Am nächsten Morgen ging Marsh hinüber zur Pine Street ins Hauptbüro seiner Gesellschaft und kümmerte sich einige Stunden lang um seine Geschäfte. Zum Lunch ging er ins Planters’ House, um im Kreise alter Freunde und alter Konkurrenten zu speisen, und fühlte sich großartig. Marsh prahlte mit seinem Raddampfer und mußte Farrell und O’Brien ertragen, die sich mit ihren eigenen Schiffen brüsteten, aber das war schon in Ordnung, er schmunzelte nur und meinte: »Nun, Jungs, vielleicht begegnen wir uns mal auf dem Fluß. Das wäre doch riesig, oder?« Niemand erwähnte seine Pechsträhne vom letzten Winter, und drei Männer kamen an seinen Tisch und fragten Marsh, ob er nicht einen Lotsen für den unteren Mississippi brauchen könne. Es waren zwei wundervolle Stunden.
Auf dem Rückweg zum Fluß kam Marsh zufällig an einer Schneiderwerkstatt vorbei. Er hielt inne und zupfte gedankenverloren an seinem Bart, während er eine Idee überdachte, die ihm plötzlich gekommen war. Dann ging er hinein, grinsend, und bestellte für sich eine neue Kapitänsjacke. Eine weiße mit einer Doppelreihe Silberknöpfe, genau wie er es bei Joshua gesehen hatte. Marsh hinterließ zwei Dollar als Anzahlung und vereinbarte, daß er die Jacke abholen würde, wenn die Fiebertraum nach St. Louis zurückkehren würde. Als er den Laden verließ, war er mit sich selbst sehr zufrieden. Im Hafen herrschte ein chaotisches Durcheinander. Eine Ladung Textilien war erst spät angeliefert worden, und die Schauerleute hetzten umher, damit sie rechtzeitig auf das Schiff kam. Whitey hatte bereits für Dampfdruck gesorgt; hohe weiße Wolken stiegen von den Druckventilen auf, und dunkler Qualm wälzte sich aus den blütenähnlichen Schornsteinen. Der Raddampfer links von der Fiebertraum legte unter dicken Qualmwolken, lautem Dampfpfeifengetöse und wildem Geschrei ab.
Der große Raddampfer auf der rechten Seite ließ seine Fracht auf ein Anlegefloß packen, das aus einem alten verwitterten Raddampferrumpf bestand, der an der Anlegestelle auf Dauer befestigt war. Überall im Hafen lagen Dampfschiffe, in beiden Richtungen und so weit das Auge blicken konnte, mehr Schiffe, als Marsh zählen konnte. Neun Schiffe weiter lag die luxuriöse John Simonds mit ihren drei Decks und nahm Passagiere auf. Neben ihr lag der Raddampfer Northern Light mit einem Gemälde der Aurora auf den Radkästen; sie war ein nagelneuer Dampfer für den oberen Mississippi, und die Northwestern Line ließ verkünden, daß sie schneller war als jedes andere Gefährt, das je diese Gewässer durchpflügt hatte. Flußabwärts kam die Grey Eagle, welche die Northern Light schlagen mußte, um zu beweisen, daß ihre Prahlereien keine leeren Worte waren. Da waren außerdem die Northerner und die plumpe, starke St. Joe, ein Heckraddampfer, und die Die Vernon II und die Natchez.
Marsh betrachtete sie nacheinander, die verschlungenen Muster zwischen den Schornsteinen, die hübschen Laubsägeverzierungen und die hellen Farben, die zischend aufwallenden Dampfwolken, die kraftvollen Schaufelräder. Und dann schaute er auf sein eigenes Schiff, die Fiebertraum, ganz in Weiß und Blau und Silber, und es kam ihm so vor, als stiege ihr Dampf höher als der der anderen Schiffe und als hätte ihre Dampfpfeife einen klareren, süßeren Klang und als wären ihre Farben viel strahlender und ihre Schaufelräder viel größer und stärker, und sie war insgesamt höher als alle anderen Dampfer bis auf drei oder vier, und sie war länger als alle, die im Hafen lagen. »Wir schlagen sie alle«, murmelte er leise, und er stieg hinunter in den Schoß seiner Herzdame.
KAPITEL ACHT
Abner Marsh schnitt eine Ecke Cheddar aus dem Käserad auf dem Tisch, setzte es sorgfältig auf den Rest seines Apfelkuchen und schob sich beides mit einer schnellen Bewegung seiner großen roten Hand in den Mund. Er rülpste, wischte sich den Mund mit der Serviette ab, schüttelte sich ein paar Krümel aus dem Bart und lehnte sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück.
»Ist der Kuchen gut?« fragte Joshua York und lächelte Marsh über den Rand seines Brandyglases hinweg an.
»Toby backt keinen schlechten Kuchen«, erwiderte Marsh. »Sie hätten ein Stück kosten sollen.« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Na los, trinken Sie aus, Joshua. Es ist soweit.«
»Es ist soweit?«
»Sie wollen doch den Fluß kennenlernen, oder nicht? Wenn Sie die ganze Zeit am Tisch sitzen, wird daraus nichts, soviel kann ich Ihnen schon jetzt versichern.«
York leerte sein Glas, und sie stiegen gemeinsam zum Ruderhaus hinauf. Karl Framm hatte Dienst. Er räkelte sich auf der Couch, Rauch kräuselte aus seiner Pfeife, während sein Lehrling — ein hochgewachsener Junge mit langen blonden Haaren, die ihm bis in den Kragen hingen — am Ruderrad stand. »Cap’n Marsh«, begrüßte Framm seine Besucher und nickte. »Und Sie müssen dieser geheimnisvolle Cap’n York sein. Erfreut, Sie kennenzulernen. War bisher noch nie auf einem Raddampfer mit zwei Kapitänen.« Er grinste breit und entblößte dabei einen blitzenden Goldzahn. »Dieses Boot hat fast so viele Kapitäne wie ich Ehefrauen. Natürlich leuchtet das ein. Nun, dieses Schiff hat mehr Kessel und mehr Spiegel und mehr Silber als jedes andere, das ich je gesehen habe, deshalb muß es wohl auch mehr Kapitäne haben, denke ich mir.« Der hagere Lotse lehnte sich vor und klopfte etwas Asche aus seiner Pfeife in die Öffnung eines großen Eisenofens. Er war kalt und dunkel, da die Nacht heiß und schwül war. »Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?« fragte Framm.
»Erklären Sie uns den Fluß«, sagte Marsh.
Framms Augenbrauen gingen in die Höhe. »Ich soll Ihnen den Fluß erläutern? Ich hab’ schon einen Lehrling. Stimmt’s nicht, Jody?«
»Sicher doch, Mister Framm.«
Framm lächelte und zuckte die Achseln. »Wissen Sie, ich lerne Jody an, und es ist alles längst abgemacht, ich bekomme sechshundert Dollar von seinem ersten Lohn, nachdem er die Lizenz bekommen hat und in die Gemeinschaft aufgenommen wurde. Ich mache es nur deshalb so billig, weil ich seine Familie kenne. Ich kann aber nicht behaupten, daß ich Ihre Familien kenne, das kann ich ganz und gar nicht behaupten.«
Joshua York öffnete die Knöpfe seiner dunkelgrauen Weste. Er trug darunter einen Geldgürtel. Er holte eine Zwanzig‐Dollar‐Münze hervor und legte sie auf den Ofen, wo das Gold auf der schwarzen Unterlage des Ofens leuchtete. »Zwanzig«, sagte York. Er legte eine weitere Münze darauf. »Vierzig«, sagte er. Dann eine dritte. »Sechzig.« Als er bei dreihundert angelangt war, knöpfte York die Weste zu. »Ich fürchte, das ist alles, was ich bei mir habe, Mister Framm, aber ich versichere Ihnen, daß ich nicht ohne Reserven bin. Einigen wir uns auf siebenhundert Dollar für Sie und den gleichen Betrag für Mister Albright, wenn Sie beide mich in die Anfangskenntnisse des Steuerns einweisen und Captain Marshs Kenntnisse auffrischen, so daß er sein eigenes Schiff lenken kann, wenn nötig. Zahlbar sofort, und nicht aus zukünftigen Löhnen. Was meinen Sie?«
Framm reagierte erstaunlich gelassen, dachte Marsh. Er zog ein paar Sekunden lang nachdenklich an seiner Pfeife, als würde er über das Angebot nachdenken, und schließlich streckte er die Hand aus und nahm den Stapel Goldmünzen. »Für Mister Albright kann ich nicht entscheiden, aber für mich selbst; ich war für die Farbe des Goldes schon immer empfänglich. Ich werde Sie einweisen. Was halten Sie davon, wenn Sie morgen im Laufe des Tages, wenn meine Schicht beginnt, heraufkommen?«