»Nein«, antwortete sie; ihre tiefvioletten Augen waren größer als sonst, und ihre Stimme zitterte vor Angst. »Nein.«
»Wer ist der Blutmeister, liebe Valerie?« fragte Julian. Seine Augen funkelten bedrohlich und schienen sie versengen zu wollen.
»Du bist es, Damon«, flüsterte sie. »Du.«
»Schau mich an, Valerie. Meinst du, ich müßte irgendwelche Geschichten fürchten, die von einer Sklavenbande erzählt werden? Was kümmert es mich, was sie über mich reden?«
Valerie öffnete den Mund. Keine Worte drangen heraus.
Zufrieden löste Damon Julian seinen Griff, mit dem er sie festgehalten hatte. Dort, wo seine Finger sich in ihr Fleisch gegraben hatten, waren rote Flecken zu erkennen. Er lächelte Sour Billy an, während Valerie sich zurückzog. »Was meinst du denn dazu, Billy?«
Sour Billy starrte auf seine Füße und scharrte nervös damit. Er wußte, was er hätte sagen sollen, aber er hatte schon vor einiger Zeit nachgedacht, und es gab Dinge, die er Julian sagen mußte, die er aber gar nicht gerne hören würde. Er hatte es die ganze Zeit aufgeschoben, aber nun sah es so aus, als hätte er keine andere Wahl mehr, als den Mund aufzumachen. »Ich weiß nicht, Mister Julian«, meinte er zaghaft.
»Du weißt nicht, Billy? Was weißt du nicht?« Die Stimme klang kalt und hatte einen drohenden Unterton.
Sour Billy fuhr ohne Rücksicht auf Verluste fort. »Ich weiß nicht, wie lange wir noch so weitermachen können, Mister Julian«, sagte er mutig. »Ich hab’ darüber nachgedacht, und es gibt da Dinge, die mir nicht gefallen. Diese Plantage hier brachte viel Geld ein, als Garroux sie noch leitete, aber mittlerweile ist sie nahezu wertlos. Sie wissen, daß ich jeden Sklaven zum Arbeiten bringen kann, ich will verdammt sein, wenn ich das nicht kann, aber die, die tot sind oder weglaufen, kann ich kaum arbeiten lassen. Als Sie und Ihre Freunde damit anfingen, die Kinder aus den Baracken zu holen oder geeignete junge Frauen ins Haupthaus zu bringen, von wo sie nicht mehr zurückkehrten, fingen unsere Schwierigkeiten an. Seit mehr als einem Jahr hatten Sie keine Sklaven mehr, bis auf die hübschen Mädchen, und die bleiben auch nicht lange hier.« Er lachte nervös. »Wir ernten nichts mehr. Wir haben die halbe Plantage verkauft, die besten Parzellen Ackerland. Und diese schönen Frauen, Mister Julian, sind teuer. Wir sind in ernsten Geldschwierigkeiten.
Und das ist noch nicht alles. Nigger zu töten, ist die eine Sache, aber sich auch an Weißen zu vergreifen, um den Durst zu stillen, das ist gefährlich. Nun, in New Orleans ist es vielleicht nicht so schlimm, aber Sie und ich, wir wissen genau, daß Cara Henri Cassands Jungen umgebracht hat. Und der ist ein Nachbar von uns, Mister Julian. Alle wissen, daß hier seltsame Dinge vorgehen; wenn jetzt auch noch deren Sklaven und sogar deren Kinder sterben, dann kommen große Probleme auf uns zu.«
»Probleme?« fragte Damon Julian. »Wir zählen fast zwanzig Leute, dich mitgerechnet. Was kann das Vieh uns da antun?«
»Mister Julian«, sagte Sour Billy, »was ist, wenn sie bei Tag kommen?«
Julian winkte lässig ab. »Das wird nicht geschehen. Wenn doch, dann werden wir mit ihnen so verfahren, wie sie es verdienen.«
Sour Billy verzog das Gesicht. Julian brauchte sich keine großen Sorgen zu machen, denn er selbst, Sour Billy, war es, der das größte Risiko einging. »Ich denke, daß sie vielleicht recht hat, Mister Julian«, meinte er unglücklich. »Ich finde, wir sollten woanders hingehen. Wir haben diesen Ort völlig ausgesaugt. Hier zu bleiben ist zu gefährlich.«
»Ich fühle mich hier wohl, Billy«, widersprach Julian. »Ich ernähre mich von dem Vieh. Ich laufe nicht davor weg.«
»Dann zum Geld. Woher sollen wir noch Geld bekommen?«
»Unsere Gäste haben Pferde hinterlassen. Bring sie morgen nach New Orleans, und verkauf sie dort. Sieh zu, daß sie nicht auffallen. Du kannst auch noch etwas von dem Land verkaufen. Neville von der Bayou Cross wird sicherlich noch etwas kaufen wollen. Geh zu ihm, Billy.« Julian lächelte. »Du kannst ihn auch hierher zum Dinner einladen, damit wir über mein Angebot verhandeln können. Sag ihm, er soll mit seiner hübschen Frau und seinem reizenden Sohn kommen. Sam und Lily können bei Tisch servieren. Es wird genauso sein wie früher, bevor die Sklaven wegliefen.«
Er macht Scherze, dachte Sour Billy. Aber es war nie geraten, Julians Worte, egal, was er sagte, nicht ernst zu nehmen. »Das Haus«, erinnerte Billy. »Wenn sie zum Essen erscheinen, werden sie sehen, wie weit es heruntergekommen ist. Das geht nicht. Sobald sie wieder zu Hause sind, werden sie eine Menge zu erzählen haben.«
»Falls sie nach Hause zurückkehren, Billy.«
»Damon«, sagte Jean bebend, »es ist doch wohl nicht dein Ernst …«
In dem dämmrigen, in Rot getauchten Raum war es heiß. Sour, Billy schwitzte. »Neville ist — bitte, Mister Julian, Sie können unmöglich Neville töten. Sie können nicht einfach weiterhin Menschen aus dieser Gegend umbringen und schöne Mädchen kaufen.«
»Darin hat dieses Geschöpf dieses eine Mal wirklich recht«, ließ Valerie sich mit leiser Stimme vernehmen. »Hör auf seine Worte.« Jean nickte ebenfalls, mutig geworden, da er mit seiner Meinung nicht allein dastand.
»Wir könnten das ganze Anwesen verkaufen«, sagte Billy. »Es verfällt sowieso zusehends. Dann ziehen wir alle nach New Orleans. Dort unten sind die Bedingungen für uns viel besser. Bei all den Kreolen und den freien Niggern und dem Abschaum vom Fluß wird niemand ein paar mehr oder weniger vermissen, nicht wahr?«
»Nein«, erwiderte Damon Julian eisig. Seine Stimme verriet ihnen, daß er sich auf keine weitere Diskussion einlassen würde. Sour Billy verstummte. Jean begann wieder mit seinem Ring zu spielen, den Mund mißmutig und ängstlich verzogen.
Erstaunlicherweise war es Valerie, die weiterredete. »Dann laß uns gehen.«
Julian wandte, träge den Kopf. »Uns?«
»Jean und mich«, sagte sie. »Schick uns fort. Das wäre besser. Für dich auch. Es ist sicherer, wenn nicht so viele von uns zusammen sind. Du wirst länger etwas von deinen schönen Mädchen haben.«
»Ich soll dich fortschicken, liebe Valerie? Nun, du würdest mir fehlen. Und ich würde mir außerdem um dich Sorgen machen. Wohin würdest du gehen, frage ich mich.«
»Irgendwohin. Egal wohin.«
»Hoffst du noch immer, deine dunkle Stadt in einer Höhle zu finden?« meinte Julian spöttisch. »Dein Glaube ist rührend, Kind. Betrachtest du unseren armen schwachen Jean etwa als den fahlen König?«
»Nein«, entgegnete Valerie. »Nein. Wir wollen uns nur ausruhen. Bitte, Damon. Wenn wir alle zusammenbleiben, dann finden sie uns. Sie werden uns jagen und töten. Laß uns von hier fortziehen.«
»Du bist so schön, Valerie. So einzigartig.«
»Bitte«, flehte sie, zitternd. »Weg von hier. Ruhe.«
»Arme kleine Valerie«, sagte Julian. »Es gibt keine Ruhe. Wo immer du hingehst, der Durst wird dich begleiten. Nein, du wirst hierbleiben.«