist. Dieser Tag ist der Beginn eines herrlichen neuen Lebens für mich. Sie und ich, wir beide gemeinsam, haben das Schiff zu dem gemacht, was es ist, und wir werden dafür sorgen, daß es zur Legende wird. Ich habe Schönheit schon immer bewundert, Abner, aber dies ist das erstemal in meinem langen Leben, daß ich sie geschaffen oder zumindest bei ihrer Erschaffung geholfen habe. Es ist ein schönes Gefühl, der Welt etwas Neues und Schönes beschert zu haben. Vor allem für mich. Ich muß Ihnen dafür danken.« Er hob seinen Kelch. »Lassen Sie uns auf die Fiebertraum trinken und auf alles, was sie darstellt, mein Freund — Schönheit, Freiheit, Hoffnung. Auf unser Schiff und auf eine bessere Welt.«
»Auf den schnellsten Raddampfer auf dem ganzen Fluß!« schloß Marsh sich ihm an, und sie tranken. Beinahe hätte er gewürgt. Yorks Spezialgetränk brannte ihm im Mund wie Feuer, es versengte seine Kehle und schickte glühende Pfeile in seine Eingeweide, aber gleichzeitig war eine klebrige erstickende Süße in der Flüssigkeit und die Andeutung eines überaus unangenehmen Geruchs, den der Alkohol und die Süße nicht ganz verbergen konnten. Es schmeckt, als wäre in der Flasche irgend etwas verfault, dachte er.
Joshua York leerte seinen Kelch in einem einzigen langen Zug, wobei er den Kopf in den Nacken legte. Dann stellte er den Kelch hin, schaute Marsh an und lachte wieder. »Der Ausdruck in Ihrem Gesicht, Abner, ist herrlich grotesk. Zwingen Sie sich nicht, höflich zu sein. Ich habe Sie gewarnt. Warum nehmen Sie nicht einen Sherry?«
»Ich denke, das tue ich«, erwiderte Marsh. »Das tue ich wirklich.«
Später, als zwei Gläser Sherry den Nachgeschmack von Yorks Getränk aus Marshs Mund gespült hatten, kamen die beiden Männer zur Sache.
»Was geschieht als nächstes nach St. Louis, Abner?« erkundigte sich York.
»Das New‐Orleans‐Geschäft. Es gibt für ein Boot von dieser Größe keine andere Möglichkeit.«
York schüttelte ungehalten den Kopf. »Das weiß ich, Abner. Ich war nur neugierig, wie Sie Ihren Traum verwirklichen wollen, die Eclipse zu schlagen. Wollen Sie sie suchen und sie herausfordern? Ich bin dazu bereit, solange es uns nicht allzu lange aufhält oder uns zwingt, unseren geplanten Kurs zu verlassen.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach, aber das ist es nicht. Zum Teufel, Joshua, auf dem Fluß sind Tausende von Raddampfern unterwegs, und alle würden die Eclipse in einem Rennen gerne besiegen. Sie muß ihre Fahrten machen, genauso wie wir, sie muß Passagiere und Fracht transportieren. Sie kann nicht dauernd an irgendwelchen Rennen teilnehmen. Außerdem wäre ihr Kapitän ein Narr, wenn er auf eine Herausforderung von uns einginge. Wer sind wir schon? Irgendein neuer Raddampfer, frisch von der Werft in New Albany, von dem noch nie jemand etwas gehört hat. Die Eclipse hätte in einem Rennen gegen uns nichts zu gewinnen und alles zu verlieren.« Er leerte ein weiteres Glas Sherry und hielt es York hin, damit er es erneut füllte. »Nein, zuerst einmal müssen wir unseren Geschäften nachgehen und uns einen Ruf aufbauen. Wir müssen uns flußauf und flußab als schnelles Boot erweisen und die Aufmerksamkeit auf uns lenken. Nicht lange, und die Leute fangen an, sich darüber zu unterhalten, wie schnell unser Schiff ist, und sie fragen sich, wie ein Rennen zwischen der Eclipse und der Fiebertraum wohl verlaufen würde. Vielleicht treffen wir sie gelegentlich auf dem Fluß und überholen sie. Wir schüren das Gerede der Leute, und sie schließen die ersten Wetten ab. Vielleicht machen wir auch mal die eine oder andere Fahrt der Eclipse und unterbieten ihre Zeiten. Ein schneller Raddampfer bekommt mehr Aufträge. Die Plantagenbesitzer und Frachtunternehmer und solche Leute wollen, daß ihre Waren schnellstens auf den Markt gelangen, deshalb arbeiten sie mit dem schnellsten Schiff, das sie finden können. Und die Passagiere fahren am liebsten auf einem berühmten Schiff, sofern sie das Geld für die Passage aufbringen können. Nach einiger Zeit kommt es dann so weit, daß die Leute denken, daß wir das schnellste Boot auf dem Unterlauf des Flusses sind, und die Aufträge fallen uns in den Schoß, wir machen die guten Geschäfte, und die Eclipse wird da getroffen, wo es am meisten weh tut, nämlich in der Kasse. Und dann werden Sie erleben, wie schnell wir unser Rennen bekommen, um ein für allemal zu entscheiden, welches der beiden Schiffe das schnellere ist.«
»Ich verstehe«, sagte York. »Soll denn diese Fahrt nach St. Louis schon etwas für unseren guten Ruf bewirken?«
»Na ja, ich habe nicht vor, einen Rekord aufzustellen. Unser Schiff ist noch neu und muß erst eingefahren werden. Wir haben noch nicht einmal unseren festen Lotsen an Bord, niemand weiß so richtig, wie das Boot sich verhält, und wir müssen Whitey die Zeit lassen, um all die kleineren Probleme mit den Maschinen zu beseitigen und seine Handlanger auf Vordermann zu bringen.« Er stellte sein leeres Glas ab. »Das heißt aber nicht, daß wir nicht doch irgend etwas in der Richtung unternehmen können«, meinte er grinsend. »Ich habe da so ein paar Ideen. Sie werden schon sehen.«
»Gut«, sagte Joshua York. »Noch etwas Sherry?«
»Nein«, lehnte Marsh ab. »Ich glaube, wir sollten uns mal unten im Salon zeigen. Ich lade Sie dann an unserer Bar zu einem Drink ein. Und ich kann Ihnen garantieren, daß der besser schmeckt als Ihr verdammtes Zeug.«
York lächelte. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, meinte er.
Diese Nacht war für Abner Marsh nicht mit anderen Nächten zu vergleichen. Es war eine verzauberte Nacht, ein Traum. Sie schien mindestens vierzig oder fünfzig Stunden lang zu dauern, das hätte er schwören können, und jede dieser Stunden war unendlich wertvoll. Er und York blieben wach bis zum Morgengrauen, sie tranken und unterhielten sich angeregt und wanderten über das Wunder von Schiff, das sie gebaut hatten. Am Tag danach erwachte Marsh mit einem derartigen Brummschädel, daß er sich kaum an alles erinnern konnte, was er in der voraufgegangenen Nacht getan hatte. Aber einige Augenblicke waren in seiner Erinnerung unauslöschlich.