Der Zahlmeister zog die dünnen dunklen Augenbrauen zusammen. »Wenn Sie meinen, Cap’n«, entgegnete er. Aber in seinem Gesicht spielte ein kühles Lächeln, das Abner Marsh höchst beunruhigend fand.
Jeffers war nicht der einzige, der Fragen stellte. Auch Hairy Mike kam zu Marsh und berichtete, daß die Schauerleute und die Heizer über York und seine vier Gäste ein paar seltsame Geschichten verbreiteten, und ob Marsh wolle, daß er sich einmal darum kümmerte und etwas dagegen tat.
»Was für ein Gerede ist das?«
Hairy Mike zuckte vielsagend die Achseln. »Darüber, daß er nur nachts herauskommt. Auch über seine komischen Freunde. Sie kennen Tom, der den mittleren Backbordkessel heizt? Er erzählt eine ganz wilde Geschichte — er sagt, daß es an dem Abend geschah, als wir Louisville verließen, nun, Sie erinnern sich sicher, wie dicht die Moskitoschwärme waren, also, Tom erzählt, daß er den alten Simon unten auf dem Hauptdeck sah, wie er sich die Gegend anschaute, als ein Moskito auf seiner Hand landete; er erwischte das Biest mit der anderen Hand. Zerquetschte es. Und Sie wissen ja, wie prall die Moskitos sich manchmal vollsaugen, daß alles voller Blut ist, wenn man sie totschlägt. Tom meint, daß sei auch bei dem Moskito auf Simons Handrücken so gewesen, der anschließend mit Blut verschmiert war, nachdem er den Moskito erwischt hatte. Dann, so erzählt Tom weiter, stand Simon da und starrte lange auf seine Hand, bis er sie hob, und Tom will verdammt sein, wenn Simon sie nicht abgeleckt hat.«
Abner Marsh verzog zornig das Gesicht. »Sagen Sie Ihrem Tom, diesem Bengel, daß er aufhören soll, solche Schauermärchen zu verbreiten, oder er kann den mittleren Backbordkessel auf einem anderen Raddampfer heizen.« Hairy Mike nickte, schlug sich mit seinem Eisenknüppel in die andere Handfläche, daß es klatschte, und wandte sich zum Gehen. Aber Marsh hielt ihn auf. »Nein«, sagte er. »Warten Sie. Sagen Sie ihm, er soll seine Geschichten für sich behalten. Aber wenn er wieder etwas Sonderbares beobachten sollte, dann möge er zu mir oder zu Ihnen kommen. Bestellen Sie ihm, daß er sich damit einen halben Dollar verdienen kann.«
»Für einen halben Dollar würde er nur lügen.«
»Na schön, dann vergessen Sie den halben Dollar, aber bestellen Sie ihm den Rest.«
Je länger Abner über Toms Geschichte nachdachte, desto mehr beunruhigte sie ihn. Er war nur froh, daß Joshua York Simon als Barkeeper einsetzen wollte, wo er sich in der Öffentlichkeit bewegte und wo man ihn im Auge behalten konnte. Marsh hatte Totengräber noch nie gemocht, und Simon erinnerte ihn an etwas Scheußliches, wenn er ihm mal nicht so erschien wie Gevatter Tod persönlich. Er konnte nur hoffen, daß Simon keine Moskitoreste aufleckte, während er den Kabinenpassagieren Drinks servierte. So etwas konnte den Ruf eines Schiffs verdammt schnell ruinieren.
Marsh verdrängte diesen Vorfall schnell aus seinem Bewußtsein und stürzte sich wieder in die Arbeit. Am Abend vor ihrer geplanten Abfahrt beunruhigte ihn jedoch noch etwas anderes. Er hatte Joshua York in seiner Kabine aufgesucht, um noch einige Einzelheiten ihrer bevorstehenden Reise zu besprechen. York saß an seinem Schreibtisch, hatte sein schlankes Messer mit dem Elfenbeingriff in der Hand und war gerade damit beschäftigt, einen Artikel aus einer Zeitung herauszuschneiden. Er und Marsh unterhielten sich ein paar Minuten lang über anstehende geschäftliche Angelegenheiten, und Marsh wollte sich schon wieder verabschieden, als sein Blick auf eine Ausgabe des Democrat auf Yorks Schreibtisch fiel. »Heute sollte eigentlich eine Anzeige von uns drinstehen«, sagte Marsh und griff nach der Zeitung. »Haben Sie die schon durchgelesen, Joshua?«
York bedeutete ihm mit einer Geste, die Zeitung ruhig mitzunehmen. »Ich brauche sie nicht mehr«, meinte er.
Abner Marsh klemmte sich die Zeitung unter den Arm, ging damit in die Hauptkabine und blätterte sie durch, während Simon ihm einen Drink servierte. Er ärgerte sich. Er konnte die Anzeige nicht finden. Allerdings konnte es durchaus sein, daß sie dringestanden hatte; York hatte eine Meldung aus der Seite ausgeschnitten, auf deren Rückseite die Transportangebote abgedruckt waren, und mitten in der Seite klaffte nun ein Loch. Marsh leerte sein Glas, faltete die Zeitung zusammen und ging nach vorn zum Zahlmeisterbüro. »Haben Sie die letzte Ausgabe des Democrat?« fragte Marsh Jonathon Jeffers. »Ich glaube, dieser verdammte Blair hat meine Annonce vergessen.«
»Sie liegt dort drüben«, antwortete Jeffers, »aber vergessen hat er sie nicht. Sehen Sie mal bei den Transportangeboten nach.«
Und da war sie tatsächlich, ein Kasten mitten in einer Spalte ähnlicher Kästen:
FEVRE RIVER PACKET COMPANY
Der äußerst schnelle Raddampfer Fiebertraum beginnt seine Fahrt nach New Orleans, Louisiana, über alle Zwischenstops und Anlegestellen am Donnerstag in Rekordzeit und geführt von erfahrenen Offizieren und einer gut ausgebildeten Mannschaft. Anfragen wegen Frachtraten oder Passagekosten können an das Zahlmeisterbüro an Bord des Schiffes selbst oder an die Büros der Gesellschaft am Ende der Pine Street gerichtet werden.
Marsh betrachtete die Annonce, nickte und blätterte zurück, um nachzusehen, was Joshua York ausgeschnitten hatte. Der Artikel war eine nachgedruckte Meldung aus der Lokalzeitung eines Ortes weiter flußabwärts. Sie handelte von einem alten Holzplatzverwalter, den man in seiner Hütte am Fluß nördlich von New Madrid aufgefunden hatte. Der Maat eines Dampfers, der angelegt hatte, um frisches Holz aufzunehmen, hatte ihn gefunden, als niemand zur Anlegestelle kam. Einige nahmen an, daß es das Werk von Indianern war, andere sprachen von Wölfen, da die Leiche zerfetzt und halb aufgefressen war. Mehr stand in der Meldung nicht.
»Stimmt etwas nicht, Cap’n Marsh?« fragte Jeffers. »Sie haben so einen seltsamen Gesichtsausdruck.«
Marsh faltete Jeffers Democrat zusammen und klemmte sich das Blatt mitsamt Yorks Exemplar unter den Arm. »Nein, es ist nichts, die Zeitung hat lediglich zwei Worte falsch geschrieben.«
Jeffers grinste. »Sind Sie sicher? Ich weiß doch, daß Rechtschreibung nicht gerade eine Ihrer Stärken ist, Cap’n.«
»Machen Sie sich nicht schon wieder über mich lustig, oder ich schmeiße Sie in den Fluß, Mister Jeffers«, warnte Marsh. »Ich werde Ihre Zeitung mitnehmen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, sagte Jeffers. »Ich hab’ sie sowieso schon gelesen.«
An der Bar überflog Marsh die Geschichte von dem Mann vom Holzplatz noch einmal. Warum schnitt Joshua York eine Meldung über einen armen Teufel, der von Wölfen gerissen worden war, aus der Zeitung? Marsh wußte keine Antwort darauf, aber es beunruhigte ihn. Er blickte auf und sah in dem großen Spiegel über der Bar, daß Simon ihn beobachtete. Marsh faltete den Democrat hastig zusammen und steckte ihn in eine Tasche. »Geben Sie mir ein kleines Glas Whiskey«, bat er.
Marsh trank den Whiskey in einem Zug und seufzte laut »aaaaaahhh«, als das brennende Gefühl sich in seiner Brust ausbreitete. Es machte seinen Kopf auf einen Schlag klar. Es gab Möglichkeiten, wie er mehr über diese Sache herausbekommen konnte, aber andererseits ging es ihn eigentlich gar nichts an, welche Zeitungen Joshua York zu lesen pflegte. Überdies hatte er sein Wort gegeben, sich nicht in Yorks Angelegenheiten einzumischen, und Abner Marsh war stolz darauf, ein Mann zu sein, der sein Wort hielt. Entschlossen stellte Marsh das Glas auf die Theke und verließ die Bar. Er polterte die breite, geschwungene Treppe zum Hauptdeck hinunter und warf beide Zeitungen in eine der schwarzen Feuerungen. Die Deckshelfer beobachteten ihn mit seltsamen Blicken, aber Marsh fühlte sich sofort viel besser. Ein Mann sollte nicht herumlaufen und Verdacht gegen seinen Partner hegen, vor allem wenn er so großzügig und in seinen Manieren tadellos war wie Joshua York. »Was gafft ihr herum?« blaffte er die Deckshelfer an. »Habt ihr nichts zu tun? Ich hole Hairy Mike her und sorge dafür, daß er etwas Passendes für euch findet.« Sofort wurden die Männer geschäftig. Abner Marsh kehrte nach oben in die Hauptkabine zurück und genehmigte sich einen weiteren Drink.