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»Was machen Sie da mit meinem Sohn?« wollte Tom Johnston wissen. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Finger weg!« Er zückte seine Pistole.

Damon Julian ließ einen Blick in die Runde schweifen. »Ihr Junge hat eine urtümliche, unverbrauchte Schönheit«, meinte er. »Dafür haben Sie jedoch eine Warze.«

»Er ist eine Warze«, verbesserte Sour Billy Tipton seinen Herrn und Meister.

Tom Johnston starrte ihn wütend an, und Damon Julian lächelte. »Tatsächlich«, sagte er. »Sehr amüsant, Billy.« Julian gab Valerie und Adrienne ein Zeichen. Sie glitten auf ihn zu, und jede ergriff eine Hand Jim Johnstons.

»Brauchen Sie Hilfe?« bot Sour Billy sich an.

»Nein«, erwiderte Julian, »danke sehr.« Mit einer graziösen, fast lässigen Geste hob er eine Hand und führte sie sacht über den Hals des Jungen. Jim Johnston stieß einen gurgelnden, erstickten Laut aus. Ein dünne rote Linie erschien plötzlich um seinen Hals, ein kleines, geschwungenes Halsband, dessen hellrote Perlen unter den Blicken aller Anwesenden größer und größer anschwollen, dann nacheinander platzten und seinen Hals herabrieselten. Jim Johnston bäumte sich auf, warf sich hin und her, aber der eiserne Griff der beiden Frauen ließ ihm keinen Raum, sich zu bewegen. Damon Julian beugte sich vor und preßte den offenen Mund auf den Schnitt, um das heiße helle Blut aufzufangen.

Tom Johnston machte ein undeutliches tierhaftes Geräusch tief in seiner Brust und brauchte eine halbe Ewigkeit, um zu reagieren. Schließlich spannte er seine Pistole ganz und brachte sie in Anschlag. Alain trat ihm in den Weg, und plötzlich tauchten Vincent und Jean rechts und links von ihm auf, und Raymond und Cynthia berührten ihn von hinten mit kalten weißen Händen. Johnston stieß einen Fluch aus und schoß. Ein Blitz flammte auf, ein scharfer beißender Geruch nach Pulver breitete sich aus, und der spindeldürre Alain wich schwankend zurück und stürzte, niedergeschleudert durch die Wucht des Geschosses. Blut sickerte durch die rüschenbesetzte weiße Hemdbrust, die er trug. Halb sitzend, halb liegend, berührte Alain seine Brust, und seine Hand kam blutig wieder hoch.

Raymond und Cynthia hielten Johnston endlich fest, und Jean nahm ihm die Pistole mit einer geschmeidigen, lässigen Geste aus der Hand. Der massige rotgesichtige Mann widersetzte sich nicht. Er starrte nur auf Alain. Der Blutfluß hatte aufgehört. Alain lächelte und zeigte dabei lange weiße Zähne, raubtierhaft, furchteinflößend. Er erhob sich und kam näher. »Nein«, schrie Johnston, »nein, ich hab’ dich erschossen, du mußt tot sein, ich habe geschossen!«

»Manchmal erzählen Nigger tatsächlich die Wahrheit, Mister Johnston«, sagte Sour Billy Tipton. »Nichts als die Wahrheit. Sie hätten darauf hören sollen.«

Raymond griff unter Johnstons Schlapphut, wühlte mit den Händen in seinen Haaren und riß ihm den Kopf zurück, um den dicken roten Hals freizulegen. Alain lachte und riß Johnstons Kehle mit den Zähnen auf. Dann drängten die anderen heran.

Sour Billy griff nach hinten, zog das Messer und huschte zu den beiden Negern hinüber. »Kommt schon«, sagte er. »Mister Julian braucht euch heute nacht nicht, aber ihr beide werdet nie mehr weglaufen. Runter in den Keller. Kommt schon, beeilt euch, oder ich lasse euch bei denen.« Das scheuchte sie auf, wie Sour Billy aus Erfahrung wußte.

Der Keller war eng und feucht. Man mußte durch eine Falltür, die von einem Teppich bedeckt wurde, hinuntersteigen. Das Land war in dieser Gegend zu naß für einen richtigen Keller, aber dies war auch kein richtiger Keller. Der Boden war zwei Zoll hoch mit Wasser bedeckt, die Decke war so niedrig, daß kein Mann aufrecht stehen konnte, und die Wände waren grün vor Schimmel. Sour Billy kettete die Neger an, und zwar nahe genug beieinander, daß sie einander berühren konnten. Er hielt sich deshalb für einen ausgesprochen netten Menschen. Er brachte ihnen sogar eine warme Mahlzeit.

Anschließend bereitete er sich seine eigene Mahlzeit und spülte sie mit dem Rest in der zweiten Brandyflasche hinunter, die die Johnstons geöffnet hatten. Er war gerade fertig geworden, als Alain in die Küche kam. Das Blut auf seinem Hemd war eingetrocknet, und dort, wo ihn der Schuß getroffen hatte, klaffte ein schwarzes Brandloch, doch ansonsten war seine Kleidung makellos. »Es ist vorbei«, meldete Alain ihm. »Julian möchte, daß Sie in die Bibliothek kommen.«

Sour Billy schob den Teller zurück, um der Aufforderung nachzukommen. Das Eßzimmer mußte gründlich gesäubert werden, wie er beim Hindurchgehen bemerkte. Adrienne und Kurt und Armand tranken in der Stille genußvoll ein Glas Wein, die Leichen — oder was davon noch übrig war — lagen nur ein paar Schritte von ihnen entfernt. Ein paar von den anderen hatten sich in den Salon begeben und unterhielten sich.

In der Bibliothek war es tiefschwarz. Sour Billy hatte erwartet, Damon Julian allein anzutreffen, aber als er eintrat, gewahrte er in den Schatten drei verschiedene Gestalten; zwei saßen, eine stand. Er konnte nicht erkennen, wer sie waren. Er wartete an der Tür, bis Julian endlich das Wort ergriff. »In Zukunft bringen Sie nie mehr solche Leute in meine Bibliothek«, sagte die Stimme. »Sie waren schmutzig. Sie haben einen Geruch hinterlassen.«

Sour Billy empfand seine plötzliche Furcht wie einen Messerstich. »Ja, Sir«, sagte er und blickte den Sessel an, aus dem Julian geredet hatte. »Es tut mir leid, Mister Julian.«

Nach einem Moment des Schweigens sagte Julian: »Schließ die Tür, Billy. Komm herein. Du darfst die Laterne anzünden.«

Die Laterne war aus rot gefärbtem Glas zusammengesetzt; ihre Flamme tauchte den staubigen Raum in den rotbraunen Farbton von getrocknetem Blut. Damon Julian saß in einem hochlehnigen Sessel, die langen dünnen Finger unter dem Kinn gefaltet, ein gedankenverlorenes Lächeln im Gesicht. Valerie saß an seiner rechten Seite. Der Ärmel ihres Gewandes war bei dem Kampf zerfetzt worden, aber sie schien es noch nicht bemerkt zu haben. Sour Billy dachte, daß sie noch blasser war als sonst. Ein paar Fuß entfernt stand Jean hinter einem anderen Sessel, vermittelte einen gefaßten und gleichzeitig nervösen Eindruck und spielte mit einem großen goldenen Ring am Finger.

»Muß er dabei sein?« fragte Valerie Julian. Sie schenkte Billy nur einen kurzen Blick, und in ihren großen violetten Augen funkelte unverhohlene Abneigung.

»Nun, Valerie«, erwiderte Julian. Er streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. Sie zitterte und preßte die Lippen fest zusammen. »Ich habe Billy gerufen, um dir ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln«, fuhr Julian fort.

Jean raffte all seinen Mut zusammen und blickte Sour Billy direkt in die Augen, runzelte dabei die Stirn. »Dieser Johnston hatte eine Frau.«

Das war es also, dachte Sour Billy. »Haben Sie Angst?« fragte er Jean spöttisch. Jean gehörte nicht zu Julians Lieblingen, daher war es nicht gefährlich, ihn zu hänseln. »Er hatte eine Frau«, sagte Billy, »aber das ist kein Grund zur Besorgnis. Er hat nie viel mit ihr geredet, hat ihr nie erzählt, wohin er ging oder wann er wieder zurückkäme. Sie wird der Sache bestimmt nicht nachgehen und Sie verfolgen.«

»Mir gefällt das nicht, Damon«, brummte Jean.

»Was ist mit den Sklaven?« meldete Valerie sich wieder zu Wort. »Sie waren zwei Jahr lang weg. Sie haben den Johnstons einiges erzählt, gefährliche Dinge. Genausogut können sie auch mit anderen Leuten geredet haben.«

»Billy?« sagte Julian.

Sour Billy hob die Schultern. »Ich schätze, die haben ihre Geschichten jedem Nigger von hier bis Arkansas erzählt«, sagte er. »Das beunruhigt mich aber nicht. Es sind doch alles nur Niggerstories, die sowieso niemand glaubt.«

»Ich weiß nicht recht«, sagte Valerie. Dann wandte sie sich an Damon Julian, flehte ihn an. »Damon, bitte, Jean hat recht. Wir sind schon viel zu lange hier: Es ist kein sicherer Ort mehr. Weißt du noch, was sie mit der Frau in New Orleans, dieser Lalaurie, die ihre Sklaven zum Vergnügen gefoltert hat, gemacht haben? Irgendwann wurden Geschichten über sie bekannt, und sie wurde erwischt. Und was sie getan hatte, war nichts im Vergleich …« Sie zögerte, schluckte, und fügte dann hastig hinzu: »… zu den Dingen, die wir tun. Den Dingen, die wir tun müssen.« Sie wandte ihr Gesicht von Julian ab. Langsam, sanft, streckte Julian eine fahle Hand aus, berührte ihre Wange, strich in einer zärtlichen Liebkosung mit dem Finger an einer Gesichtsseite entlang, dann legte er ihr die Hand unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Bist du jetzt so ängstlich, Valerie? Muß ich dich daran erinnern, wer du bist? Hast du wieder mal zu viel auf Jean gehört? Ist er jetzt der Meister? Ist er Blutmeister?«