Ein Zündholz flackerte auf der anderen Seite des Raums auf, und York hielt es an seine Lesekerze, dann setzte er sich auf den Rand seines zerwühlten Bettes. Er zog sich schwerfällig eine Hose über, doch sein Gesicht war hart und eine Maske des Schreckens. »Nun«, sagte er. »Also, warum sind Sie hier? Ich warne Sie, hoffentlich haben Sie eine plausible Erklärung!«
Marsh geriet allmählich in Zorn. Niemand redete so mit ihm, absolut niemand. »Die Southerner liegt neben uns, York«, schnappte er. »Das schnellste verdammte Boot auf diesem Fluß, es trägt das Geweih und alles. Ich beabsichtige, die Fiebertraum hinter ihr herzujagen, und ich nahm an, Sie wollten sich das ansehen. Wenn Sie nicht zugeben, daß das Grund genug ist, Sie aus dem Bett zu holen, dann sind Sie kein Dampfschiffer und werden es wohl auch niemals werden! Und außerdem sollten Sie sich vorsehen, wie Sie mit mir umspringen, klar?«
Irgend etwas loderte in Joshua Yorks Augen auf, und er machte Anstalten aufzustehen, aber noch ehe das geschah, gewann er die Beherrschung über sich zurück und wandte sich ab. »Abner«, sagte er. Er hielt inne und runzelte die Stirn. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich zu Ihnen sein oder Ihnen Angst einjagen. Ihre Absicht war in Ordnung.« Marsh sah mit Schrecken, wie der andere die Hand krampfartig zur Faust ballte, ehe er sie wieder entspannte und ein Zittern unterdrückte. York durchquerte die halbdunkle Kabine mit drei entschlossenen Schritten. Auf seinem Schreibtisch stand eine Flasche mit seinem Spezialgetränk: Es war die Flasche, die zu öffnen Marsh ihn am Abend vorher überredet hatte. Er schenkte sich einen ganzen Kelch voll, legte den Kopf in den Nacken und leerte den Kelch auf einen Zug. »Ah«, machte er leise. Er drehte sich wieder zu Marsh um. »Abner«, sagte er, »ich habe Ihnen Ihr Traumschiff gebaut, aber nicht als Geschenk. Wir haben eine Abmachung getroffen. Sie haben die Befehle, die ich gebe, zu befolgen, sie müssen mein exzentrisches Verhalten respektieren und dürfen keine Fragen stellen. Haben Sie die Absicht, Ihren Teil des Vertrags einzuhalten?«
»Ich stehe zu meinem Wort!« knurrte Marsh trotzig.
»Fein«, sagte York. »Hören Sie zu. Sie haben es gut gemeint, aber es war falsch, daß Sie mich geweckt haben, wie es geschehen ist. Tun Sie das nie wieder! Niemals. Egal, aus welchem Grund.«
»Wenn der Kessel platzt und wir in Brand geraten, soll ich Sie hier drin verschmoren lassen, meinen Sie das so?«
Yorks Augen glitzerten im Halbdunkel. »Nein«, lenkte er ein. »Aber es wäre wahrscheinlich sicherer, wenn Sie das täten. Ich bin ziemlich unberechenbar, wenn ich plötzlich geweckt werde, ich bin dann nicht ich selbst. Bei solchen Gelegenheiten habe ich schon Dinge getan, die ich später bedauert habe. Deshalb war ich zu Ihnen so kurzangebunden. Ich entschuldige mich dafür, aber es wird wieder passieren. Vielleicht sogar noch schlimmer. Begreifen Sie, Abner? Kommen Sie niemals herein, wenn die Tür verriegelt ist.«
Marsh verzog das Gesicht, aber er hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte. Immerhin hatte er ein Abkommen getroffen; wenn York sich wegen eines solchen bißchen Schlaf aufregte, dann war das seine Sache. »Ich verstehe«, sagte er. »Ich nehme Ihre Entschuldigung an, und bei dieser Gelegenheit bitte auch ich um Entschuldigung. Also, wollen Sie nicht mit hinaufkommen und miterleben, wie wir die Southerner einholen? Nun, da Sie schon mal wach sind und halb angezogen?«
»Nein«, sagte York mit ernstem Gesicht. »Es ist nicht so, daß ich daran kein Interesse habe, Abner. Das habe ich. Aber — Sie müssen das verstehen — ich brauche meine Ruhe, sie ist lebensnotwendig für mich. Und ich habe für Tageslicht nicht viel übrig. Die Sonne ist so grell, sie brennt so sehr. Hatten Sie schon mal einen schlimmen Sonnenbrand? Wenn ja, dann können Sie mich sicher verstehen. Sie haben ja selbst gesehen, wie blaß und hell meine Haut ist. Die Sonne und ich, wir passen nicht zusammen. Es ist eine Art Krankheit, Abner. Und ich möchte nicht mehr darüber reden.«
»Na gut«, sagte Marsh. Unter seinen Füßen begann das Deck, leicht zu vibrieren. Die Dampfpfeife gab ihren durchdringenden Ton von sich. »Wir legen ab«, sagte Marsh. »Ich muß gehen, Joshua. Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe, aufrichtig leid.«
York nickte, wandte sich ab und schenkte sich noch einen Kelch von dem widerwärtigen Getränk ein. »Ich weiß.« Diesmal nippte er nur. »Gehen Sie«, sagte er. »Wir sehen uns heute abend zum Essen.« Marsh ging zur Tür, aber Yorks Stimme ließ ihn innehalten, ehe er die Tür öffnen konnte. »Abner.«
»Ja?« fragte Marsh.
Joshua York schenkte ihm ein fahles, dünnes Lächeln. »Schlagen Sie sie, Abner. Gewinnen Sie.«
Marsh grinste und verließ die Kabine.
Als er das Ruderhaus erreichte, hatte die Fiebertraum sich schon von der Anlegestelle wegbewegt und änderte die Drehrichtung ihrer Schaufelräder. Die Southerner war bereits ein Stück flußabwärts verschwunden. Im Ruderhaus drängte sich etwa ein halbes Dutzend dienstfreier Lotsen, sie unterhielten sich, kauten Tabak und schlossen Wetten darauf ab, ob sie das andere Boot einholten oder nicht. Selbst Mister Daly hatte seine Pause unterbrochen, um heraufzukommen und das Geschehen zu verfolgen. Die Passagiere ahnten ebenfalls, daß irgend etwas im Gange war; die unteren Decks waren dicht bevölkert, und alle drängten sich an die Reling und strebten zum Vorderdeck, um gute Sicht zu haben.
Kitch ließ das große schwarzsilberne Rad rotieren, und die Fiebertraum schob sich hinaus in den Hauptkanal, glitt in die schnelle Strömung und folgte ihrer Rivalin. Kitch forderte von den Maschinen mehr Dampf. Whitey warf Pech in die Feuerungen, und sie lieferten den Leuten am Ufer ein Schauspiel, stießen dicke Wolken dichten schwarzen Qualms aus, als sie davondampften. Abner Marsh stand hinter dem Lotsen, stützte sich auf seinen Spazierstock und blickte blinzelnd voraus. Die Nachmittagssonne schien auf das klare blaue Wasser vor ihnen und erzeugte lebhafte Reflexe, die tanzten und schimmerten und in den Augen schmerzten, außer dort, wo die schäumende Flut von den Schaufelrädern der Southerner die Lichtstreifen in Tausende Feuerfunken geschlagen hatte.
Für einen kurzen Augenblick erschien das Unterfangen einfach. Die Fiebertraum stürmte los und stieß Qualm und Funken aus, die amerikanischen Flaggen vorn und hinten flatterten wild, die Räder peitschten das Wasser in immer schnellerem Rhythmus, und die Maschinen dröhnten dumpf. Der Abstand zwischen ihr und dem anderen Raddampfer verringerte sich deutlich. Aber die Southerner war keine Mary Kaye, kein mickriger Heckraddampfer, den man ganz nach Belieben hinter sich lassen konnte. Es dauerte nicht lange, bis ihr Kapitän oder Lotse erkannte, was geschah, und die Antwort war eine schlagartige Steigerung des Tempos. Der Qualm wurde dicker und strömte auf die Fiebertraum zu, und ihre Heckwelle wurde noch wilder und angriffslustiger, daher mußte Kitch mit der Fiebertraum einen weiten Bogen schlagen, um sie zu meiden, wobei er die Strömung nicht mehr voll nutzen konnte. Der Abstand zwischen ihnen wuchs wieder und blieb dann konstant.
»Bleiben Sie an ihr dran«, befahl Marsh seinem Lotsen, nachdem klar war, daß die beiden Raddampfer ihre Positionen hielten. Er verließ das Ruderhaus und machte sich auf die Suche nach Hairy Mike Dunne, den er schließlich auf dem vorderen Teil des Hauptdecks fand, wo er es sich gemütlich gemacht hatte, die Stiefel auf eine Kiste hochgelegt und eine dicke Zigarre im Mund. »Rufen Sie die Schauerleute und die Deckshelfer zusammen«, sagte Marsh zu dem Maat. »Sie sollen das Boot austrimmen.« Hairy Mike nickte und erhob sich, drückte seine Zigarre aus und begann zu brüllen.