»Bitte«, wiederholte sie dumpf. »Mein Blutmeister.«
Damon Julians Augen verengten sich nahezu unmerklich, und sein Lächeln verflog. »Wenn du so sehr darauf bedacht bist wegzugehen, dann sollte ich dir vielleicht gewähren, worum du bittest.«
Valerie und Jean schauten ihn hoffnungsvoll an.
»Vielleicht sollte ich euch wegschicken«, sinnierte Julian. »Euch beide. Aber nicht gemeinsam, nein. Du bist so schön, Valerie. Du verdienst etwas Besseres als Jean. Was meinst du, Billy?«
Sour Billy grinste. »Schicken Sie sie alle fort, Mister Julian. Sie brauchen sie nicht. Sie haben mich doch. Schicken Sie sie fort, und sie werden sehen, wie es ihnen dann gefällt.«
»Interessant«, sagte Damon Julian. »Ich werde es mir überlegen. Und jetzt laßt ihr alle mich allein. Billy, du verkaufst die Pferde. Sprich mit Neville über den Landverkauf.«
»Kein Dinner?« fragte Sour Billy erleichtert.
»Nein«, antwortete Julian.
Sour Billy ging als letzter zur Tür. Hinter ihm löschte Julian das Licht, und die Finsternis füllte den Raum. Aber Sour Billy verharrte an der Schwelle und wandte sich noch einmal um.
»Mister Julian«, sagte er, »Ihr Versprechen — es ist jetzt schon Jahre her. Wann?«
»Wenn ich dich nicht mehr brauche, Billy. Du bist mir tagsüber soviel wert wie meine Augen. Du vollbringst Dinge, zu denen ich nicht in der Lage bin. Wie könnte ich dich jetzt entbehren? Aber habe keine Angst. Es wird nicht mehr lange dauern. Und Zeit wird dir nichts mehr bedeuten, wenn du erst einmal einer der unseren bist. Jahre und Tage sind für den einerlei, der über ewiges Leben verfügt.« Das Versprechen erfüllte Sour Billy mit einem Gefühl der Zuversicht. Er ging, um Julians Aufträge auszuführen.
In jener Nacht träumte er. In seinen Träumen war er so düster und elegant wie Julian selbst, so fein und raubtierhaft. In seinen Träumen herrschte immer Nacht, und er strich unter einem fahlen Vollmond durch die Straßen von New Orleans. Sie sahen ihn aus ihren Fenstern und von ihren schmiedeeisernen Balkonen vorbeigehen, und er spürte ihre Blicke auf sich, die der Männer voller Angst, während die Frauen sich von der dunklen Macht angezogen fühlten. In der Dunkelheit jagte, überfiel er sie, huschte lautlos über Ziegelmauern, hörte ihre eiligen Schritte und ihr Keuchen. Unter dem tanzenden Feuer einer Öllampe erwischte er einen feinen jungen Dandy und zerfetzte ihm lachend die Kehle. Eine aufreizende kreolische Schönheit beobachtete ihn von weitem, und er verfolgte sie, hetzte sie durch Gassen und über Hinterhöfe, während sie vor ihm davonrannte. Schließlich, in einem Hof, der von einer gußeisernen Laterne erleuchtet wurde, wandte sie sich zu ihm um. Sie sah Valerie ähnlich. Ihre Augen waren violett und voller Feuer. Er näherte sich ihr und stieß sie nach hinten und nahm sie. Kreolenblut war genauso heiß und scharf wie kreolisches Essen. Die Nacht gehörte ihm und alle Nächte der Ewigkeit, und der rote Durst hatte ihn gepackt.
Als er aus dem Traum erwachte, war er am ganzen Körper erhitzt und wie im Fieber, und seine Bettlaken waren schweißnaß.
KAPITEL SIEBEN
Die Fiebertraum lag für zwölf Tage in St. Louis. Es war für die gesamte Mannschaft eine geschäftige Zeit, außer für Joshua York und seine seltsamen Freunde. Abner Marsh war jeden Morgen schon früh auf den Beinen und gegen zehn Uhr unterwegs, suchte Spediteure und Hoteldirektoren auf, pries sein Boot an und versuchte, Aufträge hereinzuholen. Er hatte einen Stapel Handzettel für Fevre River Packets drucken lassen — nun, da er wieder mehr als ein Paketboot besaß — und ein paar Jungen engagiert, die sie überall in der Stadt verteilten und an Wände klebten. Während er an den besten Adressen speiste und trank, erzählte Marsh immer wieder die Geschichte, wie die Fiebertraum die Southerner überholt hatte, um dafür zu sorgen, daß die Nachricht sich schnellstens verbreitete. Er ließ sogar in drei Zeitungen in der Stadt Annoncen drucken.
Die Lotsen, die Abner Marsh für den Unterlauf des Flusses angeheuert hatte, kamen an Bord, sobald die Fiebertraum in St. Louis festgemacht hatte, und holten sich ihren Lohn für die Zeit, die sie mit Warten verbracht hatten. Lotsen waren nicht billig, vor allem keine Lotsen wie diese beiden, aber Marsh weinte dem Geld nicht nach, da er für seinen Raddampfer die besten gewünscht hatte. Sobald sie ausbezahlt waren, ergingen die Männer sich wieder im Nichtstun; Lotsen erhielten dauernd den vollen Lohn, rührten aber keinen Finger, bis der Raddampfer auf dem Fluß schwamm. Alles außer dem Lotsendienst war unter ihrer Würde.
Die beiden Lotsen, die Marsh gefunden hatte, vertrieben sich die Wartezeit auf recht unterschiedliche Weise. Dan Albright, steif und zurückhaltend und gutaussehend, kam an dem Tag, an dem die Fiebertraum einlief, an Bord, begutachtete das Boot, die Maschinen und das Ruderhaus, nickte zufrieden und bezog sofort seine Kabine. Er verbrachte die Tage damit, Bücher aus der gut ausgestatteten Bibliothek des Dampfers zu lesen, und spielte mit Jonathon Jeffers einige Schachpartien im Hauptsalon, obgleich Jeffers ihn jedesmal schlug. Karl Framm hingegen war gewöhnlich in den Billardsälen am Fluß anzutreffen, wo er unter seinem breitkrempigen Filzhut ständig ein verschlagenes Grinsen zeigte und damit prahlte, wie er und sein neues Schiff schon bald jeden Konkurrenten auf dem Fluß in Grund und Boden fahren würden. Framm hatte einen Ruf als Draufgänger. Er machte gern seine Witze, indem er erzählte, er habe eine Frau in St. Louis, eine in New Orleans und eine in Natchez‐under‐the‐Hill.
Abner Marsh hatte keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was seine Lotsen trieben; er war zu sehr mit den verschiedensten Aufgaben beschäftigt. Er sah auch nicht viel von Joshua York und seinen Freunden, obgleich er wußte, daß York regelmäßig lange nächtliche Ausflüge in die Stadt unternahm, häufig mit Simon, dem Schweigsamen. Simon lernte außerdem das Mixen von Drinks, da Joshua Marsh eröffnet hatte, er beabsichtige ihn auf der Fahrt nach New Orleans nachts als Barkeeper einzusetzen.
Marsh traf seinen Partner regelmäßig beim Abendessen, welches Joshua York gewöhnlich in der Hauptkabine mit den anderen Offizieren einnahm, ehe er sich in seine eigene Kabine oder in die Bibliothek zurückzog, um die Zeitungen zu lesen. Diese wurden ihm jeden Tag frisch von den einlaufenden Raddampfern paketeweise geliefert. Einmal kündigte York an, daß er in die Stadt gehen wolle, um sich die Aufführung einer Schauspielertruppe anzusehen. Er lud Abner Marsh und die anderen Offiziere ein, ihn zu begleiten, aber Marsh hatte keine Lust, daher ging York mit Jonathon Jeffers zu der Vorstellung. »Gedichte und Theaterstücke«, meinte Marsh grollend zu Hairy Mike Dunne, während die beiden sich auf den Weg machten, »man fragt sich wirklich, wie weit es mit diesem verdammten Fluß schon gekommen ist.« Später begann Jeffers, Joshua York das Schachspiel beizubringen.
»Er ist ganz schön aufgeweckt, Abner«, berichtete Jeffers Marsh ein paar Tage später, am Morgen ihres achten Tages in St. Louis.
»Wer?«
»Nun, Joshua York natürlich. Ich hab’ ihm vor zwei Tagen die Züge erklärt. Gestern abend traf ich ihn im Salon, wo er die Züge eines Spiels von Morphy nachspielte, das in einer der New Yorker Zeitungen abgedruckt war, die er bezieht. Ein seltsamer Mann. Was wissen Sie von ihm?«
Marsh runzelte finster die Stirn. Er wollte nicht, daß die Leute wegen Joshua York zu neugierig wurden; das war schließlich ein Teil ihrer Abmachung. »Joshua hat wenig Lust, über sich selbst zu reden. Ich frage ihn auch nicht. Ich finde, die Vergangenheit eines Mannes geht mich nichts an. Sie sollten die gleiche Haltung einnehmen, Mister Jeffers. Mehr noch, gewöhnen Sie sie sich tunlichst an.«