Die Reiter näherten sich nur langsam, aber dafür dreist wie hohe Tiere, und ritten im hellen Tageslicht heran, als gehörten sie dorthin. Sie konnten unmöglich aus dieser Gegend stammen, dachte Sour Billy; sämtliche Nachbarn wußten genau, daß Damon Julian es nicht duldete, wenn jemand ohne seine Erlaubnis sein Land betrat. Als die Reiter noch zu weit entfernt waren, um etwas Genaueres erkennen zu können, überlegte Sour Billy, ob es nicht einige von Montreuils Kreolenfreunden waren, die herkamen, um Streit anzufangen. Wenn das der Fall wäre, dann würde es ihnen bald leid tun.
Dann sah er, warum die Gruppe so langsam vorankam, und Sour Billy entspannte sich. Zwei Neger in Ketten stolperten hinter den beiden Männern auf den Pferden her. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Baumstamm, um die Besucher zu erwarten.
Und richtig, sie hielten an. Einer der Männer zu Pferde schaute hinüber zum Haus mit seiner abblätternden Farbe und den halb verfallenen Eingangsstufen, spuckte eine Ladung Tabaksaft aus und wandte sich an Sour Billy. »Ist dies die Julian‐Plantage?« fragte er. Er war ein massiger Mann mit gerötetem Gesicht und einer Warze auf der Nase. Gekleidet war er in stinkendes Lederzeug, und auf dem Kopf trug er einen zerknitterten Filzhut.
»Das ist sie«, erwiderte Sour Billy. Aber er blickte an dem Reiter und seinem Gefährten, einem schlanken Jungen mit rosigen Wangen, der offensichtlich sein Sohn war, vorbei. Er ging hinüber zu den beiden verstört aussehenden Negern, die schwankend und unterwürfig in ihren Ketten dastanden, und Sour Billy lächelte. »Na so was«, meinte er, »wenn das nicht Lily und Sam sind. Hätte nie gedacht, daß ihr beide euch noch einmal hier blicken lassen würdet. Es dürfte an die zwei Jahre her sein, seit ihr weggelaufen seid. Mister Julian wird sicherlich erfreut sein, daß ihr zurückgekommen seid.«
Sam, ein großer, kräftig wirkender Bursche, hob den Kopf und starrte Sour Billy an, aber in seinen Augen lag kein Trotz. Nur Angst. »Sie liefen uns oben in Arkansas über den Weg, meinem Jungen und mir«, berichtete der rotgesichtige Mann. »Sie wollten uns weismachen, sie seien freie Nigger, aber sie haben mich nicht eine Minute lang getäuscht, no, Sir.«
Sour Billy sah die Sklavenjäger an und nickte. »Fahren Sie fort.«
»Sie waren verdammt stur, diese beiden. Konnte sie kaum dazu bringen, uns zu verraten, woher sie kamen. Mußte sie ordentlich verprügeln, und hab’ auch noch ein paar andere Tricks angewandt, die ich kenne. Mit Niggern ist es gewöhnlich einfach, man macht ihnen ordentlich Angst, und schon erzählen sie einem, was man wissen will. Aber nicht die da.« Er spuckte aus. »Nun, am Ende bekamen wir es doch aus ihnen heraus. Zeig’s ihm, Jim.«
Der Junge saß ab, ging zu der Frau hinüber und hob ihren rechten Arm hoch. Drei Finger fehlten an ihrer Hand. Einer der Stummel war noch mit Blut verkrustet.
»Wir haben mit der rechten angefangen, weil uns aufgefallen war, daß sie Linkshänderin ist«, sagte der Mann. »Wir wollten sie nicht zu sehr zum Krüppel machen, das verstehen Sie sicher, aber wir fanden nichts in den offiziellen Verlautbarungen, und es hingen keine Steckbriefe aus, daher …« Er zuckte gleichgültig die Schultern. »Wir kamen bis zum dritten Finger, wie Sie sehen, und dann rückte der Mann endlich mit der Sprache heraus. Die Frau hat ihn deshalb wie wild beschimpft.« Er lachte abgehackt. »Jedenfalls, hier sind sie. Zwei Sklaven wie die sollten Ihnen eigentlich eine Belohnung wert sein, wenn man sie Ihnen zurückbringt. Ist dieser Mister Julian zu Hause?«
»Nein«, sagte Sour Billy und blickte zur Sonne. Bis Mittag waren es noch rund zwei Stunden.
»Na schön«, sagte der rotgesichtige Mann, »dann sind Sie sicherlich der Aufseher, stimmt’s? Der, den sie Sour Billy nennen?«
»Der bin ich«, entgegnete er. »Haben Sam und Lily von mir erzählt?«
Der Sklavenjäger lachte erneut. »Oh, die haben eine Menge zusammengeredet, als wir erst einmal wußten, woher sie kommen. Bis hierher haben sie in einem fort gequatscht. Ein‐ oder zweimal haben wir, mein Sohn und ich, versucht, ihnen das Maul zu stopfen, aber kurz darauf ging es gleich wieder los. Ganz schön wilde Geschichten haben sie erzählt.«
Sour Billy bedachte die beiden Ausreißer mit einem Blick aus seinen kalten, tückischen Augen, aber keiner der beiden erwiderte seinen Blick.
»Vielleicht können Sie die beiden jetzt übernehmen und uns unsere Belohnung auszahlen, damit wir unseren Weg fortsetzen können«, schlug der Mann vor.
»Nein«, meinte Sour Billy Tipton. »Sie müssen warten. Mister Julian will sich persönlich bei Ihnen bedanken. Lange wird es nicht dauern. Bei Einbruch der Dunkelheit ist er wieder zurück.«
»Am Abend erst?« fragte der Mann. Er und sein Sohn wechselten einen Blick. »Seltsam, Mister Sour Billy, aber diese beiden Nigger meinten, daß Sie genau das sagen würden. Sie erzählen verrückte Geschichten von Dingen, die hier nach Einbruch der Dunkelheit vorgehen. Mein Junge und ich, wir wollen lieber unser Geld, und dann reiten wir gleich weiter, wenn es Ihnen recht ist.«
»Das wird aber Mister Julian nicht recht sein«, widersprach Sour Billy. »Und ich kann Ihnen sowieso kein Geld geben. Glauben Sie etwa alle verrückten Geschichten, die Ihnen von Niggern aufgetischt werden?«
Der Mann runzelte die Stirn und kaute nachdenklich auf seinem Tabak. »Niggergeschichten sind so eine Sache«, meinte er schließlich, »aber ich habe schon Nigger gekannt, die ab und zu auch mal die Wahrheit sagten. Na ja, wissen Sie was, Mister Sour Billy, wir machen es so, wie Sie sagten, wir warten, bis Mister Julian nach Hause kommt. Aber glauben Sie ja nicht, daß wir uns übers Ohr hauen lassen.« Er trug eine Pistole an der Seite. Die tätschelte er. »Ich werd’ meine Freundin bei mir behalten, solange wir warten, und mein Junge hat auch so eine, außerdem können wir ganz gut mit dem Messer umgehen. Sie verstehen? Diese Nigger haben uns von Ihrem kleinen Messer erzählt, daß Sie im Nacken versteckt tragen, also greifen Sie lieber nicht nach hinten, um sich zu kratzen zum Beispiel, sonst fängt es nämlich auch in unseren Fingern an zu jucken. Wir wollen in aller Ruhe warten und uns vertragen, nicht wahr?«
Sour Billy sah den Sklavenjäger an und fixierte ihn mit kalten Blicken, aber der massige Mann war einfach zu dumm, um es auch nur wahrzunehmen. »Wir warten im Haus«, erklärte Sour Billy und achtete darauf, daß seine Hände seinem Rücken nicht zu nahe kamen.
»Ist mir recht«, meinte der Sklavenjäger. Er saß ab. »Ich heiße übrigens Tom Johnston, und das ist mein Sohn Jim.«
»Mister Julian wird sich freuen, Sie kennenzulernen«, sagte Sour Billy. »Binden Sie Ihre Pferde an, und bringen Sie die Nigger ins Haus. Seien Sie auf der Treppe vorsichtig. Sie ist stellenweise etwas morsch.«
Die Frau begann zu wimmern, als sie sie zum Haus zerrten, aber Jim Johnston versetzte ihr einen heftigen Schlag auf den Mund, und sie verstummte wieder.
Sour Billy brachte sie in die Bibliothek und zog die schweren Vorhänge auf, um etwas Licht in den dämmrigen und staubigen Raum hereinzulassen. Die Sklaven setzten sich auf den Fußboden, während die beiden Sklavenjäger sich in den beiden schweren Ledersesseln ausstreckten. »Also«, sagte Tom Johnston, »hier gefällt es mir.«
»Alles ist morsch und staubig, Daddy«, meinte der Junge. »Genau wie die Nigger es geschildert haben.«
»Also so was«, sagte Sour Billy und betrachtete die beiden Neger. »Nein, nein. Mister Julian wird es gar nicht gefallen, daß ihr Geschichten über sein Haus verbreitet habt. Damit habt ihr euch mindestens eine Tracht Prügel eingehandelt.«